INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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DREI ARTEN VON WISSENSCHAFT

Wissenschaft ist die Religion der heutigen Zeit. Wenn Wissenschaft etwas festgestellt hat, dann muss es wahr sein. So sieht es die moderne Philosophie.

Doch deckt die Wissenschaft die gesamte Wirklichkeit ab? Wissenschaft basiert auf dem, was die physischen Sinne (oftmals mit Unterstützung von Instrumenten) uns sagen. Ist es klug, wenn wir uns allein auf diese Wissensquelle verlassen? Wer hat je Emotionen oder Gedanken durch das physische Auge gesehen? Ist das ein Grund, ihre Existenz zu verneien? Oder verpassen wir hier etwas?

„Die Abwesenheit von Beweisen beweist nicht die Abwesenheit", könnten wir hier sagen. Zu glauben, dass Wissenschaft ALLE Wirklichkeit erfasst, ist nicht sehr wissenschaftlich, weil wir dadurch andere Formen menschlicher Erfahrung verneinen müssen, sogar unsere tiefsten Gefühle der Identifikation. Diese Haltung wird richtigerweise „Szientismus" genannt. Keine wirkliche Wissenschaft hat die Überzeugung von der Existenz einer Seele zurückgewiesen, wie viele glauben, sondern der Szientismus. Es ist an der Zeit, diese extrem einseitige Situation zu korrigieren.

Die Wirklichkeit lässt sich in drei Bereiche unterteilen: das, was wir mit unseren äusseren Sinnen sehen können, das, was wir mit unserem „inneren Auge" sehen können, und das, was sowohl das Äussere wie auch das Innere sieht: das Selbst. Alle drei Bereiche können wir auf eine wissenschaftliche Weise untersuchen! Doch was bedeutet „Wissenschaft" in diesem Zusammenhang? Für Wilber ist Wissenschaft nicht automatisch gleichbedeutend mit Materialismus (er unterscheidet eine enge = materialistische Wissenschaft und eine weite Wissenschaft, die sich mit allen drei angesprochenen Bereichen beschäftigt. Darüberhinaus unterscheidet er seriöse Wissenschaft, die den drei Strängen der Erkenntnis folgt, von unseriöser Wissenschaft, die dies nicht tut). Seriöse enge wie auch weite Wissenschaft folgt nach Wilber drei Schritten:

  1. Wir wenden eine Instruktion, eine Injunktion, ein Paradigma an
  2. Wir gewinnen durch diese Praxis „Daten", Erfahrungen, Wissen, Situationsmerkmale
  3. Wir vergleichen unsere Ergebnisse mit den Ergebnissen anderer, die sich der gleichen Praxis unterzogen haben
Diese drei „Stränge" der Erkenntnis lassen sich offensichtlich auf die materiellen Wissenschaften anwenden; ein Astronom (1) schaut durch ein Teleskop (2), beobachtet einen bestimmten Teil des Universums, und (3) diskutiert seine Ergebnisse mit anderen Kollegen (und NICHT mit denjenigen, die sich dieser Praxis nicht unterzogen haben, die also nicht selbst durch ein Fernrohr geschaut haben, ein sehr wichtiger Punkt).

Wilber argumentiert nun für die Existenz zwei weiterer Arten von Wissenschaft, die den gleichen drei Strängen der Erkenntnis folgen:

Mentale oder soziale Wissenschaft (was die Europäer mit Geisteswissenschaften bezeichnen) beobachtet keine physischen Objekte, sondern mentale Bedeutungen, wie sie in Dokumenten, Erzählungen, Mythen, Berichten und Büchern gefunden werden. Die Bedeutung eines Textes kann nicht mit dem physischen Auge gesehen werden, sondern nur mit dem „Auge der Vernunft". Entsprechend den drei Strängen der Erkenntnis ist mentale Wissenschaft absolut wissenschaftlich. (Natürlich haben mentale Objekte keinen „einfachen Ort" wie Wilber es nennt, man kann nicht mit dem Finger auf sie zeigen, doch das spricht in keiner Weise gegen ihre reale Existenz und ihre wissenschaftliche Untersuchung).

Und es gibt nach Wilber eine dritte Art von Wissenschaft. Besteht Wirklichkeit nur aus Dingen und Gedanken? Wie steht es mit dem in uns, was sieht und denkt? Das Selbst sieht und denkt, kann nicht gesehen werden und ist kein Gedanke. Doch es kann experimentell in der Meditation erfahren werden. Und das ist die Geburt der „spirituellen Wissenschaft". Meditation und Yoga sind so gesehen „Wissenschaft", weil sie den drei Strängen der Erkenntnis folgen: (1) Instruktion - wir sitzen für Stunden auf einem Kissen, (2) Beobachtung - wir beobachten und erfahren einen Geisteszustand, und (3) Bestätigung - wir diskutieren unsere Erfahrungen mit anderen Meditierenden.

Zusammenfassend: Wilber argumentiert für drei Arten von Wissenschaft (wobei die Anzahl drei nicht zwingend ist, bei einer feineren Einteilung ergäben sich z.B. fünf oder zehn), da die Wirklichkeit zumindest aus drei Bereichen besteht, und alle drei Bereiche können experimentell, erfahrungsmässig und im besten Sinne wissensschaftlich untersucht werden.






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