INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber
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Dieses Manuskript wurde 1982 im Selbstverlag veröffentlicht als
Occult Wereldbeeld
(„Die Okkulte Weltsicht") und 1995 wiederveröffentlicht als
Zeven Sferen
(„Sieben Sphären") von dem Niederländischen Theosophischen Verlagshaus. Es
enthält meine Zusammenfassung der Tradition der immerwährenden Philosophie, wie
sie in den Schriften von theosophischen Autoren wie Annie Besant, C.W.
Leadbeater, I.K. Taimni und anderen gefunden werden kann. Sie verschafft den
Hintergrund der
Artikel über die immerwährende Philosophie
, die ich für IW geschrieben habe.
INHALTSVERZEICHNIS
REINKARNATION
|
VIJNANA | BEWUSSTSEIN |
SAMSKARA | EINDRÜCKE |
SANJNA | EMPFINDUNGEN |
VEDANA | GEFÜHLE |
RUPA | FORM |
DIE FÜNF SKANHDHAS | IHRE BEDEUTUNG |
---|
In der buddhistischen Ansicht von der menschlichen Natur wird ein menschliches Wesen aus mehreren verschiedenen ‚Haufen’ oder Skandhas aufgebaut, mit überhaupt keinem zentralen Führungsprinzip (s. Abb. 5.1). Nach meiner Meinung ist es jedoch höchst fragwürdig, überhaupt zu vermuten, dass irgendeine ‚Struktur’, wie subtil auch immer, in und durch sich selbst das Phänomen des Bewusstseins produzieren kann. Ein Skandha ist eine materielle Struktur, einem subtilen Körper entsprechend, die als ein Instrument des Bewusstseins funktioniert, die selbst aber unbewusst ist. Das höchste von den Skandhas (Vijnana) als ‚Bewusstsein’ zu übersetzen, wie es oft getan wird, ist daher irreführend. Bewusstsein kann nicht von den Skandhas oder irgendeiner materiellen Struktur abgeleitet werden.
Buddhistische Kommentatoren ziehen es vor, von ‚Wiedergeburt’ [‚rebirth’] anstelle von Reinkarnation zu sprechen, denn wo Reinkarnation die Andeutung eines reinkarnierenden Selbst hat, hat Wiedergeburt einen unpersönlicheren Geschmack. Wiedergeburt kann mit der Situation verglichen werden, wenn zwei Billardkugeln zusammenstoßen. Die zweite Kugel ist nicht die Reinkarnation der ersten, doch die Eigendynamik der ersten wird noch auf die zweite übertragen. Daher ist es in dieser Ansicht das Karma (d.h. die Wirkung unserer Handlungen), das weitergegeben wird, nicht eine unsterbliche Seele. Es ist jedoch fragwürdig, ob diese Interpretation im Einklang mit dem steht, was der Buddha tatsächlich gelehrt hat.
Wenn wir den buddhistischen Text konsultieren, der über das Thema des Selbst (oder tatsächlich Nicht-Selbst) spricht, dann ist die Situation überhaupt nicht klar. In einer seiner ersten Ansprachen nach seiner Erleuchtung sagte der Buddha seinen Anhängern, dass das Selbst nicht in irgendeinem der fünf Skandhas gefunden werden kann – eine einfache und vernünftige Äußerung der Tatsache, dass das Selbst von seinen Körpern verschieden ist. Nirgends wird gesagt, dass das Selbst in sich nicht existiert. Was gesagt wird, ist dass das Selbst nicht in seinen Körpern gefunden werden kann. Und die logische Operation von all dem ist, dass das Selbst gefunden werden kann, indem man die Identifikation mit diesen jeweiligen Körpern abbricht.
Das ist es, was der Buddha sagte:
Der Körper (rupa), ihr Mönche, ist nicht das Selbst.
Wenn der Körper, ihr Mönche, das Selbst wäre, dann würde der Körper nicht dem Sterben unterworfen sein, und wir könnten sagen: ‚Lass meinen Körper so sein, lass meinen Körper nicht so sein.’
Weil der Körper, ihr Mönche, nicht das Selbst ist, ist der Körper dem Sterben unterworfen, und wir können nicht sagen: ‚Lass meinen Körper so sein, lass meinen Körper nicht so sein.’
Empfindung (vedana), ihr Mönche, ist nicht das Selbst….[das gleiche Argument wird wiederholt].
Die Wahrnehmung (sanna) ist nicht das Selbst…[ebenso]
Die Samkharas sind nicht das Selbst…[ebenso]
Das Bewusstsein (vinnana) ist nicht das Selbst…[ebenso]
-- Mahavagga, I, 6, 38
Dieses Sutra kann in Band XIII des Die Heiligen Bücher des Ostens , herausgegeben von Max Müller gefunden werden. Die Anmerkung der Übersetzer Rhys Davids und Olderberg ist in dieser Hinsicht von äußerster Wichtigkeit:
‚Das Selbst (atta), wenn es überhaupt existiert, muss dauerhaft und unvergänglich sein, es kann nicht in einer dieser fünf Klassen gefunden werden, die alle dem Entstehen und Vergehen unterworfen sind. Diese Ansprache des Buddhas, die das Anattalakkhana-Sutra genannt wird, zeigt, dass die fünf Skandhas vergänglich sind und dass die Skandhas nicht das Selbst sind. Doch das geht nicht auf die Frage ein, ob das Selbst in irgendeiner Weise existiert.’
Weitere Unterstützung für die Meinung, dass der Buddha die Existenz des Selbst nicht geleugnet hat, kann bei dem deutschen Buddhistologen Georg Grimm gefunden werden. Er wies überzeugend nach, dass die Schlussfolgerung, der Buddha habe das Selbst verleugnet, nicht sehr stark ist und nicht von frühen buddhistischen Texten unterstützt wird. Gemäß Grimm lehrte der Buddha lediglich eine gewisse Methode, das Sebst zu finden : Jemand der alles zurückweist, was nicht das Selbst ist, wird letztendlich das Selbst finden. Edward Conze, selbst ein großer Experte im Buddhismus, sagte über Grimm: ‚Je mehr ich mich mit diesen Angelegenheiten beschäftige, desto mehr bin davon überzeugt, dass Georg Grimms Interpretation der buddhistischen Anatta-Theorie am dichtesten bei der ursprünglichen Lehre des Buddhas ist.’
Um es anders auszudrücken: das Selbst kann als ein Subjekt niemals auf ein Objekt des Bewusstseins reduziert werden. Was auch immer zu einem Objekt des Bewusstseins gemacht werden kann, kann nicht das Selbst sein. In dieser Hinsicht ist die Lehre des Buddhas vollständig im Einklang mit den Grundsätzen des Hinduismus, in denen die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Nicht-Selbst von höchster Wichtigkeit ist. Zum Beispiel definiert Patanjali Nichtwissen (avidya) in seinen Yoga Sutras (vergl. II-5) wie folgt:
Avidya hält das Nicht-Ewige, das Unreine, das Böse und das Nicht-Selbst für ewig, rein, gut und das Selbst.
Buddhismus und Hinduismus können bei diesem wichtigen Thema zu einer verständlichen spirituellen Doktrin in Übereinstimmung gebracht werden: das Selbst ist kein Objekt; lass alle Objekte fallen und du wirst das Selbst finden. Wir dürfen feststellen, dass die Schlussfolgerung, der Buddha habe das Selbst verleugnet, wenigstens etwas überhastet ist. Wenn wir das menschliche Wesen abbilden, dass es ein Selbst oder Geist ist, das in mehreren Leibern, Strukturen oder Skandhas verkörpert ist, und dass der Weg zum Selbst oder Geist aus dem Abbrechen der Identifikation mit diesen Körpern besteht, dann haben wir eine ausgewogene Ansicht über dieses schwierige Thema, die uns in unserem spirituellen Leben helfen kann.
Arthur Powell fasst dieses Thema in einer meisterhaften Weise zusammen, indem er die Ansichten von Leadbeater und Besant widerhallen lässt:
Eine korrekte Ansicht über die Verwandtschaft zwischen dem Ego und seinen aufeinanderfolgenden Persönlichkeiten sollte zur Abklärung der Missverständnisse genügen, die sich in Bezug auf die Lehren des Lords Buddha ergeben haben. Der Buddha predigte ständig gegen die Idee der Kontinuität der Persönlichkeit, die augenscheinlich zu seiner Zeit vorherrschend war. Doch während er lehrte, dass nichts von dem allen, mit dem sich die Menschen im allgemeinen identifizieren, für immer andauert, machte er unmissverständliche Aussagen über die aufeinanderfolgenden Leben der Menschen. Er gab Beispiele von vergangenen Leben und verglich aufeinanderfolgende Inkarnationen mit Tagen, die man in diesem oder jenem Dorf verbracht haben mag.
Trotzdem lehrt die südliche Kirche des Buddhismus jetzt, dass nur das Karma fortbesteht, nicht ein Ego; als würde ein Mensch in einem Leben einen gewissen Betrag an Karma verursachen und dann versterben und nichts bleibt von ihm übrig, sondern eine andere Person würde geboren und hätte das Karma zu tragen, was jene Person nicht getan hatte.
Mit seltsamer Unlogik jedoch, trotz der formalen Lehren für das Gegenteil, besteht ein praktischer Glaube an die fortlaufende Existenz eines Individuums, wenn zum Beispiel buddhistische Mönche davon sprechen, das Nirvana zu erlangen und anerkennen, dass das viele Leben in Anspruch nehmen wird.
Die wirkliche Bedeutung dieser Lehre des Buddha liegt in der großen Betonung, die er auf den externen zeitweiligen Teil des Menschen legte, der nicht Bestand hat, und die Implikation, dass die Teile des Menschen, die nicht zeitweilig oder extern sind, tatsächlich überleben als das überbleibende Ego, der wirkliche Mensch.
Die beeindruckenden letzten Worte von Buddha mit der Wirkung, dass alle zusammengesetzten Dinge vergehen müssen und dass wir unsere Erlösung fleißig herausarbeiten sollten, stehen im Einklang mit dieser Interpretation. Unsterblichkeit kann nicht in unseren Körpern gefunden werden, sondern befindet sich in unserem Selbst. Jemand der die Identifikation mit diesen Körpern aufgibt, wird das unsterbliche Selbst finden.
Manchmal wird die – ziemliche schwache – Entgegnung in buddhistischen Schriften angetroffen, dass der Buddha nicht so sehr das Selbst verleugnet hat wie die absolute und ewige Natur des Selbst. Wenn das die Bedeutung der Anatta-Doktrin ist, dann können wir damit leben. Ob das Selbst absolut und ewig ist, das ist keine Frage, die im Moment viel an praktischer Bedeutung hat. Für die relativ kleine Maßsituation, in der wir leben, ist es ausreichend zu bemerken, dass es ein inneres Selbst in menschlichen Wesen gibt, das reinkarniert.
Verschwörung gegen das Selbst?
Sowohl in westlicher Philosophie wie auch in der modernen, materialistischen Psychologie können ‘buddhistische’ Argumente für die Nicht-Existenz des Selbst gefunden werden. Zum Beispiel bemerkte der Philosoph David Hume in einer Passage, die für diese Position klassisch geworden ist, dass es kein Selbst gebe, weil er während der Selbstbetrachtung nur fließende Gefühle und Gedanken entdecken konnte:
Jedesmal wenn ich mich nach innen wende, finde ich immer irgendeine Art von Empfindung, Hitze oder Kälte, Licht oder Schatten, Schmerz oder Wohlgefühl. Zu keiner Zeit finde ich mich selbst ohne eine Empfindung.
Eine ziemlich elementare Frage ist hier angezeigt: wer ist es dann, der diese Empfindungen wahrnimmt? Das was wahrnimmt, ist natürlich…das Selbst! Nach meiner Einschätzung können wir einfach nicht ohne die Idee von einem Selbst auf die Suche nach einer befriedigenden Erklärung für menschliches Bewusstsein gehen.
In der westlichen Psychologie ist das Thema vom Selbst ebenfalls mehr oder weniger tabu. Der Standardgrund dafür ist, dass die Hypothese von einem Selbst uns zu zirkulären Argumenten wie diesem führen würde: wir sind uns bewusst, weil wir ein Selbst sind, dass sich bewusst ist. Wenn jedoch die einzige Alternative dazu eine materialistische Erklärung des Bewusstseins ist, sind wir noch weiter von Zuhause entfernt… Die Entwicklungspsychologie spricht von mehreren Strukturen des Bewusstseins, die sich eine nach der anderen entwickeln, jedoch nicht von einem Selbst, das von diesen Strukturen Gebrauch macht. Das gleiche Missverständnis vom Phänomen des Selbst ist weit verbreitet im Feld der künstlichen Intelligenz, wo man versucht, das menschliche Wesen als eine Maschine wie einen Personalcomputer zu sehen. Tatsächlich ist ein Computer ein perfektes Beispiel für ein buddhistisches Skandha, eine Ansammlung von losen Komponenten, die den Eindruck vermittelt, Bewusstsein zu besitzen, der es jedoch an innerem Leben fehlt.
Es gibt wichtige Ähnlichkeiten zwischen dem Buddhismus und der modernen Psychologie. Beide verleugnen ein Selbst und analysieren das menschliche Wesen als einen Satz von materiellen Strukturen. Es scheint eine Verschwörung gegen das Selbst zu geben, die auf den Buddhismus und die Psychologie gleichermaßen hindeutet, als ob die höchste Einsicht in die menschliche Natur hier erreicht worden wäre. Genaue Naturwissenschaft und östliche Weisheit scheinen sich hier wieder zu treffen! Wir sollten uns jedoch nicht zu früh darüber freuen. Die Verleugnung des Selbst ist höchst fragwürdig.
Denn weil kein materielles Maschinenteil wie ein Personalcomputer Bewusstsein nur durch sich selbst erzeugen kann – eine Schlussfolgerung, die allmählich über der Welt der künstlichen Intelligenz aufdämmert – kann kein Satz von Skandhas für sich selbst Bewusstsein erzeugen. Tatsächlich könnte uns die künstliche Intelligenz lehren, dass ein menschliches Wesen mehr ist als eine Maschine, während die Unterschiede zwischen Menschen und Computern ans Licht kommen. Das höchste der fünf buddhistischen Skandhas, das oft mit ‚Bewusstsein’ übersetzt wird, hat in Wirklichkeit mit einer Fähigkeit des Selbst zu tun: Kognition (Erkenntnisvermögen). Sie sollte nicht mit dem Selbst an sich identifiziert werden, das über seinen Funktionen steht.
Wenn Psychologie überhaupt von einem Selbst spricht, ist das meistens in der Form des Selbstbildes – etwas vollständig Anderes. Das Selbstbild wird vom Selbst gebildet, es ist jedoch nicht dasselbe wie das Selbst. Es kann mit dem ‚Ego’ verglichen werden, von dem in vielen spirituellen Schulen als von einem Etwas gesprochen wird, das ‚fallengelassen’ werden sollte. Das Ego, das Denken über sich selbst, ist bloß einer der vielen Gedanken, die im menschlichen Bewusstsein existieren und deshalb in der Tat ziemlich unwirklich. Doch die Frage bleibt: wer oder was hat das Selbstbild zu Beginn geformt? Das kann nur ein Selbst sein!
Der Denkende ist nicht ein Gedanke an sich, sondern die Quelle der Gedanken. Kein Gedanke kann einen anderen Gedanken erzeugen. Nun kann man dagegensetzen, dass das menschliche Denken meistenteils ein assoziativer Prozess ist; ein Gedanke führt zu einem anderen. Doch soll das bedeuten, dass hinter diesem assoziativen Netzwerk von Gedanken kein denkendes Selbst existiert? Überhaupt nicht. Kein Gedanke kann die Stelle des Selbst einnehmen, das sich dieses Gedankenzuges bewusst ist. Bei jedem Gedanken gibt es immer etwas, dass diesen Gedanken sieht.
So viel über die buddhistische Lehre vom Nicht-Selbst.
Reinkarnation und die Sphären
In diesem Buch versuchen wir, den Wert des Sphärenmodells für eine große Menge an Problemen des Lebens und des Geistes zu illustrieren. Im Hinblick auf die Reinkarnation ist die folgende Frage sachdienlich: welche Existenz-Sphären sind tatsächlich im Prozess der Reinkarnation beteiligt? In welche Sphären gehen wir nach dem Tod und aus welchen Sphären kehren wir zurück? Auf diese Frage sind unterschiedliche Antworten gegeben worden.
Die Welt der Götter | |
Die Welt der Halbgötter | |
Die Welt der menschlichen Wesen | |
Die Welt der Tiere | |
Die Welt der Geister | |
Die Welt der Hölle | |
DIE SECHS WELTEN |
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Der volkstümliche Buddhismus sagt aus, dass ein menschliches Wesen nach dem Tod in sechs Welten gehen kann. Es kann als ein Höllenwesen wiedergeboren werden, als ein hungriger Geist, als Tier, als Mensch, als Halbgott und als Gott (s. Abb. 5.2). Eine Wiedergeburt als Höllenwesen, hungriger Geist oder Tier wird -- verständlicherweise – als eine ‚schlechte’ Wiedergeburt angesehen; eine Wiedergeburt als Mensch, Halbgott oder Gott als eine ‚gute’. In einer schlechten Inkarnation werden wir zu stark von Gefühlen wie Neid oder Wut beherrscht, um offen zu sein für die spirituelle Dimension. Die menschliche Inkarnation wird als die bevorzugteste für einen spirituellen Lebensweg angesehen.
Das legt nahe, dass eine Rückkehr in die Welt der menschlichen Wesen eine Ausnahme sei und dass diese Welten getrennt von einander existieren. Die theosophische Tradition lehrt etwas Anderes: Wir kommen immer als menschliche Wesen und immer auf die physische Welt zurück. Der Prozess der Reinkarnation als ganzer findet nur in diesen ‚drei Welten’ statt: der physischen, der astralen und der mentalen (einschließlich der kausalen) Welt, wie wir es im letzten Kapitel gesehen haben. Diese Sphären werden von zahlreichen Wesen bewohnt, einige menschlich, einige nicht-menschlich, einige künstlich (s. Kapitel 3).
LOGOISCH | GÖTTLICHE WELTEN |
MONADISCH | |
ATMISCH | SPIRITUELLE ENTWICKLUNG |
BUDDHISCH | |
MENTAL/KAUSAL |
DIE WELTEN DER
REINKARNATION („DIE DREI WELTEN") |
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ASTRAL | |
PHYSISCH |
Gemäß der Theosophie hat Reinkarnation überhaupt nichts mit den spirituellen Sphären zu tun. Diese liegen über den drei Welten, wie es Abb. 5.3 zeigt. Dort spielen sich völlig unterschiedliche Prozesse der Entwicklung ab, wie Einweihungen und Stufen des spirituellen Wachstums, was im Kapitel 7 besprochen werden soll. Es gibt jedoch Ansichten vom Prozess der Reinkarnation, die ihm einen ausgesprochen spirituellen Geschmack geben. Die autoritärste von denen ist die Ansicht, die im tibetischen Totenbuch gefunden werden kann. Lassen Sie uns einen Blick werfen auf diese berühmte Abhandlung über das Leben nach (und vor) dem Tod.
Das tibetische Totenbuch
Das tibetische Totenbuch ist ein Text aus dem achten Jahrhundert, der Padmasambhava zugeordnet wird, einer Hauptfigur des frühen tibetischen Buddhismus. Es bildet einen Teil eines Schrifttums, das die Seele zur Befreiung aus dem Kreis der Wiedergeburten führen soll. Sein vollständiger Titel ist: ‚Die große Befreiung durch Anhörung im Bardo’. Welche Ansicht der Reinkarnation wird im tibetischen Totenbuch dargelegt? Und wie bezieht sich das auf die Ansichten, die wir im letzten Kapitel beschrieben haben?
Wer zu verstehen sucht, was das tibetische Totenbuch uns über das Thema des Lebens nach dem Tod zu lehren hat, wird mit dem Wort Bardo beginnen müssen, das ‚Übergang’ oder ‚Zwischenperiode’ bedeutet. Die Tibeter unterscheiden vier solcher Bardos: (1)den ‚natürlichen’ Bardo dieses Lebens, (2)den ‚schmerzhaften’ Bardo des Sterbens, (3) den ‚strahlenden’ Bardo des Lebens nach dem Tod, und (4) den ‚karmischen’ Bardo der nächsten Inkarnation. Lassen Sie uns der tibetischen Ansicht näher folgen.
Gemäß der tibetischen Ansicht kann die sterbende Person im Moment des Todes einen kurzen flüchtigen Anblick des Klaren Lichts bekommen, der tibetische Name für das Absolute. Um diesen höchsten Bewusstseinszustand zu erreichen, müssen nicht weniger als acht Stufen durchschritten werden, denen poetische Namen gegeben wurden (s. Abb. 5.4). Der gesamte Prozess kulminiert in der Erfahrung des Klaren Lichts. In diesem Moment, so sagen die Tibeter, wird der Geist den Körper für immer verlassen.
Wenn man jedoch während des Lebens durch intensive Meditation sich nicht auf dieses Ereignis vorbereitet hat, so sagen die Tibeter, wird man diese Gelegenheit für die Befreiung verpassen und in Bewusstlosigkeit versinken. Eine neue Phase folgt, voller farbiger Visionen. Zahlreiche Götter und spirituelle Gestalten erscheinen dem inneren Auge der Seele, gewöhnlich friedvolle und zornige Gottheiten genannt. Das Totenbuch sagt dem Verstorbenen immer wieder, davon nicht verstört zu werden, denn die sollen als Projektionen des eigenen Geistes angesehen werden. Wenn diese als solche erkannt werden, gibt es eine weitere Chance, die Befreiung zu erlangen.
Doch in den meisten Fällen wird die Seele in die niederen Sphären hinweggefegt. In dieser dritten Phase kommt die Erdenwelt wieder in Sicht, und der Moment der nächsten Inkarnation ist nahe. Das Totenbuch gibt alle Arten von praktischen Unterweisungen, wie man die Wiedergeburt vermeiden kann, oder wenn diese unvermeidbar ist, wenigstens eine menschliche Geburt sicherzustellen. Dass wir als ein menschliches Wesen zurückkehren, ist in dieser Schule des Buddhismus überhaupt nicht sicher. Wenn man sich in diesem kritischen Moment nicht ausreichend kontrolliert und sich durch niedere Gefühle wie Wut oder Furcht ablenken lässt, wird man als ein hungriger Geist oder ein Tier inkarnieren. Das ist die Lehre von den so genannten ‚sechs Reichen’.
Diese Ansicht der Reinkarnation zeigt eine dreifache Struktur, die letztlich auf der Ansicht des nördlichen Buddhismus vom Absoluten basiert. Obschon der Buddhismus nicht ausdrücklich einen Gott anerkennt, hat er zweifellos seine eigene ‚Trinität’: die so genannte Trikaya-Doktrin von den drei Körpern des (metaphysischen) Buddhas. Dharmakaya (oder Körper der Wahrheit), der höchste Aspekt, Sambhogyakaya (oder Körper der Glückseligkeit), der mittlere und Nirmanakaya (oder Körper der Erscheinung), der niederste Aspekt, das sind die drei ‚Personen’ dieser Trinität. Gemäß dieser Ansicht erfahren wir während der Periode zwischen zwei Leben -- das ‚Zwischenleben’ könnte man sagen -- alle drei Aspekte des Absoluten, einen nach dem anderen, mit dem höchsten beginnend. Der flüchtige Anblick des Klaren Lichts entspricht dem Dharmakaya, die Visionen der Gottheiten dem Sambhogyakaya und die Phase der Inkarnation dem Nirmanakaya. (In Kapitel 2 erklärten wir die dreifache Natur des Geistes, gemäß der theosophischen Ansicht, die an diese buddhistische Doktrin erinnert, jedoch etwas einfacher in ihrer Ausdrucksweise).
Es gibt bemerkenswerte Unterschiede zwischen der Ansicht über Reinkarnation, die wir im letzten Kapitel beschrieben haben und der tibetischen Ansicht. In der tibetischen Ansicht gibt es ein schnelles Aufsteigen durch die Sphären, das in der Erfahrung des Klaren Lichts gipfelt, gefolgt von einem relativ langsamen Abstieg durch die Sphären, der zur nächsten Geburt führt. Gemäß dem Totenbuch findet der Aufstiegsprozess während des aktuellen Sterbeprozesses statt – also in ein paar Stunden. Der Abstiegsprozess beansprucht gemäß dieser Quelle einige Wochen, um genau zu sein: 49 Tage. Es ist nicht sicher, ob wir dies nach Erdentagen interpretieren sollen, doch die vielen Rituale, die die Hinterbliebenen für die reinkarnierende Seele auszuführen haben, rechnen mit unserem Zeitsystem.
Eine unterschiedliche Ansicht über die Reinkarnation
Die Theosophie, um eine weitere Hauptquelle über Reinkarnation zu zitieren, sieht diese Angelegenheiten ganz unterschiedlich (s. Abb. 5.5):
- Der Prozess des Aufsteigens durch die Sphären beansprucht in dieser Ansicht eine viel längere Zeit (denn hier müssen wir die Erfahrungen des vergangenen Lebens absorbieren), während der Abstieg zur Erde ziemlich rasch vor sich geht.
- Die Seele erreicht in keinster Weise solch eine erhabene Ebene (das Klare Licht), wie das tibetische Buch anregt. Der höchste Punkt ist erreicht, wenn das spirituelle Ego die Kausalebene erreicht (d.h. ihrer gewahr wird).
- In der theosophischen Ansicht über die Reinkarnation ist eine Wiedergeburt anders denn als ein menschliches Wesen außer Frage gestellt. Wir sind einfach nicht mehr fähig, als ein Tier oder eine Pflanze zu funktionieren, denn wir haben ein spirituelles Ego.
- Die Zeit zwischen zwei Leben variiert viel mehr als es das tibetische Buch zulässt, von wenigen Stunden in einem Fall von schneller Rückkehr zur Erde bis zu vielen, vielen Jahrhunderten.
Die Ansicht über die Reinkarnation, die im tibetischen Totenbuch gefunden werden kann, ist nur eine von vielen möglichen Alternativen. Gewiss sollten wir sie nicht unkritisch übernehmen, nur weil sie aus dem antiken Tibet kommt. Die Tendenz des tibetischen Buches ist typisch östlich, indem es versucht, die Seele zu überzeugen, dem Kreis der Wiedergeburt zu entfliehen oder eine unvorteilhafte Geburt zu verhindern. Die theosophische Ansicht über die Reinkarnation ist lebensbejahender. Die Theosophie versteht Reinkarnation als etwas, das von innen heraus geleitet wird. Wir reinkarnieren, weil wir das wünschen. Jemand der dem Bedürfnis nach physischer Inkarnation noch nicht entwachsen ist, gewinnt nichts durch die Verleugnung dieses Bedürfnisses in einem erzwungenen Versuch der Befreiung. Jemand der sein Bedürfnis nach physischer Inkarnation auf eine natürliche Weise befriedigt hat, wird in der Lage sein, es spontan fallen zu lassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Für jedermann wird die Zeit der Befreiung kommen, sobald seine psychologische Reife sich ausreichend entwickelt hat.
Das bedeutet nicht, dass ein rasches Aufsteigen durch die Ebenen von Zeit zu Zeit nicht möglich wäre. Denn wie wir im Kapitel 4 erklärten, hängen die Erfahrungen des Jenseits sehr stark von dem Maß ab, in dem wir uns während des Lebens von Körper und der Persönlichkeit losgelöst haben. Wenn man vor dem Tod durch spirituelle Praxis das spirituelle Ego erfahren und sein Bewusstseinszentrum auf diese Ebene verlagert hat, werden die Zwischenphasen sehr schnell durchschritten werden und die Seele wird auf der spirituellen Ebene aus ihrem Schlummer erwachen. Doch das gilt nur für jemanden, der dem Moment der Befreiung sehr nahe ist -- nicht für den gewöhnlichen Menschen.
Doch was ist mit uns?
Was geschieht nun mit Menschen, die noch nirgends in der Nähe des Moments der Befreiung sind? Nach meiner Meinung hat das tibetische Totenbuch denen nicht viel anzubieten. Sogyal Rinpoche, ein zeitgenössischer Vertreter der Tradition, zu der das tibetische Totenbuch gehört, schreibt, dass sie durch den gesamten Prozess praktisch bewusstlos hindurchgehen. Erst kurz bevor der Moment der Inkarnation erreicht wird, werden sie in einem ‚mentalen’ Körper erwachen, der aussieht wie der Körper in ihrem vergangenen Leben, der ist in ständiger Bewegung, er kann durch Wände gehen und ist hellsichtig. Verglichen mit dem theosophischen Wissen von den subtilen Körpern, ist die Information irgendwie dürftig. Diese Information scheint für die Situation auf der Astralebene relevanter zu sein, kurz nach dem Tod, wenn wir in unserem Astralkörper leben -- der in der Tat aussieht wie der Körper aus unserem früheren Leben.
Ist eine vernünftige Wahl möglich zwischen den tibetischen und den theosophischen Ansichten über die Reinkarnation? Wenn wir das Reinkarnations-Handbuch ‚Reinkarnation erforscht’ vom niederländischen Reinkarnations-Experten Hans Ten Dam zu Rate ziehen, der praktisch jede mögliche östliche und westliche Ansicht über die Reinkarnation analysiert hat, dann scheint die Hauptlast der Beweise auf ein allmähliches und langsames Aufsteigen durch die Sphären nach dem Tod hinzuweisen. Die tibetische Ansicht scheint nicht transkulturell gültig zu sein. Ten Dam begründet sich selbst auf die Forschung von Robert Crookall, der die Nachtod-Zustände sehr ausführlich beschrieben hat, sich dabei auf eine Unmenge an experimentellen Daten beziehend -- aus der psychischen Forschung, dem Spiritualismus, den Hellsichtigen etc. --– in seinen vielen Büchern über das Leben nach dem Tod. Die tibetische Ansicht mag sich eines respektablen Alters rühmen, sie scheint aber nicht von neueren Befunden unterstützt zu werden.
Mit dem gebührenden Respekt für die Tiefe und Weisheit der tibetischen Tradition müssen wir uns dennoch fragen, ob den Westlern geholfen wird durch eine solch exotische Schrift wie das tibetische Totenbuch. Das spirituelle Vakuum des Westens wird jetzt durch östliche Ansichten aufgefüllt; besonders sind die tibetischen Buddhisten dabei gut verständlich. Doch wo ist der christliche Theologe, der irgendeine Idee von den höheren Sphären hat? Die meisten von ihnen scheinen sich der Idee anzuschließen, dass das Leben nach dem Tod nicht länger ein Thema für die moderne Welt sei. Mir scheint es so, als würden Westler mehr von einer Ansicht über das Leben nach dem Tod profitieren, die von Bildern Gebrauch macht, die aus ihrer eigenen Kultur abgeleitet sind. Wie wir vorher sahen, sind die christlichen Konzepte von Fegefeuer und Himmel nicht sehr weit von der Wahrheit entfernt, wenn wir den theosophischen Beweisen folgen. Die Astralwelt funktioniert wirklich wie eine Art Fegefeuer, in dem unser emotionales Leben gereinigt wird, und die mentale Welt ist ein wirklicher Himmel, in dem wir eine glückselige Periode des Ausruhens finden. Wir brauchen ein ‚Westliches Totenbuch’.
Die Nahtod-Erfahrung(NDE)
In einem solchen ‚Westlichen Totenbuch’ sollte Platz geschaffen werden für die Forschung innerhalb der Erinnerungen an frühere Leben, besonders in den Fällen, die Ian Stevenson untersucht hat, der führende Forscher beim Nachweis für Reinkarnation. Auch die riesige Literatur über Nahtod-Erfahrungen (beachtenswert von Raymond Moody, Kenneth Ring und anderen) sollte einbezogen werden. In der typischen Nahtod-Erfahrung verlässt die Seele den Körper, betritt einen schwarzen Tunnel und sieht ein helles Licht oder irgendeine engelähnliche Gestalt. Dieses Wesen sagt uns, dass die Zeit noch nicht gekommen sei, die Erde zu verlassen und eine Rückkehr zum Körper notwendig sei.
Einige haben versucht, das tibetische Totenbuch als ein Rahmenwerk für diese Erfahrungen zu benützen. Es spricht auch von einem Licht, das durch eine Stufe erfahren wird, die ‚schwarzes Beinahe-Erreichen’ genannt wird -- ein Echo des schwarzen Tunnels, was von denen berichtet wird, die eine Nahtod-Erfahrung hatten? Sogyal Rinpoche hat uns jedoch gewarnt, nicht diese erhabenen Stufen des spirituellen Wachstums mit den Nahtod-Erfahrungen zu vergleichen, durch die gewöhnliche Menschen hindurchgehen. Er regt an, dass die Nahtod-Erfahrung immer noch in erster Linie eine Erfahrung eines lebenden Menschen sei und nicht der wahre Bardo nach dem Tod. Jemand der eine Nahtod-Erfahrung hat, streift nur in den Sphären umher, das wurde Sogyal von einem seiner Meister mitgeteilt, aber er hat nicht den wirklichen Bardo des Sterbens betreten.
Abgesehen von der Tatsache, dass gemäß dem Totenbuch selbst die erste Stufe des Sterbeprozesses von jemandem erfahren wird, der noch nicht seinen Körper verlassen hat und somit in derselben Situation ist wie derjenige, der eine Nahtod-Erfahrung hat -- beide sind technisch gesprochen noch nicht ‚tot’ -- halte ich einen derartigen ideologischen Zug nicht für klug. Auch Hans Küng lehnte diese Erfahrungen ab, wie wir im Kapitel 4 sahen, weil sie nicht in seine theologischen Präferenzen passen.
In der theosophischen Ansicht haben diese Nahtod-Erfahrungen tatsächlich etwas gemein mit den ersten Stufen des Jenseits. Wir können die Nahtod-Erfahrung sehr wohl mit einer Außer-Körper-Erfahrung vergleichen, in der es ein kurzes Eintreten in die nächste Ebene jenseits der physischen gibt: die Astralwelt. Das hat nichts zu tun mit irgendeiner mystischen oder Klaren - Licht – Erfahrung. Die Gefühle der Hochstimmung, des Friedens und Lichts kann insgesamt aus den Charakteristiken der Astralebene selbst erklärt werden. Verglichen mit den oft schmerzhaften auf den Körper bezogenen Bedingungen der physischen Welt -- Schmerz, Krankheit, Müdigkeit – wird die Astralebene von Hellsichtigen beschrieben als ein Ort, wo ein großartiges Gefühl der Erleichterung gefühlt wird und Empfindungen von Schmerz und Krankheit vollständig fehlen.
Daher würde es als ziemlich voreilig erscheinen, der Nahtod-Erfahrung einen zu mystischen oder spirituellen Geschmack zu geben. Menschen, die durch eine solche Erfahrung gegangen sind, berichten oft von einem dramatischen Wandel in ihrer allgemeinen Lebensanschauung und einem Wechsel ihrer Aufmerksamkeit zu nicht-materialistischen Werten. Jemand, der sich selbst außerhalb seines Körpers erfahren hat, hat natürlich nicht mehr solche Angst vor dem Tod, wie er sie früher zu haben pflegte und er kann das Leben freier und liebevoller leben als vorher. Das macht die Nahtod-Erfahrung nicht zu einer transformierenden mystischen Erfahrung, die zu dauerhaftem Wandel führt. Wir müssen vor der Mystifizierung auf der Hut sein.
Die größte Beeinträchtigung der Forschung über die Natur der Nahtod-Erfahrung ist, dass sie keinen metaphysischen Kontext hat. Das Schema der sieben Sphären, wie es in diesem Buch dargestellt wird, bietet ein solches Rahmenwerk an. Die Kenntnis der sieben Sphären ermöglicht uns, alle außergewöhnlichen Erfahrungen in ihrer wahren Proportion zu sehen. Dieses Augenmaß kann nur aus einem Studium der sieben Sphären in ihrer Ganzheit kommen.
Die ‚Nahgeburt-Erfahrung’(NBE)
Vor kurzem hat der Bewusstseins-Forscher Stanislav Grof über das Thema des Lebens nach dem Tod und das Totenbuch geschrieben, und er bezieht sich dabei auf seine lebenslange Erforschung von ungewöhnlichen Bewusstseins-Zuständen. Grof ist ein moderner ‚Rankianer’, denn er hat seinen Zentralgedanken vom Geburtstrauma von dem Psychiater Otto Rank übernommen. Gemäß Rank ist die Geburtserfahrung traumatisch, weil wir aus einer friedvollen Situation im Mutterleib in eine feindliche Welt außerhalb des Mutterleibes gehen. Grof hat den Geburtsprozess in vier Unterstufen eingeteilt, um zum zeigen, dass das Geburtstrauma ebenso von dem aktuellen Geburtsprozess stammt, der eine Art von Kampf auf Leben und Tod ist.
Grof hat vorgeschlagen, dass wir durch das Wiedererleben dieses Geburtstraumas -- indem wir etwas haben, was wir eine ‚Nahgeburts-Erfahrung’ nennen könnten – ein besseres und spirituelleres Leben führen können. Er hat Atmungstechniken empfohlen (genannt ‚holotropische Atmungsarbeit’), um Menschen tatsächlich in die Geburtserfahrungen zurückgehen zu lassen. Seine Versuchspersonen berichten über sehr viele transformative Erfahrungen in diesem Zustand. Grof hält dieses Gebiet der menschlichen Erfahrung -- welches er als das ‚Perinatale’ bezeichnet -- für das Tor zur spirituellen Dimension. Grof wird die Erfindung des Begriffs ‚transpersonal’ zugeschrieben und er wird als eine der führenden Gestalten in diesem Feld angesehen. Und das ist für mich kein kleiner Schock, als ich erfuhr, dass er die mystische Erfahrung des Einsseins mit dem friedvollen Zustand im Mutterleib in Zusammenhang bringt. Freud hätte sicherlich eine derartig regressive Behandlung von Spiritualität liebend gern akzeptiert!
Darüber hinaus ist Grof ein wichtiger Vertreter des Holismus, wie er im Kapitel 1 diskutiert wurde, der glaubt, dass wir auf der Schwelle zu einer globalen Transformation und zu einer neuen Art des Betrachtens der Wirklichkeit sind, oft ein neues ‚Paradigma’ genannt. Er kontrastiert so genanntes Denken des ‚alten Paradigmas’, basierend auf einer newtonschen und kartesianischen Weltanschauung, mit einem Denken des ‚neuen Paradigmas’, das auf der Quantenphysik basiert. Und wo das alte Paradigma die vielen fremdartigen Phänomene des Bewusstseins nicht erklären konnte, behauptet Grof, dass das neue Paradigma das tatsächlich tun könne. Mit seinen eigenen Worten:
Während die Natur von transpersonalen Erfahrungen fundamental klar mit der mechanistischen Naturwissenschaft inkompatibel ist, kann sie mit den revolutionären Entwicklungen in verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen integriert werden, auf die man sich als das auftauchende Paradigma bezogen hat. Unter den Disziplinen und Konzepten, die signifikant zu diesem drastischen Wandel in der naturwissenschaftlichen Weltanschauung beigetragen haben, sind die quanten-relativistische Physik (Capra), die Astrophysik (Davies), die Kybernetik, die Informations – und Systemtheorie (Bateson, Maturana und Varela), Sheldrakes Theorie der morphischen Resonanz, Prigogines Studium der dissipativen Strukturen und Ordnungsfluktuation (mit Stengers), David Bohms Theorie der Holobewegung, Karl Pribrams holografisches Modell des Gehirns und Arthur Youngs Prozesstheorie.
Das Traurige dabei ist, dass dieser Denktyp des neuen Paradigmas, wie wir versucht haben, im Kapitel 1 zu zeigen, überhaupt nichts über das Thema des Bewusstseins auszusagen hat, besonders in seinen subjektiven Aspekten. Die so genannte neue Naturwissenschaft wandert nur in der physischen Welt umher und wird von den Entdeckungen davongetragen, die die fortschrittlichsten Forscher auf diesem Gebiet unternommen haben. Die Quantenphysik ist jedoch still beim Thema von der Natur des Bewusstseins und den Stufen seiner Entwicklung.
Was wir deshalb brauchen, ist eine klare Darstellung der Natur der sieben Sphären, damit wir alle diese wahrhaft aufregenden Entwicklungen in der Naturwissenschaft ins rechte Licht rücken können. Nach meiner Meinung sollte der Tendenz, die Erfahrungen zu mystifizieren, die in intensiven Krisensituationen möglich sind -- sei es von der Art der Nahtod- oder Nahgeburt-Erfahrung -- Widerstand entgegengesetzt werden. Sogar wenn diese manchmal Echos von den spirituellen Ebenen hervorrufen könnten, sind sie im wesentlichen Erfahrungen der astralen Welt, die der physischen Welt im Schema der Sphären am nächsten liegt. Mystische Erfahrung, ganz zu schweigen von dauerhafter spiritueller Entwicklung, ist etwas ganz Anderes, wie wir in einem der nächsten Kapitel sehen werden.
Schlusswort
Wir haben den Prozess der Inkarnation beschrieben, wie er von hellsichtigen Forschern beobachtet wird. Wir haben ebenso Fragen gestellt hinsichtlich der Gültigkeit der buddhistischen Ansicht vom Selbst und dem Leben nach dem Tod. Die Theosophie sieht keinen Grund für das Verleugnen eines Selbst; das menschliche Innenleben wird völlig unverständlich ohne ein subjektives Bewusstseinszentrum. Und schließlich stimmten wir für eine Ansicht, dass die Reinkarnation auf die drei Welten der Existenz begrenzt sei -- physisch, astral, mental/kausal. Reinkarnation ist unsere Lebensweise, solange wir noch nicht unseres spirituellen Selbstes bewusst geworden sind.
© Frank Visser, 1995, 2006