INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Veröffentlichungstermine von Essays (Monat / Jahr) finden Sie unter "Essays".

Frank Visser gründete IntegralWorld.net 1997 (damals unter dem Namen ,,Die Welt von Ken Wilber''). Er ist der Autor der ersten Monografie über Ken Wilber und sein Werk: " Ken Wilber: Denker aus Passion " (SUNY Press, 2003) und vieler Essays auf dieser Webseite. Gegenwärtig ist er Systemadministrator für die weltweiten Sara Lee Webseiten bei der niederländischen Online Werbeagentur Lost Boys.

,Triffst Du Wilber
unterwegs, so töte ihn'

Über die Bedeutung von
unabhängiger integraler Forschung

Frank Visser

Während der vergangenen Dekade , ist diese Webseite ,,Integrale Welt'' ein Podium gewesen für kritische Essays , bezogen auf das Werk von Ken Wilber. Diese Essays, die ein weites Spektrum an Themen abdecken, können alle in unserem Reading Room [Leseraum] gefunden werden.

Einige haben begonnen, nach Alternativen zu Wilber zu schauen ( Aurobindo , Gebser, Washburn, Grof, etc.), mein persönlicher Brennpunkt auf Integral World war jedoch immer auf Wilber und sein Werk gerichtet. Immerhin ist er der einflussreichste integrale Autor zur gegenwärtigen Zeit.

In dem vorliegenden Essay möchte ich gern drei Gebiete der Kritik hervorheben, die mir relevant erscheinen:

  • Evolutionstheorie,
  • Postmoderne und
  • Meditationsforschung.

Sie sind sehr wilberlogisch korrekt aus den breiten Sphären von Es(Sie), Wir und Ich entnommen. Die Evolutionstheorie studiert die Beziehung zwischen individuellen Organismen und ihren Arten. Die Postmoderne handelt von dem hochwichtigen Einfluss der Kultur auf unser Verhalten und Bewusstsein. Und die Meditationsforschung versucht zu entwirren, was während der subtilen Prozesse der Meditation geschieht.

Wilbers Aussagen auf diesen Gebieten haben einige der grimmigsten verfügbaren Kritiken hervorgerufen und — charakteristischerweise — hat sich Wilber nicht die Mühe gemacht, ihnen zu antworten (und bei der seltenen Gelegenheit, als er sie wirklich beantwortet hat, hat die Antwort — gleichermaßen charakteristischerweise — das Thema überhaupt nicht beigelegt).

Nach meiner Meinung sollten Wilbers Aussagen der Beginn der Debatte sein, und nicht deren Ende.

Lassen Sie sie uns der Reihe nach vornehmen. Die von mir angeführten Essays geben die vollen Seitenummern und genauen Zitate wieder. Deshalb habe ich diese aus meiner Erzählung ausgespart.

Evolutionstheorie

1996 veröffentlichte Wilber seine A Brief History of Everything [Kurze Geschichte von Allem], eine populäre Bearbeitung seines Magnum opus [großen Werkes] Sex, Ecology, Spirituality , das gerade ein Jahr vorher erschienen war. Dieser massive Band war mit dem Untertitel "The Spirit of Evolution" [Der Geist der Evolution] versehen, der darauf hindeutete, dass Wilber etwas entdeckt hatte, das im Kern des Evolutionsprozesses stand.

In SES , wurde das Thema der Evolution innerhalb des Kontextes der so genannten Twenty Tenets [Zwanzig Lehrsätze] diskutiert, die aussagten, dass die Evolution eine Ausrichtung, eine Zunahme an Komplexität, Hierarchie und Integration zeige. Darwin selbst wurde beiläufig erwähnt als der erste, der die Ausrichtung in der Biosphäre bemerkte: Amöben werden Affen, jedoch niemals andersherum. In Brief History [Kurze Geschichte] berührt Wilber das Thema der Evolutionstheorie, wieder beiläufig, um den Weg für seine eigenen Ansichten von der Evolution als ,,Geist-in-Aktion'' zu bereiten.

Diesmal wird er konkreter.

In der jetzt anrüchigen Passage erklärt er unverblümt, dass Augen und Flügel sich nicht aus einem blinden evolutionären Prozess entwickelt haben konnten, weil nur ihre abgeschlossene Form einen anpassungsfähigen Wert hätte. Warum würden sich daher alle Zwischenformen überhaupt entwickelt haben? Ein Halbflügel hat keinen Zweck:

Nehmen Sie die Standardbemerkung, dass Flügel sich einfach aus Vorderbeinen entwickelt haben. Es braucht vielleicht Hunderte von Mutationen, um einen funktionierenden Flügel aus einem Bein zu produzieren – ein Halbflügel reicht da nicht aus. Ein Halbflügel ist nicht gut als Bein und nicht gut als Flügel – man kann nicht rennen und man kann nicht fliegen. Er hat überhaupt keinen anpassungsfähigen Wert. Mit anderen Worten: Mit einem Halbflügel ist man eine Mahlzeit.

Einer der ersten Kritiker, die auf die irrtümliche Beschaffenheit dieser Passage hinwiesen, war David Lane , der seine "Evolution vs. Mysterionism: Wilber and the misunderstanding of Evolution" [,,Evolution gegen Mysteriosität: Wilber und das Missverständnis der Evolution] 1996 — zehn Jahre später wieder veröffentlicht als " Wilber and the Misunderstanding of Evolution " auf Integral World.

Von Lane:

Was Wilbers Bemerkungen über Evolution so unerhört macht, ist nicht, dass er mehr oder weniger ein Geheimkreationist mit buddhistischen Tendenzen ist, sondern dass er den gegenwärtigen Zustand der Evolutionsbiologie so verleumdet und falsch interpretiert, indem er andeutet, er sei irgendwie an der Spitze dessen, was gegenwärtig in dem Feld vor sich geht.
Und Wilber macht das durch Übertreibung, durch falsche Aussagen und durch rhetorische Ermächtigung.

Der Spur von David Lane folgend, ist Geoffrey Falk der aktivste, unerbittlichste und der am meisten ignorierte Kritiker von Wilbers Schriften bis dato gewesen. Falks Blogkritiken von Wilber sind gesammelt und ausgearbeitet worden in Norman Einstein , von dem Kapitel 2 über " Wilberian Evolution "[Wilbersche Evolution] für dieses Thema am relevantesten ist.

Ironischerweise veröffentlichte gerade in diesem Jahr, als Brief History veröffentlicht wurde Richard Dawkins sein Climbing Mount Improbable [Den unwahrscheinlichen Berg besteigen], das ein vollständiges Kapitel über die Evolution des Flügels enthält (siehe Kapitel 4: Sich vom Boden erheben, S. 108-137). Es gibt ein weiteres Kapitel über Augen — oder vielmehr über die vielen Weisen, wie sich Augen im Lauf der Evolution entwickelt haben (siehe Kapitel 5: Der vierzigfache Pfad zur Aufklärung, S. 138-198 — sechzig Seiten über dieses Thema allein!).

Man vergleiche das mit Wilbers streifenden Aussagen. Das allein disqualifiziert Wilber als eine Autorität bei der Wissenschaft der Biologie. In einer seiner seltenen öffentlichen Aussagen über diese Themen hat Wilber Dawkins als ,,einen Prediger'' abgetan…Vielleicht sogar als" Devil's Chaplain "[des Teufels Kaplan], doch zumindest einer, der seine Fakten kennt.

Wilber versorgt den Laien, der gegen die Evolution als ein blinder Prozess ist — ,,Wie kann sich so etwas Kompliziertes wie das menschliche Auge entwickelt haben!' Dieses Gefühl ist seit den Tagen Darwins zur Sprache gebracht worden — es spricht jedoch niemals den Spezialisten an, der solche Einwände leicht beantworten kann.

Diese Situation ist typisch für Wilbers Beziehung zum akademischen Establishment. Er kann frei und überzeugt in seinen Büchern und Online-Publikationen behaupten, was immer er möchte; er wird niemals von denen korrigiert werden, die in einem gegebenen Thema heimisch sind, die sich jedoch nicht die Mühe machen, Wilbers Ansichten zu befragen.

In diesem besonderen Fall — das ,,Augen und Flügel'' - Thema — ist das Beispiel ebenso aus einem anderen Grund vielsagend. Das Thema hat Biologen seit dem ersten Tag Probleme bereitet, doch anstatt zu versuchen, eine Antwort zu diesem verzwickten Problem zu formulieren, gibt sich Wilber damit zufrieden, eine unzureichende Karikatur des Problems zu geben, eine pathetische Sprache in Anspruch zu nehmen, um den Leser zu überzeugen, dass es nichts Wertvolles gibt, was hier von der Wissenschaft zu erwarten ist, und dann geht er weiter zu seinen spiritualisierteren Grübeleien.

Favorit unter diesen ist Wilbers Proklamation dass ,,es einen Eros im Kosmos gebe'', eine Kraft, die uns zu immer höheren Zuständen des Daseins und der Komplexität antreibt. Welchen erklärenden Wert hat dieser Eros? Überhaupt keinen. Wenn es Eros war, der die Augen und die Flügel von biologischen Organismen geschaffen hat, wie und weshalb geschah das? Und wo war dieser Eros, als der Dodo seine Flügel verlor? (Falls Sie interessiert sind, dann lesen Sie doch Dawkins gewaltige The Ancestor's Tale [Die Erzählung des Ahnherrn] darüber, die eine Milliarde von Jahren der Evolution behandelt!).

Wenn man sein Hauptwerk mit dem Untertitel "The Spirit of Evolution"[Der Geist der Evolution] versieht, ist die erste Anforderung ein solides Verständnis der Standardtheorie der Evolution.

Viele in den USA glauben, dass der Mensch vor ein paar Tausend Jahren von Gott erschaffen wurde; die andere Hälfte glaubt an materialistische Evolution. Die Bewegung des intelligenten Plans versucht, für eine kreationistische Sichtweise der Evolution zu argumentieren, in einer mehr oder weniger ausgeklügelten Form. Diese Debatte hat die Aufmerksamkeit von ausgedehnter Zuhörerschaft weltweit auf sich gezogen. Wilber fällt offensichtlich in das nicht-materialistische Lager, weil er an einer spirituellen Ansicht von der Evolution festhält (oder macht er es in seiner ,,post-metaphysischen'' Phase?)

Lassen Sie mich eine Anregung geben. Vielleicht wollte Wilber mit seinen Augen-und-Flügel-Erklärungen nur für eine spirituelle Einstellung zu der Evolution argumentieren. Gibt es so etwas wie einen ,,integralen Plan'' – der die Wissenschaft einbezieht (doch diesmal, ohne sie falsch zu interpretieren), aber ebenso zeigt er auf, wo sie gegenwärtig falsch liegt, in einem fundamentalen Sinn? (Und wie steht das in Bezug zu den Konzepten der integralen Theorie von den wilberschen Holon- und Artefakt - Konzepten? Artefakte werden per Definition von Menschen gestaltet. Organismen zeigen augenfällige Gestaltung an; wie sollen wir das denn erklären?)

Nach meiner Ansicht pflegt die Evolutionstheorie eine perfekte Fallstudie zu sein, um die Validität des Integralismus zu beurteilen. Ist alles von ID am Ende nichts mehr als ,,intellektuelle Faulheit'', wie es einer ihrer Hauptkritiker, Richard Dawkins, feststellt? Daher ist es eine Chance zu demonstrieren, wenn ,,das Integrieren von Naturwissenschaft und Religion'' (ein weiterer Untertitel eines von Wilbers Büchern) ein gangbares Projekt ist, wenn es überhaupt jemals eines gegeben hat. Wenn Wilber meint, er könne wirklich zu dieser Debatte beitragen und wenn er wirklich dieses Thema ,,in - und - auswendig'' kennt (eine weitere seiner Behauptungen), lassen wir ihn die öffentliche Arena betreten, und ich werde in der ersten Reihe sitzen, um zuzuhören. Die Ebene des Diskurses sollte definitiv über die gelegentlichen verärgerten Blogposts, Paykanal-Audio-Clips oder begrabene Fußnoten hinausgehen.

Postmoderne

Sex, Ecology, Spirituality wurde von Wilber gezielt geschrieben, um der vorherrschenden postmodernen Atmosphäre in der akademischen Welt zu begegnen, die — in Wilbers Version — alles zu einem relativen und gleichrangigen Wert erklärt, außer persönlichen Absichten und Machtspielen. (Mehr darüber später).

Wilbers bevorzugte Angriffszeile ist es zu sagen, dass die Postmodernen an einer ,,sich selbst vollziehenden Widersprüchlichkeit'' leiden: auszusagen, dass alles relativ ist, ist in sich selbst eine absolute Wahrheit. Demnach kann die Aussage nicht wahr sein.

Nach meiner Meinung ignoriert das die Tatsache, dass die Aussage, dass keine Theorie absolut wahr ist, keine Feststellung über Tatsachen sondern über Theorien ist. Hier ist eine Meta-Ebene involviert. Daher sagt der Postmoderne in der Tat: Keine Theorie ist wahr für jedermann in jeder Kultur. Deshalb sollten wir bescheiden sein in unseren Theorien, gut dessen gewahr sein, wie sehr wir durch unsere Kulturen und Vorlieben geformt sind.

In einer weiteren berüchtigten Passage, diesmal in Sex, Ecology, Spirituality , argumentiert Wilber (im Kontext von Jacques Derridas Denken und besonders seiner späten Jahre), dass wenn die Postmoderne wahr wäre, wir überhaupt nichts über irgendetwas sagen könnten, weil keines unserer Wörter auf die Tatsachen hinzuweisen pflegt (meine Umschreibung, die für den Moment den technischen postmodernen Jargon weglässt). Zum Beispiel würde Übersetzung nicht möglich sein.

Viele Kritiker haben dieser Präsentation des postmodernen Standpunktes widersprochen. Einer der ersten war Jeff Meyerhoff , dessen Monografie über Wilber " Bald Ambition [Unverhüllter Ehrgeiz]" 2006-2007 auf Integral World veröffentlicht wurde. In seinem Kapitel " Poststructuralism and Postmodernism " [Poststrukturalismus und Postmoderne], sagt Meyerhoff zum Beispiel aus:

Beim Herausziehen einiger Konzepte, die mit einer postmodernen Perspektive in Zusammenhang gebracht werden können und ihrem Hineinziehen in seine integrale Synthese vermeidet Wilber die grundlegenden Bedrohungen, die der Poststrukturalismus gegen sein System und den Wissenserwerb im Allgemeinen aufstellt. Wilbers Darstellung der Postmoderne ist wechselvoller als sein Abbild des Poststrukturalismus, sie ist jedoch ebenso begrenzt. Er stellt eine Sicht der Postmoderne dar als den Hochschulbetrieb und die Kultur dominierend, und ich zeige, dass das nicht der Fall ist.

Meyerhoff war der Erste, der Wilbers problematische Bearbeitung von Derrida in Sex, Ecology, Spirituality aufgezeigt hat. Im Besonderen holt er eine Schlüsselpassage bei Wilber optisch näher heran:

Wilber behauptet, dass sogar Derrida, der intellektuelle Vater des Konstruktivismus, zugibt, dass es transzendentale Bedeutungsträger [signifieds] gibt. Das ist überraschend, weil es gegen Derridas berühmte Feststellung geht: ,,Es gibt nichts außerhalb des Textes“ – keine Bedeutungsträger [signifieds], die dem Spiel der Ankündiger [signifiers] entfliehen. Wilber ist sogar in der Lage, ein Zitat zu finden, wo nach seiner Meinung Derrida die Existenz des transzendentalen Bedeutungsträgers [signified] einräumt. In dem Zitat und seinem Kontext argumentiert Derrida jedoch klar für das Gegenteil dessen, was Wilber von ihm sagt.

Meyerhoffs Aussagen werden erhärtet von Gregory Desilet , der " Misunderstanding Derrida and Postmodernism [Missverstehen von Derrida und der Postmoderne]" speziell für Integral World schrieb, nachdem er eine kurze Diskussion mit Wilber über Derrida gehabt hatte, (dabei hat er sich als Kritiker qualifiziert ).

Auch Desilet schlussfolgert nach einer gründlichen Analyse des relevanten Zitats von Derrida, das Wilber in Sex, Ecology, Spirituality anführt:

Wilbers Lesart ist eine schlechte falsche Lesart. In der Tat ist sie eine falsche Lesart, die in das Gegenteil verdreht, was Derrida sagt. Die Möglichkeit für eine solche falsche Lesart dient bloß dazu, Derridas Behauptung zu bekräftigen, dass die Sprache niemals ein besonderes Verständnis garantieren kann. (Und im Einklang mit dieser Behauptung sollte der Leser wachsam sein gegenüber der Möglichkeit, dass die von mir als eine Alternative zu Wilbers Angeboten vorgeschlagene Lesart keine Garantie ist für die Transparenz bei Derridas Text.)

Ich habe einmal kommentiert, dass Wilber wirklich mit Spezialisten sprechen sollte, was mich veranlasste zu erwidern, dass ,,dieser Kritiker offensichtlich niemals die Fußnoten von Sex, Ecology, Spirituality gelesen hat" #151; was impliziert, dass die Tatsache, dass man viele Randbemerkungen in einem Buch hat, ihren Wahrheitswert garantiere.

Wieder ist mein Standpunkt, dass Wilber über die Postmoderne oder irgendein anderes Thema unter der Sonne schreiben kann, was immer er möchte, ohne jemals eine Gelegenheit zu bekommen, überhaupt von einem Spezialisten korrigiert zu werden. Wie es Jonathan Coope , ein Wilber – Kritiker, der kürzlich seinen Doktor der Philosophie gemacht hat, humorvoll kommentierte:

Es spielt jedoch keine Rolle, mit wie vielen Fußnoten Wilber seine Texte befrachtet und auch nicht, wie faktisch genau sie sein mögen, das würde uns nichts ,,beweisen'' bei der Qualität seiner Vision. Die Bibliotheken unserer Akademien ächzen unter den ehrwürdigen Bänden, die randvoll mit Fußnoten von der gelehrtesten Art sind und das lässt uns allerdings ,so klug wie zuvor' zurück.

Wo sind daher die Postmodernen? Kümmern sie sich darum, was Wilber schreibt? Und kümmern sich Wilbers Anhänger darum, über wen Wilber schreibt? Wie ich vor Jahren geschrieben habe in " Talking Back to Wilber: A Call for Validation " [Auf Wilber erwidern: Ein Ruf nach Validierung]:

Denn warum sollte man sich Gedanken machen über Postmoderne, immerwährende Philosophie, Feminismus, Relativismus oder irgendeinen anderen –ismus, wenn Wilber uns gesagt hat, was und wie über diese Felder zu denken ist? Das verstärkt unvermeidlich die konditionierenden und kultischen Tendenzen, die in allen spirituellen Gemeinschaften latent sind, einschließlich der integralen – Sobald eine derartige Gruppe ihre eigene Integrale Universität beginnt, stehen die Chancen hoch, dass sie eine religiöse Schule wird, in der ihren Studenten integrale Konzepte beigebracht werden (nach denen sie Zertifikate erhalten), anstelle einer wahren Universität, wo Theorien und Überzeugungen ungeachtet unserer eigenen privaten Überzeugungen für gültig erklärt werden. Wo Kritik eingeladen und begrüßt wird.

Nebenbei bemerkt markierte dieser Essay den Beginn meiner ,,kritischen'' Phase in Bezug auf Wilber, nachdem ich durch diese von Fan, Schüler, Biograf , Kritiker und schließlich…. Verbannter gegangen war (he, lasst es uns Visser-5 nennen ;-).

Wiederum hat Wilber behauptet, er habe die Postmoderne besser als irgendjemand sonst verstanden, gemäß einigen (ungenannten) Autoritäten über die Postmoderne. Wie würden diese Autoritäten auf Meyerhoffs und Desilets zugespitzte Kritik von Wilbers Lesart von Derrida reagieren? Lassen Sie uns das Gemeine Grüne Mem vergessen, das in den vergangenen Jahren soviel von der Wilber – Debatte verformt hat, und lassen Sie uns bloß auf die Postmoderne konzentrieren. Hat Wilber hier irgendetwas Substantielles beigetragen? Wenn dem so ist, weshalb stellt er seine Standpunkte nicht in der öffentlichen Arena des postmodernen Hochschulbetriebs vor?

In seinen neuesten Online Kommunikationen stellt Wilber bequeme Gleichungen auf von der Art: Dekonstruktion = Destruktion = Terrorismus. Natürlich stellt er die Laien-Zuhörerschaft zufrieden, jedoch nicht den Spezialisten. Wie können wir diesen Teil des Wilberschen Diskurses auf die nächste Ebene hieven?

Meditationsforschung

Ein weiteres Gebiet der Besorgnis ist Wilbers Berichten über empirische Forschung, zum Beispiel in den Feldern der Bewusstseinsforschung. Lassen Sie uns das als Beispiel nehmen.

Meditation ist zentral für Wilbers Sichtweise der Spiritualität, und bei vielen Gelegenheiten behauptet er, dass Meditation unsere Entwicklung beschleunigen kann.

Bloß eine von Wilbers ähnlich zuversichtlichen Aussagen:

Wir haben jetzt den ausgiebigen Beweis, dass Meditation nicht die Grundstufen der Bewusstseinsentwicklung modifiziert oder verändert, sondern dass sie jene Entwicklung bemerkenswert beschleunigt. ( One Taste , Seite 263)

Um noch genauer zu sein:

Die einfachste, kürzeste Antwort ist allerdings: Auf welchen Zustand der Entwicklung auf der Selbstlinie man sich durch das Praktizieren von Meditation hinbewegen und seine Entwicklung durch diese Linie beschleunigen, man geht tatsächlich einige Stufen weiter über einen Zeitraum von bloß ein paar Jahren. (Kosmic Consciousness, CD 3, Track 7, 11:49)[Kosmisches Bewusstsein]

Jim Andrews hat peinlich genau Wilbers Aussagen über die Meditationsforschung studiert und ist zu einigen sehr ernüchternden Schlussfolgerungen gekommen in seinem Schreiben " Ken Wilber on Meditation " [Ken Wilber über Meditation], das als ein Anhang in Falks E-Buch Norman Einstein einbezogen war.

Nachdem er durch eine Menge an methodologischen Vorsichtsmaßnahmen hindurchgegangen war im Hinblick auf diesen Forschungstyp (wie es von Alexander und anderen gemacht wurde, der tief bei TM [Transzendentale Meditation, d.Übs.] involviert und deswegen gegenüber dem Wert der Meditation voreingenommen war), schlussfolgert Andrews, dass Wilbers viele Behauptungen, die Vorteile der Meditation betreffend, ,,unbegründet, fehlleitend und potenziell schädlich'' seien.

Er fasst seine Hauptbedenken in Bezug auf Wilbers fahrlässige Aussagen über die Meditationsforschung zusammen:

  1. KW behauptet, dass Meditation die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins beschleunigt, dennoch verschafft er typischerweise keine unterstützenden Beweise
  2. KW deutet an, dass 20 bis 25 Jahre Meditation die völlige Erleuchtung bewirken können, allerdings räumt er ein, dass er diesen Zustand nicht erreicht, noch jemanden getroffen hat, der ihn erreicht hat
  3. KW sagt aus, dass nur Meditation demonstriert worden ist beim Beschleunigen der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, dennoch empfiehlt er andere spirituelle Praktiken
  4. KW lobt die Forschung von Skip Alexander und seinen Kollegen, dennoch erkennt er ebenso an, dass ihre Studien ,,validen Kritiken'' unterworfen sind
  5. KW behauptet, dass Meditierende zwei Ebenen in bloß drei oder vier Jahren vorschreiten können, dennoch ist die zitierte Studie ,,valider Kritik'' unterworfen
  6. KW berichtet, dass 38% der Meditierenden auf die höchsten Ebenen auf Jane Loevingers Skala der Ego-Entwicklung vorgeschritten sind, dennoch ist die zitierte Studie ,,valider Kritik'' unterworfen
  7. KW empfiehlt die Anwendung von Meditation und der Bestätigung durch die Gemeinschaft, um spirituelle Wahrheiten zu etablieren, dennoch ist diese Empfehlung nicht ,,gute Wissenschaft''
  8. KW versichert, dass sogar Skeptiker jenen ,,Maharishi-Effekt'' anerkennen, dennoch haben Skeptiker wiederholt ,,den Maharishi-Effekt'' zurückgewiesen
  9. KW ist dessen gewahr, dass Meditation ,,negative Effekte auf die Ausübenden'' haben kann, dennoch beschafft er nur einige wenige Warnungen vor diesen potenziellen Gefahren

Es lohnt sich sehr, dieses Schreiben zu lesen, denn es illustriert wieder Wilbers Behandlung eines empirischen Themas.

Als ich Roger Walsh , eine Weltautorität über Meditationsforschung mit diesen Befunden konfrontierte, antwortete er kurz und bündig und zustimmend: ,,Präzision ist unbezahlbar''. Vielleicht reflektiert die Kürze seiner Antwort sein Gefühl des Hin-und-Hergerissenseins zwischen den beiden Loyalitäten gegenüber Wilber und der Wahrheit.

Man sollte bemerken, dass Wilber selbst kein Forscher ist, er beschäftigt sich mit Theorien, nicht mit Tatsachen, und wählt Theorien aus, wann immer sie zu seinem weiteren integralen Beziehungsrahmen passen. Sobald es zum Berichten über empirische Forschung kommt, geht er selten in deren Schwierigkeiten hinein, sondern gibt sich stattdessen damit zufrieden, dem Leser zu versichern: ,,die Beweise sind einfach überwältigend'', wir haben ,,wahrhaft atemberaubende Forschung'' oder ,,absolut niemand glaubt das noch''. Wir sollten wirklich diese Aussagen mit einer großen Prise Salz entgegennehmen.

Unabhängige integrale Forschung

Das lässt die allgemeinere Frage entstehen, wie man Wilbers Behandlung der verschiedenen von ihm angepackten Felder bewerten soll, oft mit einem selbstsicheren und überzeugenden Schreibstil.

Ist es nicht höchste Zeit, dass wir Wilber ein zweites Lesen geben?

Beim ersten Lesen können Wilbers Schreiben bewegend sein, sogar inspirierend. Bei einem zweiten (und dritten) Lesen stellen sich die Dinge als sehr viel komplizierter heraus. Wie Matthew Dallman uns in einer seiner columns on Wilber [Druckspalten über Wilber] erinnerte:

Virginia Woolf sagte, als sie ihre Buchbesprechungen schrieb, dass sie das Buch zweimal gelesen habe. Das erste Mal unterwarf sie sich allem, was der Autor anbot; beim zweiten Mal pflegte sie dem Autor nicht einen einzigen Satz zu geben, wenn der nicht verdient war. Einige in der integralen Gemeinschaft haben die erste Stufe hinter sich und befinden sich jetzt in der zweiten in einer oder der anderen Form.

Scheint nicht Wilber's own agenda [Wilbers eigene Agenda] — indem sie versucht, wissenschaftlich zu beweisen, dass Spiritualität in der modernen Welt valide ist; er kennt sich sogar besser aus als sie bei dem Materialismus, der Postmoderne und dem wissenschaftlichen Establishment, — allzu klar durch seine Schriften? Und was ist mit dem Machtspiel? Teilt er diese Agenda mit vielen seiner Anhänger jetzt, wie er es in der Vergangenheit mit meiner getan hat?

Es gibt einen berühmten Spruch im Buddhismus wie folgt:

,,Triffst du Buddha unterwegs, so töte ihn''.

Unter anderem deutet der auf ein unangemessenes Anhaften an jemanden — tot oder lebend — hin, der einst eine inspirierende Kraft war — es spielt hier keine Rolle, ob Buddha oder Wilber — der jetzt aber ein Hindernis für unabhängiges und freies Denken geworden ist.

Daher lassen Sie uns den Geist der freien und furchtlosen Untersuchung bewahren! Wenn Ihr Wilber unterwegs trefft, so tötet ihn!

Sollten wir nicht einen frischen Blick auf Wilber werfen und einen beschwerlichen Prozess unabhängiger integraler Forschung beginnen? Ich meine, wir sollten es tun. ,,Jeder Satz muss verdient werden'' – ein großartiges Motto.[1] Viele Essays auf Integral World (von Harris, Edwards, Kazlev, Smith, Meyerhoff, Chamberlain, und 60 Anderen ) sind in diesem Geist geschrieben worden.

Wiederum aus " Talking Back to Wilber " [Auf Wilber erwidernd]:

Tatsächlich ist das eine Strategie mit Gewinn für beide Seiten. Wenn Wilber für gültig erklärt wird, ist das gut für ihn. Wenn nicht, dann ist es gut für die Wahrheit. War das nicht vor allem das, wonach wir gesucht haben, als wir begannen, Wilber zu lesen?

Bemerkungen

[1] Vielleicht verschafft die Erste Integral Theory Conference [Konferenz der integralen Theorie] eine Gelegenheit für eine derartig unabhängige integrale Forschung. Es ist gut zu sehen, dass es reichlichen Raum gibt für integrale Theorie-Diskussionen im Programm (anders als in Wilbers eigenem Integralen Institut, wo der Schwerpunkt auf Werbung und Einsatzmöglichkeiten zu liegen scheint).