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Jeff Meyerhoff Jeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Aufmerksamkeit und Psychoanalyse zur Selbstentwicklung. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Sozialarbeiter bei Geisteskranken, sucht jedoch nach neuen beruflichen Gelegenheiten. Sein Weblog kann gefunden werden bei philosophyautobiography.blogspot.com . Email at [email protected].


Die Debatte debattieren

Eine dritte Erwiderung auf Ray Harris

Jeff Meyerhoff

Note: Ich schrieb das Folgende, bevor ich Teil II von Ray Harris' neuester Erwiderung an mich gelesen hatte. Das folgende Stück wendet sich an den Hauptteil dessen, was Harris vor kurzem über den arabisch-israelischen Konflikt geschrieben hat, doch nicht an Teil II, auf den ich getrennt erwidere in Fakten und Beurteilungen.

Als ich meine zweite Erwiderung auf Ray Harris schrieb - die, wie meine erste, mich zwei Wochen des Forschens und Sammelns kostete – fragte ich mich, mit einer Mischung aus Neugier und Scheu, ob es ihn wieder nur einen oder zwei Tage kosten würde, um zu antworten. Nachdem ich wiederholt betont hatte in meiner zweiten Erwiderung, dass seine Erklärungen fast gänzlich undokumentiert waren, meinte ich, er würde sich verpflichtet fühlen, wissenschaftliche Quellen zu zitieren, um seine Erklärungen zu rechtfertigen. Doch erstaunlicherweise ist der Hauptteil seiner Erklärungen undokumentiert und zu oft antworten sie nicht auf die von mir vorgetragenen Argumente.

Ich erkenne jetzt, dass wir verschiedene Konzeptionen darüber haben, was eine Debatte mit sich bringt und ich hatte irrtümlich angenommen, dass es einige stillschweigend akzeptierte Grundregeln gab. Weil dieser Austausch nicht auf der Ebene der Debatte selbst arbeitet, würde ich gern etwas zurückgehen und über den Prozess der Debatte reden. Um über den Prozess der Debatte zu reden, werde ich beschreiben, was ich für eine Debatte halte und was sie versuchen sollte zu tun.

Um meine Konzeption einer Debatte zu verstehen, denken Sie an konzentrische Kreise. Im Zentrum der konzentrischen Kreise steht das Phänomen, das zu erkennende Ereignis oder was geschehen ist. Zum Beispiel ist das Kämpfen in Palästina 1947-48 ein Ereignis oder Phänomen, das erkannt und verstanden werden soll.

Von dem Ereignis im Zentrum nach außen strahlend gibt es konzentrische Kreise oder Ebenen. Je näher eine Ebene zu dem Zentrum oder dem Ereignis ist, desto näher ist sie zu dem Ereignis. Die erste Ebene nach dem Zentrum enthält die Überbleibsel des Ereignisses, die in Erinnerungen, Dokumenten und Gegenständen stecken. Dies ist der Nachweis für das Ereignis. Das Ereignis ist vergangen und ist nun für uns verloren. Die Kämpfe in Palästina 1948 brachten Zeitungsberichte mit sich, Radiosendungen, Augenzeugenbeiträge, bürokratische Dokumente, Tagebücher, Memoiren und Erinnerungen im Geist der Menschen, die das Ereignis erlebten.

Auf der zweiten Ebene außerhalb des Ereignisses selbst und einen Schritt auswärts der dokumentarischen Überbleibsel der ersten Ebene, befinden sich diejenigen, die die dokumentarischen Überbleibsel untersuchen und die Ergebnisse ihrer Forschung. Sie versuchen festzustellen, was sich ereignete; diese sind die Gelehrten, gewöhnlich in Akademien beheimatet. Für die Ereignisse in Palästina pflegen dies die Gelehrten des Krieges von 1948 zu sein.

Auf der dritten Ebene nach außen befinden sich diejenigen, die lesen, was die Gelehrten sagen, um das Ereignis zu verstehen. Sie versuchen, wie die Gelehrten, eine genaue Version des Ereignisses zu bekommen, doch sie sind im Gegensatz zu den Gelehrten noch einen weiteren Schritt von dem dokumentarischen Bericht und dem Ereignis selbst entfernt. Das ist die Öffentlichkeit, die die Arbeit der Gelehrten liest und etwas über das Ereignis erfährt. Sie kann ebenso, gewöhnlich in einer weniger systematischen Weise als die Gelehrten, die dokumentarischen Überbleibsel der ersten Ebene erfahren, indem sie Memoiren liest oder den Geschichten zuhört, die von den Teilnehmenden am Krieg von 1948 erzählt werden.

Sowie man sich weiter auswärts vom Zentrum zu höheren Ebenen bewegt, kommt man weiter vom Ereignis selbst weg. Um das Ereignis zu verstehen, ist es notwendig, so nah wie möglich an das Zentrum heranzukommen.

Um meine Konzeption von der Debatte zusammenzufassen, gibt es:

  • Das Zentrum: das Ereignis, das geschah, das zu erkennende Phänomen.
  • Die erste Ebene: die dokumentarischen Überbleibsel des Ereignisses.
  • Die zweite Ebene:die Gelehrten oder diejenigen, die sich dem Studium der Überbleibsel widmen, um das Ereignis zu verstehen.
  • Die dritte Ebene: jene, die die Gelehrten lesen, um das Ereignis zu verstehen.

Weder Harris (soweit ich weiß) noch ich haben originale Forschung über den arabisch-israelischen Konflikt betrieben und deshalb sind wir auf der dritten Ebene. Um eine genauere Version der zur Diskussion stehenden Ereignisse zu bekommen, müssen wir uns auf die zweite Ebene zubewegen, indem wir Gelehrte, die die dokumentarischen Überbleibsel untersucht haben, lesen und zitieren. Jene Gelehrten der zweiten Ebene debattieren, indem sie die dokumentarischen Überbleibsel benützen. Wenn Leute der dritten Ebene wie Harris und ich nicht irgendwelche Wissenschaft zitieren, wie Harris, bleiben wir auf der dritten Ebene hängen, weiter entfernt von den Ereignissen, die wir diskutieren. Ich habe versucht, uns näher an die Ereignisse zu führen, indem ich die Gelehrten der zweiten Ebene zitierte. Harris sagt, meine Quellen seien parteiisch oder einseitig. Das ist natürlich möglich, doch das bedeutet nicht viel, wenn er nicht andere Quellen der zweiten Ebene zitiert, um meinen zu entgegnen. Das ist sehr unterschiedlich von dem, was er wirklich tut, was heißt, dass er Leute zitiert, die sagen, dass meine Quellen parteiisch seien. Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem Sagen, dass eine Quelle falsch sei oder parteiisch oder kontrovers unddem Zeigen, dass sie es ist.

Was ist denn Harris' Verständnis von der Debatte, im Gegensatz zu meinem? Der allererste Absatz seiner zweiten Antwort deutet an, was seine Konzeption der Debatte nicht ist und scheint meiner Konzeption gegenzulaufen. Er schreibt:

Ich habe keine Probleme mit der Debatte; es ist bloß, dass die Israel/Palästina-Debatte sich festfahren kann in ,er sagt, sie sagt'. Das ist in Ordnung; wir können diesen Pfad hinabgehen. Meyerhoff kann seine Quellen zitieren und ich kann meine Quellen zitieren, er kann meine diskreditieren und ich seine – wie du mir, so ich dir . Sehen Sie, ich sagte in meinem Originalartikel, dass eines der Bestandteile dieser Debatte ein Disput über Geschichte war. Wer tat was wann und welches Gewicht sollte den besonderen Ereignissen zugebilligt werden.

Diese Aussage ist unabsichtlich enthüllend und verdient eine sorgfältige Prüfung. Sie ist komisch zweideutig und zeigt Harris' zweideutige Haltung gegenüber Dokumentation und Debatte. Sie begrüßt anscheinend die Art von Debatte, die ich befürworte, während sie sie gleichzeitig herabwürdigt. Sie wird schnell verworfen, eine offensichtliche Behauptung, die tatsächlich eine Abweisung ist. Sie erinnert an seine frühere abweisende Aussage über die Debatte, dass ,,alles was Meyerhoff getan hat: er hat einige alternative Ansichten ausgewählt. Na und?“ Ich erwiderte auf diese Aussage, dass das Anbieten von alternativen Ansichten die Debatte ist und fragte, was seine Alternative zum Anbieten alternativer Ansichten sei.

,,Deshalb ist Harris' Konzeption der Debatte immer noch eine offene Frage."
Deshalb ist Harris' Konzeption der Debatte immer noch eine offene Frage. Wenn wir nicht ein ,,wie du mir, so ich dir“-Argument durch das ,,Diskreditieren“ der Quellen des Anderen haben möchten, wie wird das durch Nichtzitieren von irgendjemand vermieden und bloß durch ein Hin und Her von Behauptungen konträrer Ansichten der dritten Ebene? Wie versteht er denn, wie zwei Leute mit unterschiedlichen Ansichten eine Diskussion über ein intellektuelles Thema haben können, ohne relevante Beweise, um sich auf das Thema zu beziehen? Dieselben Quellen, die Harris gelesen hat, um vermutlich seine eigene Ansicht zu entwickeln, waren und sind in solchen Debatten enthalten und sie haben erfahren, was sie wissen, durch eine Untersuchung der originalen Quellen und manchmal erhitzten Austausch mit intellektuellen Gegnern.

Harris spricht davon, wie wir unsere Quellen gegenseitig schlecht gemacht haben. Doch es sind keine Quellen diskreditiert worden. Keine von seinen ist schlecht gemacht worden, weil er fast gar keine zitiert; und keine von meinen ist diskreditiert worden, weil er keine dokumentierten Gegenbeweise gegen die von mir zitierten Quellen anbietet, die meistens seinen Ansichten widersprechen. Er zitierte tatsächlich den renommierten Orientalisten Bernard Lewis und ich bot eine weitere Ansicht von Lewis selbst an, doch das diskreditiert Lewis nicht. Ich identifizierte einige meiner Quellen als ,neue Historiker' und er deutete an, dass ihre Ansichten umstritten seien, doch er zeigte nicht, welche Tatsachen umstritten sind. Das heißt nicht, dass irgendwer diskreditiert wird. Er zitierte wirklich Peter Novick, wie er einen Zweifel auf die Verlässlichkeit von Norman Finkelstein legte, doch das diskreditiert Norman Finkelstein nicht, weil wir immer noch nicht wissen, ob es wahr oder falsch ist, was Finkelstein sagt.

Man diskreditiert eine Quelle, indem man wiederholt demonstriert, dass das, was sie als wahr behauptet, nicht von Beweisen gestützt wird. Nur nach vielen solcher wiederholten Demonstrationen beginnt man daran zu zweifeln, ob eine Person eine verlässliche Quelle sein kann. Sie wird diskreditiert, nicht weil jemand sagt: ,,Er ist parteiisch“ oder ,,Sie ist kontrovers“, sondern durchdas Aufzeigenvon Einseitigkeit. Harris zitiert fast niemanden und zeigt daher nicht, dass meine Quellen falsch sind und deshalb diskreditiert er keine. Die einzige Person, die diskreditiert sein mag, ist Harris selbst. Ich habe wiederholt aufgezeigt, dass er Aussagen macht, denen von wissenschaftlicher Meinung widersprochen wird. Um seine Ansicht reinzuwaschen, sollte er wissenschaftliche Quellen zitieren müssen, die das befürworten. Ich weiß, das ist zeitaufwändig und erscheint langweilig, doch es ist der einzige Weg.

Andererseits habe ich zahlreiche Quellen zitiert, um zu zeigen, dass vielen von Harris' Behauptungen von wissenschaftlichen Quellen widersprochen wird und daher sollte es dem aufmerksamen Leser dämmern, dass Harris keine anerkennenswerte Quelle sein dürfte.

Das bedeutet jetzt aber nicht, dass das einfach wahr ist, was ich sage und Harris Unrecht hat. Ich argumentiere für eine besondere Position, die einen kritischen Rahmen hat. Meine Perspektive opponiert gegen eine dominante und oft selbstverständliche Ansicht. Ich meine, Harris könnte Quellen zum Zitieren finden, die seine Ansicht verteidigen, doch er wählt aus, das nicht zu tun, stattdessen bezieht er sich abwertend auf das Zitieren von Beweisen als auf eine sich gegenseitig diskreditierende ,,Geplänkel“-Debatte. Er deutet eine negative Haltung gegenüber einer Debatte an, indem er sich auf ein ,,Geplänkel“-Argument bezieht, was nach seiner Meinung geschieht, gerade wenn wir Quellen zitieren. Doch wenn wir keinerlei Quellen zitieren und nur sagen, was wir denken, ohne Bezug auf die relevante Literatur, wie wäre das irgendwie weniger als ein ,,Geplänkel“-Argument? Und wäre es nicht ein schlechteres Argument wegen seines kompletten Mangels an wissenschaftlichen Quellen und dokumentarischen Beweisen? Weshalb meint er, dass man besser keine Quellen zitieren sollte? Welche ist seine Konzeption der Debatte?

Zu der Zweideutigkeit fügt Harris' Behauptung hinzu, dass er in diese ,,Geplänkel”-Debatte eintretenwird, in der wir unsere Quellen gegenseitig ,,diskreditieren'', anstatt Quellen zu zitieren, die demonstrieren, dass es eine Kontroverse hinsichtlich einiger von mir zitierten Gelehrten gibt. Harris behauptet, dass es nicht bloß eine Kontroverse sei, sondern eine große Kontroverse. Doch das von mir vorgetragene Argument über die Kontroverse ist, das der Grad der Kontroverse unwichtig sei. Um gegen mein Argument argumentieren zu können, muss er wegen der Wichtigkeit der Kontroverse als eine Kategorie argumentieren, nicht über den Grad der Kontroverse. Wir stimmen schon überein, dass es eine große Kontroverse um Chomsky, Finkelstein und andere gibt. Na und? Das lässt vermuten, dass die Themen heiß umstritten sind. Meistens bedeutet das, wenn eine Person in diese Debatte eintritt, dann wird sie auf der Hut und sorgfältig sein beim Abschätzen dessen, was vor sich geht. Harris jedoch scheint zu glauben, es habe etwas zu tun mit dem Grad der Wahrheit oder Richtigkeit auf einer oder der anderen Seite. Ist es der Fall, dass das Fehlen einer Kontroverse eine größere Wahrheit nahelegt und mehr Kontroverse weniger Wahrheit? Wir wissen es nicht. Wir müssen die Tatsachen und die Argumente der Teilnehmer an der Debatte untersuchen. Harris wiederholt seinen Standpunkt darüber, dass meine Quellen ,,kontrovers'' seien, deshalb frage ich: welche sind seine nicht kontroversen Quellen?

Ich präsentiere eine Perspektive, um Harris' Perspektive zu widersprechen. Er muss durch Erklärung erwidern, weshalb seine Perspektive eine Rechtmäßigkeit hat. Das bedeutet, über das bloße Ausdrücken dessen hinauszugehen, was er meint. Uns muss gezeigt werden weshalber denkt, was er denkt, andererseits ist es nur eine Person gegen eine andere Person, die ,,er sagte, sie sagte''-Situation, die Harris mit anderen einzubringenden Quellen vertauscht. Ich befürworte das Zitieren von Quellen, um die ,,er sagte, sie sagte''-Situation zu vermeiden. „Er sagte, sie sagte'' ist eine Phrase, die zur Identifizierung einer Situation benützt wird, in der es bloß das Wort einer Person gegen das einer anderen ist, mit keiner weiteren Entscheidungsmöglichkeit, wer Recht hat. Indem er nicht die Quellen zitiert, die seine Aussagen bekräftigen, hält Harris die Debatte in einer derartigen Situation. Ich bleibe dabei zu befürworten, dass wir uns auf das Zentrum zubewegen und über uns beide hinausgehen - ,,er sagte, er sagte'' – indem wir die relevante wissenschaftliche Literatur über das Thema zitieren. Das könnte uns aus der ,,er sagte, sie sagte''-Situation herausbringen, in der Harris zufrieden verharren möchte.

,,Meine Konzeption der Debatte verlangt, dass die Teilnehmenden relevante Quellen zitieren."
Das erklärt, weshalb meine Konzeption der Debatte verlangt, dass die Teilnehmenden relevante Quellen zitieren. Wenn sie nicht relevante Quellen zitieren, dann können sie bloß irgend etwas sagen und es gibt keinen Weg, um Dispute zu lösen. In einer intellektuellen Debatte, anders als in einem häuslichen ,,er sagte, sie sagte''-Streit, fragen wir weshalbund schauen nach den Gründen, die Aussagen rechtfertigen. Wenn ich Quellen zitiere, die Harris für parteiisch hält, sollte er andere Quellen zitieren, die die Parteilichkeit zeigen könnten. Die Parteilichkeit wird entschieden durch das Zeigen, dass die Quelle an einer unhaltbaren Ansicht festhält. Man zeigt, dass eine Ansicht unhaltbar ist, indem man Beweise zitiert. Die Beweise kommen aus der Wissenschaft und letztendlich aus der dokumentarischen Aufzeichnung. Einfach nur zu sagen oder zu unterstellen, dass eine Quelle parteiisch sei, wie Harris es tut, oder dass es jene gibt, die nicht übereinstimmen, bedeutet einfach, gar nichts zu sagen. Wenn daher Harris sich auf einen Wikipedia-Artikel bezieht, der besagt, dass die ,,neuen Historiker'', die ich zitiert habe, kritisiert worden sind, sollte unsere Reaktion sein: ,,Ist es so?'' Würden wir denn nicht entgegengesetzte Ansichten in einer wissenschaftlichen Debatte erwarten?

Der Grund, weshalb Ken Wilber 250 Seiten von Anmerkungen in seinem großen Werk hatte und seinen Standpunkt über den Bezug auf wissenschaftliche Quellen darlegte, war, dass er seinen Aussagen Legitimität geben wollte. Wenigstens seit der Aufklärung ist es das, was wir in unserer Kultur machen.

Während es deshalb verlockend ist, auf seine neue Runde von Behauptungen zu antworten, wie ich es zweimal vorher getan habe, mit Zitaten von Gelehrten, die die Themen studiert haben, glaube ich aus den oben erwähnten Gründen nicht, dass es produktiv sein würde. Meine Jahre des Trainings und Erfahrens als Therapeut haben mich gelehrt, dysfunktionale zwischenpersönliche Muster herauszufinden. Nach zwei Karussellrunden mit Harris sehe ich bereits das dysfunktionale Muster: Harris macht undokumentierte Aussagen, ich erwidere mit einem Reichtum an Beweisen und er macht bloß weitere undokumentierte Äusserungen. Harris begnügt sich, auf Ebene drei zu verweilen, weit weg vom Phänomen selbst.

Erwiderung zu Hamas

Doch ich kann nicht völlig der Versuchung widerstehen. Weil ich so viele Auswahlstücke an Beweisen habe, will ich mir bloß zwei Erwiderungen erlauben. Meine erste Erwiderung betrifft die antisemitischen Teile der Hamas-Charta, die Harris zitiert. Das ist einer der wenigen Augenblicke, in denen Harris wirklich Beweise zitiert, und das mit einer guten Wirkung. Die Charta ist tatsächlich scheusslich, wie er sagt, und jene scheinheilige verschwörerische Kolportage ist üblich im Nahen Osten. Das ist ein Teil des Grundes, weshalb ich Noam Chomsky zitiert habe, der sagt, dass er ,,gegen die Hamas-Politik in fast jeder Hinsicht eingestellt ist.'' Doch hier ist eine alternative Ansicht, wie man auf Hamas erwidert, vorausgesetzt sie existieren, dass sie demokratisch gewählt wurden nach den geäußerten Wünschen der USA und Israels und dass man damit umgehen muss. Wie in meiner zweiten Erwiderung auf Harris zitiere ich wieder den früheren israelischen Sicherheitsminister, Außenminister, Camp David Verhandler und Historiker Shlomo Ben Ami. Hier sind seine Ansichten in Bezug auf Hamas, geäußert in einem Interview mit ,,Demokratie jetzt''- Gastgeberin Amy Goodman:

[SHLOMO BEN-AMI:] Wenn es um die neue Situation in der palästinensischen Regierung heutzutage geht, bin ich weniger pessimistisch als viele andere. Ich meine nicht, dass wir automatisch die neuen Führer in Ramallah und Gaza als Friedenspartner ausschließen müssen. Da gibt es Dinge, die getan werden müssen.

AMY GOODMAN: Hamas, meinen Sie.

SHLOMO BEN-AMI: Ja, Hamas. Ich meine, dass es nach meiner Ansicht eine Art poetischer Gerechtigkeit bei dem Sieg von Hamas gibt. Was ist denn schließlich der Grund für diese Nostalgie für Arafat und die P.L.O.? Haben sie die Angelegenheiten der Pälastinenser auf eine saubere Weise behandelt? Sie erwähnten die Korruption, die Unwirksamkeit. Natürlich hat Israel eine Menge zur Desintegration des palästinensischen Systems beigesteuert, zweifelsohne, doch ihre Führer haben es vermasselt. Ihre Führer haben sie betrogen, und der Sieg von Hamas ist in vieler Hinsicht eine ausgleichende Gerechtigkeit. Daher können wir nicht Demokratie predigen und dann sagen, dass jene, die gewonnen haben, von uns nicht akzeptiert werden. Entweder gibt es Demokratie, oder es gibt keine Demokratie.

Und was diese Leute angeht, ich meine, sie sind viel pragmatischer als das normalerweise wahrgenommen wird. 1990 erfanden sie ein Konzept einer zeitweiligen Übereinkunft mit Israel. In den 1990ern geschah es zum ersten Mal, dass Hamas über eine zeitweilige Übereinkunft mit Israel sprach. 2003 erklärten sie einseitig den Waffenstillstand, und der Grund, weshalb sie den Waffenstillstand erklärten, ist der, dass sie bei Arafat, dessen…Regierungssystem das von Teilen und Herrschen war, vom politischen System ausrangiert waren. Mahmoud Abbas hat sie in das politische System integriert und das ist es, was sie zum Waffenstillstand gebracht hat. Sie sind daran interessiert, sich selbst zu politisieren, indem sie eine politische Organisation werden. Und wir müssen nach Wegen suchen, auf denen wir mit ihnen arbeiten können.

Nun, jeder sagt, sie müssen zuerst den Staat Israel anerkennen und den Terrorismus beenden. Glauben Sie mir, ich hätte gern, dass sie das heutzutage machen, doch sie sind nicht dabei, es zu tun. Sie werden dass schließlich in der Zukunft machen, doch nur als Teil eines quid pro quo[im Gegenzug; d.Übs.], genauso wie es die P.L.O. gemacht hat. Als Rabin mit ihnen zu Verhandlungen kam, erkannte die P.L.O. auch nicht den Staat Israel an und sie beteiligten sich an allen Arten von unangenehmen Praktiken. Und deshalb müssen wir sehr viel realistischer sein und müssen ausgediente Klischees aufgeben und schauen, ob wir etwas mit diesen Leuten erreichen können. Ich glaube, dass eine langfristige Zwischenlösung zwischen Israel und Hamas erreichbar und möglich ist, sogar wenn sie nicht direkt zwischen den Parteien ausgehandelt wird, sondern durch eine dritte Partei.

Während wir in den USA zu Recht mit Abscheu zurückschrecken bei der Hamas-Charta, zucken wir denn ebenfalls zusammen, wenn Muslime im Nahen Osten routinemäßig , innerhalb und außerhalb des Militärs, als „Terroristen“ und „Lumpenköpfe“ und wenn zwei ihrer Länder als Teil einer „Achse des Bösen“ vom amerikanischen Präsidenten bezeichnet werden? Während diese Scheinheiligkeiten milder als die Hamas-Charta sind, hatten wir Amerikaner nicht unser Land von Arabern besetzt und sind nicht missbraucht worden in den vergangenen 40 Jahren, wie es den Palästinensern in ihren besetzten Gebieten ergangen ist. Wenn die USA das erlitten hätten, was die Palästinenser erlitten haben, würde die amerikanische Durchschnittsmeinung das Aufspießen der Kleinkinder der Besatzer mit dem Bajonett rechtfertigen.

Ich schätze, Harris glaubt, dass er etwas demonstriert hat, indem er zeigt, dass es einen verderblichen Antisemitismus unter den Arabern gibt, doch, wie ich verschiedene Male schreiben musste,das ist nicht der zu entscheidende Streitpunkt. Wir waren unterschiedlicher Meinung über dieUrsachedes Antisemitismus, nicht über sein Vorkommen. Harris argumentiert, dass er etwas ist, das im Islam und im Koran eingewurzelt ist, und ich argumentiere, dass er zu- und abnimmt entsprechend den wichtigeren Determinanten des territorialen Konflikts, der wirtschaftlichen und politischen Macht. Eine Debatte kann nicht stattfinden, solange die aufgestellten Punkte nicht verstanden und beantwortet sind.

Dershowitz' ,,Gelehrsamkeit"

Mein nächstes unwiderstehliches Beispiel kommt vom Harvard Juraprofessor, dem selbsternannten Verfechter Israels und Harris-Quelle, Alan Dershowitz. Dershowitz belichtet offensichtlich Noam Chomskys Vorurteil gegen Israel und seine antisemitische Scheinheiligkeit, indem er Chomskys eigene Worte zitiert:

[D]ie Juden verdienen eine ,,zweite Heimat” nicht, weil sie bereits New York haben, mit einer riesigen jüdischen Bevölkerung, jüdisch betriebenen Medien, einem jüdischen Bürgermeister und die Beherrschung des kulturellen und ökonomischen Lebens.[1]

Ziemlich unangenehm. Ist es nicht offensichtlich aus diesem Zitat, dass Chomsky nicht meint, die Juden hätten ein Recht auf Israel und dass sie New York City kontrollieren? Typisches antisemitisches Gewäsch, richtig?

Lassen Sie uns näher hinschauen.

Das obenstehende Zitat von Chomsky stammt aus Alan Dershowitz' neuestem BuchThe Case for Peace[Der Fall für den Frieden; d.Übs.]. Es erscheint über dem Haupttext, der Kapitel 16 einleitet, ,,Eine Fallstudie über Hass und Einschüchterung.'' Dershowitz sagt, er habe das Zitat von Werner Cohn erhalten. Cohn führt aus, dass Chomskys Kommentar eine Antwort auf A.M. Rosenthal von der New York Timessei, der argumentierte, in Cohns Worten, dass „Jordanien ein palästinensischer Staat sei (Jordaniens Territorium liegt in dem originalen britischen Mandat von Palästina), und [Rosenthal] widersetzt sich der Schaffung eines zweiten palästinensischen Staates in jenem Territorium [d.h. der Westbank].'' Deshalb argumentiert Rosenthal, dass die Palästinenser keinen Staat verdienen, weil sie bereits Jordanien haben. Als Erwiderung zu diesem üblich geäußerten Standpunkt schrieb Chomsky: „Wir könnten fragen, wie die Times reagieren würde auf einen arabischen Anspruch, dass die Juden keine ,zweite Heimat' verdienten, weil sie bereits New York haben, mit einer riesigen jüdischen Bevölkerung, jüdisch betriebenen Medien, einem jüdischen Bürgermeister und der Beherrschung des kulturellen und ökonomischen Lebens."[2]

Aus Dershowitz' Quelle erkennen wir jetzt, dass Chomsky eine sarkastische Analogie benützte, um zu argumentieren, dass es ebenso lächerlich sei zu sagen, die Palästinenser verdienten keine Heimat in der Westbank und in Gaza (d.h. wo sie leben), weil es so viele Palästinenser in Jordanien gibt, wie zu sagen, die Juden verdienten keine Heimat in Israel, weil es so viele Juden in New York gibt. Cohns Zitat zeigt deutlich den Kontext des Zitats, das Dershowitz absichtlich aus dem Kontext herausgenommen hat, um Chomsky anscheinend das Gegenteil dessen sagen zu lassen, was er tatsächlich sagte und glaubt.

Und wir wissen, dass es eine vorsätzlicheFehldeutung ist, weil sogar Dershowitz' Quelle für dieses Zitat, Werner Cohn – ein Mann ist, der argumentiert, dass Chomsky „der wichtigste Förderer''[3] der Neonazi-Bewegung –, es in seinen passenden Kontext platziert. Dershowitz' Unredlichkeit und Rachsucht sind weiterhin erkennbar in seinem absichtlich herausgestrichenen ,,Wir könnten fragen, wie die Times reagieren würde auf einen arabischen Anspruch, dass…'', um es anhören zu lassen, als wäre es bloß Chomsky, der seine Ansicht verkündet. Es ist selten, eine solche vorsätzliche Unredlichkeit in einem angeblich wissenschaftlichen Buch anzutreffen. Es gibt viele weitere Beispiele für Dershowitz' armselige Gelehrsamkeit. [4]

Nun, das sind meine beiden Beispiele. Ich könnte viel mehr Beweise anführen, um Harris' viele falschen Behauptungen in seiner neuesten Erwiderung zu widerlegen und zu verbessern, doch ich werde das nicht tun aus den Gründen, die ich oben hinsichtlich der Debatte vorgetragen habe. Gemäß meiner Konzeption der Debatte wäre ich der Einzige, der debattiert.

Schlussfolgerung

Ich meine, es ist fair zu sagen, dass der Unterschied zwischen Harris und mir ist, dass wir die Verantwortung für die gegenwärtigen israelisch-palästinensischen und israelisch-arabischen Konflikte unterschiedlich gewichten. Ich argumentiere, dass Israel mehr Verantwortung trägt und er argumentiert, dass die Palästinenser und die Araber mehr Verantwortung tragen.

,,Es gibt einen Frieden, der erreicht werden musste…doch die Israelis, mit amerikanischer Rückendeckung, wollen ihn nicht, weil sie das Land haben wollen.''
Um meine Position zusammenzufassen: Die Israelis haben 1967 einen Krieg begonnen und haben die Westbank und Gaza eingenommen, wo die Palästinenser lebten. Dies ist als illegaler Akt unter internationalem Recht verurteilt worden. Seit wenigstens 1988 gibt es einen internationalen Konsens darüber, wie die Situation zu bereinigen ist: Land für Frieden. Die USA und Israel haben gegen aufeinander folgende UN-Resolutionen gestimmt, die versuchten, die Situation gemäß diesem internationalen Konsens zu bereinigen. Dies wird eine ,,zurückweisende'' Position genannt, weil sie das Übereinkommen ablehnt, dem die internationale Gemeinschaft – einschließlich der Allierten der USA, der hauptsächlichen arabischen Staaten und der PLO – zugestimmt hat. Es gibt einen Frieden, der erreicht werden muss, und Hamas könnte wahrscheinlich zu ihm hingeführt werden, wie es mit der PLO war, wie Shlomo Ben-Ami sagt, doch die Israelis, mit amerikanischer Rückendeckung, wollen ihn nicht, weil sie das Land haben wollen. Deshalb haben sie ihre illegale Kolonisierung (beschönigend „Siedlungen'' genannt) der besetzten Territorien über all diese Jahre fortgesetzt.

Es gibt immer eine bestimmte Ebene von Scheinheiligkeit zwischen Gruppen, die durch Kultur, Volkszugehörigkeit oder Religion getrennt sind – immerhin sind sie zum Teil nicht als die anderen definiert – doch ob diese Scheinheiligkeit eine milde, private Angelegenheit ist oder ein gewaltsamer Fanatismus, das hängt von den politischen, ökonomischen und sozialen Einrichtungen ab, innerhalb derer die sich unterscheidenden Gruppen leben.

Ein von mir in einer derartigen Diskussion vorausgesetztes Verständnis war, dass wenn wir auf der (dritten) Ebene des ,,er sagte, sie sagte'' oder ,,dem Diskreditieren'' verbleiben, würden wir nirgendwo hingelangen. Und so ist es gekommen.

Anhang – Meine eigene Konzeption der Debatte dekonstruieren

Die obige Konzeption der Debatte ist ein heuristisches und pragmatisches Werkzeug und sollte nicht vergegenständlicht werden. Ich meine, sie könnte unseren Zwecken gut dienen, doch wenn sie näher untersucht würde, wird sie in die Binsen gehen. Das würde eine dekonstruktive oder skeptische Lesart meiner Konzeption sein. Die oben beschriebene Konzeption setzt voraus, dass es eine Weise gibt, auf die die Dinge geschahen und dass wir alle versuchen, unsere Beschreibungen so hinzubekommen, dass sie zu dieser Weise passen – die sich als das Zentrum des Kreises darstellt. Dennoch bestätigt sie ebenfalls, dass das, was geschehen ist, für immer vergangen ist. Wenn es vergangen ist, wo verbleibt seine Existenz? Was ist das, dem wir versuchen, unsere Beschreibungen anzupassen? Wie ist das ,,was geschah'' ein Garant für unsere richtigen Darstellungen, wenn es nicht mehr existiert?

Welcher Aspekt des Geschehenen ist ordnungsgemäß im Zentrum? Vielleicht die kollektiven erlebten Erfahrungen des Geschehens. Wenn das Ereignis einmal vergangen ist, gewinnt es dennoch nur seine Wirklichkeit des Geschehenen durch die erläuternden Rekonstruktionen von Leuten, die es benennen und beschreiben. Auf welche Weise informiert die Wirklichkeit des Geschehenen noch seine Erläuterungen; besonders wenn es nicht mehr existiert? Vielleicht durch die Wirkungen, die jene Ereignisse verursachten.

Die erste Ebene der dokumentarischen Überbleibsel und die zweite Ebene der wissenschaftlichen Erläuterungen scheinen deutlich unterschieden zu sein, mit den Überbleibseln, die das enthalten, was von den aktuellen Ereignissen zurückgeblieben ist. Welche Art von Existenz haben denn die Überbleibsel, ohne die Gelehrten und die Anderen, die sie interpretieren? Ohne die Gelehrten bleiben die Überbleibsel inaktiv als Beweise des Geschehenen. Daher gibt es eine Weise, in der jene beiden Ebenen vereinigt sind, weil die eine ohne die andere nicht existiert. Und weil das Zentrum oder das Ereignis nicht länger vorhanden ist und niemals wirklich als eine integrierte Einheit existiert hat, kann von ihm gesagt werden, dass es nicht vorhanden und überhaupt niemals wirklich vorhanden gewesen ist.

Gab es zum Beispiel einen ,,Vietnamkrieg''? Auf eine Weise nicht, weil er viele Jahre nicht so genannt wurde. Bis zu einer gewissen Zeit, als ich ein Kind war, war der Bezug zu dem Vietnamkrieg als ,,Vietnamkrieg'' das Aussprechen einer politischen Äußerung, weil man sich immer noch in den USA auf ihn bezog als eine ,,politische Aktion'' oder ,,den Vietnamkonflikt''. Dennoch pflegen einige zu argumentieren, dass man sich genauer auf ihn beziehen sollte als die amerikanische Invasion von Vietnam. Haben denn nicht die USA Südvietnam gegen Nordvietnam verteidigt? Dann ist es ebenso umstritten, weil es keine derartige offizielle Teilung gab, ihr Dasein war höchstens eine zeitweilige Unterscheidung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Vietnam zum Zweck einer Abstimmung nach dem Genfer Übereinkommen von 1954, das die USA nicht zulassen wollten, weil, wie Eisenhower aussagte, ,,wären die Wahlen abgehalten worden, hätten möglicherweise 80% der Bevölkerung für den Kommunisten Ho Chi Minh gestimmt.'' Alle würden wahrscheinlich zustimmen, dass es Kämpfe in Vietnam gab, doch sobald wir einmal über gewisse Grundtatsachen hinweggelangen, werden die Interpretationen der Teilnehmer und jener, die die Ereignisse studieren, zentral.

In meiner Konzeption der Debatte liegt der Ort der Realität im Zentrum und in abnehmenden Graden in den nachfolgenden annähernden Ebenen. Doch man kann auch unterschiedlich darauf schauen. Das Ereignis ist nicht mehr vorhanden und wird nur eine entsprechend benannte zusammenhängende Einheit durch diejenigen, die es interpretieren. Die dokumentarischen Überbleibsel interpretieren sich nicht selbst und sie haben kein bedeutungsvolles Leben ohne die Interpretationen von jenen, die mit dem Ereignis zummenhängen, von jenen, die davon gehört haben, von Gelehrten, die es studieren und von jenen, die die Arbeiten der Gelehrten studieren. Daher liegt der Ort der Realität in dieser Konzeption bei den Interpretationen der Menschen. Und was als Tatsache oder Fiktion zählt, wird bestimmt durch die Kriterien, die die beteiligten Menschen als vorherrschend betrachten.

Wenn daher das Zentrum eine Fiktion ist, die niemals existierte, wovon sind dann die verschiedenen Interpretationen Rekonstruktionen? Ohne die Existenz des Ereignisses selbst, um zwischen den unterschiedlichen Interpretationen ein Urteil zu sprechen, was garantiert die Richtigkeit eher der einen als der anderen Interpretation? Gibt es keine Zurückhaltung bei unseren Interpretationen?

,,Es gibt Beschränkungen bei den Interpretationen, doch das sind nicht die Tatsachen selbst."
Es gibt Beschränkungen bei den Interpretationen, doch das sind nicht die Tatsachen selbst. Die Tatsachen werden bestimmt durch die Kriterien, die wir anwenden und denen wir zustimmen, um die Tatsachen zu schaffen. Es gibt viele Kriterien, die in derartigen epistemologischen Anweisungen eingebettet sind wie: ,,Überzeuge dich selbst'', ,,Gott sagte mir'', ,,Teste es'', ,,es fühlt sich so an, als wäre es das Richtige, was zu tun ist'', ,,führe ein Experiment durch'', ,,das ist widersprüchlich'', ,,traue deiner Intuition''. Wie sollen wir bei diesem Allerlei an Kriterien wissen, was richtig ist? Ich meine, dass der letzte Ursprung unserer Kriterien und die Beschränkung auf unsere Kriterien unser Bestreben ist, auf eine besondere Weise miteinander zu leben. Die Weise, in der wir entscheiden, was wahr und richtig ist, ist auf ihrer Grundlage eine Konzeption dessen, wie wir uns gegeneinander verhalten sollten, was seinerseits davon abhängt, was wir meinen, wie ein Individuum und eine Gemeinschaft sind und sein sollten.

In den USA auf privaten Radiostationen – wie sie gegen die etablierten Nachrichtensender sind – werden die Leute alles vom Stapel lassen und die lächerlichsten Sachen sagen in den ,,Debatten'', die sie abends bringen. Ihre Konzeption, wie man miteinander leben sollte, basiert auf Vorstellungen und Erscheinungen, es ist ein Scheinbild einer Debatte. Nichts wird von Beweisen bestimmt, die durch Kriterien gerechtfertigt werden können, die die Teilnehmer akzeptieren. Das Ziel ist, so zu erscheinen, dass man die Oberhand gewinnt und damit die Zuhörerschaft zu dem Glauben zu überzeugen, dass es bei der eigenen Rhetorik eine etwas größere Gültigkeit gibt. Man macht Punkte, wie bei einem Sportwettkampf, dem der durchschnittliche Amerikaner mehr folgt als gegenwärtigen Geschehnissen.

Wenn es nicht die reinen Tatsachen sind, die unsere Ansicht von einer Situation verursacht haben, was ist es dann? Was ist der Unterschied zwischen zwei Menschen mit unterschiedlichen Ansichten? Denken Sie an die widerstreitenden Experten bei gerichtlichen Verfahren. Oder streitige akademische Debatten. Warum haben zwei Menschen gegensätzliche Ansichten, wenn die Tatsachen nicht auf die eine oder andere Weise überzeugen? Welcher ist der Ursprung der Opposition, wenn nicht der, dass eine Person missverstanden wird?

Meine gedankliche Konzeption selbst, die die größte Wirklichkeit dem Zentrum und den naheliegenden Ebenen verleiht, kommt aus der zweiten und dritten Ebene. Sie ist dort in der herrschenden intellektuellen Kultur, dass unterschiedliche Aspekte der Existenz für mehr oder weniger wirklich eingestuft werden. Es ist wie ein kleiner Trick, wie das Postulieren Gottes durch die Menschheit und dann diese Forderung dazu zu benützen, um zu sagen, dass ihr Gott ihnen die absolute Autorität gäbe. In ähnlicher Weise postulieren oder bestimmen wir Modernen, was die Realität ist und dann sagen wir, dass unsere Interpretationen ihre Rechtmäßigkeit aus jener Realität gewinnen, die ursprünglich von uns postuliert wurde. Wissen als trompe l'oeil[Illusionsmalerei; d.Übs.].

Wie entscheiden wir, was richtig und wahr ist? Individuell machen wir unser Aufgebot an Glaubensüberzeugungen für ein Aufgebot an psychologischen Gründen fest. Doch gesellschaftlich müssen wir jene Glaubensüberzeugungen rechtfertigen gemäß den Kriterien der Validierung, die wir mit dem teilen, mit dem auch immer wir debattieren. Das heißt, die Kriterien zu finden, die in jeder möglichen Diskussion zur allgemeinen Verfügung stehen.

REFERENZEN

[1] Chomsky, Noam, cited in Alan Dershowitz's The Case for Peace, (John Wiley & Sons: Hoboken, NJ, 2005), p.167.

[2] Cohn, Werner, "Chomsky and Holocaust Denial," in Peter Collier and David Horowitz, eds., The Anti-Chomsky Reader, (Encounter Books: San Francisco, CA, 2004), p. 117. Eine neue Version der Analogie wurde von Chomsky gegenüber Alan Dershowitz selbst in einer Debatte geäußert. Hier ist das ganze Zitat:

,Die Sache erreichte einen Höhepunkt 1988, als die PLO von stillschweigender Zustimmung zu formeller Akzeptanz des Zwei-Staaten-Konsenses voranschritt. Israel erwiderte mit einer Erklärung, dass es, wie sie es ausdrückten, keinen ,,zusätzlichen palästinensischen Staat zwischen Jordanien und dem Meer'' geben könne, da Jordanien schon ein palästinensischer Staat sei – das ist Shimon Perez und Yitzhak Shamir – und dass der Status der Territorien ebenfalls gemäß israelischen Richtlinien vereinbart werden müsse. Die USA billigten Israels Standpunkt. Ich kann nur beifügen, was ich zu der Zeit schrieb: ,,Das ist, als würde jemand argumentieren, die Juden bräuchten keine zweite Heimat in Israel, weil sie bereits New York hätten.'' (http://www.chomsky.info)

[3] Cohn, p.119.

[4] Für viele weitere Beispiele von Dershowitz' armseliger Gelehrsamkeit, Unredlichkeit und Plagiatentum siehe Norman Finkelsteins detaillierte Zergliederung von Dershowitz'The Case for Israel[Das Verfahren für Israel] in FinkelsteinsBeyond Chutzpah[Über die Dreistigkeit hinaus].




© Jeff Meyerhoff 2007