INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber
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Holarchie
Unverhüllter Ehrgeiz, Kapitel 1, Abschnitt A: Holons
Jeff Meyerhoff
Für sein Naturverständnis beruft sich Wilber auf die neuen Wissenschaften der Komplexitätzusammengefasst von Ervin Laszlo und Erich Jantsch . Er schreibt, dass diese die ,,neuen Wissenschaften sind, die von diesen ,sich selbst aufziehenden' oder ,sich selbst organisierenden' Systemen handeln....die gemeinsam als die Wissenschaften der Komplexität bekannt sind'', die er ,,die evolutionären System-Wissenschaften'' nennt.[1]
Ehe wir sogar diese neuen Wissenschaften beschreiben, können wir fragen, ob sie als die orientierenden Verallgemeinerungen dienen können, die Wilber benötigt, um seine Theorie zu bekräftigen. Beim Durchschauen dieser Wissenschaften der Komplexität erkennen wir, dass diese neuen Wissenschaften nicht nur keine orientierenden Verallgemeinerungen haben, sondern dass sie sogar kaum gut definierte Disziplinen sind. Zum Beispiel beginnt M. Mitchell Waldrop sein BuchComplexity, das ein optimistischer Bericht über diese neuen Wissenschaften ist, indem er schreibt:
dies ist ein Buch über die Wissenschaft derKomplexität - ein Thema immer noch so neu und weitreichend, dass niemand so richtig weiß, wie es zu definieren ist, oder sogar wo seine Grenzen liegen....weil nämlich die Komplexitäts-Forschung versucht, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die allen konventionellen Kategorien trotzen.[2]
Ähnlich in Mit der Unsicherheit fertig werden: Einsichten von den Neuen Wissenschaften von Chaos, Selbst-Organisation und Komplexität, schreibt Uri Merry , der ebenfalls diesen Themen begünstigend zugeneigt ist:
Man muss ständig in Erinnerung halten, dass die Wissenschaft erst am Beginn dieser Reise und nahe dabei ist, diese Neue Wissenschaft auf menschliche Angelegenheiten anzuwenden. Der Hauptteil der Arbeit und seine Anwendung steht noch aus. Einiges was die Wegbereiter schreiben und beschreiben, mag später als nicht genau im Brennpunkt gelegen befunden werden, einiges mag vollständig abseits liegen, und einiges mag reine Spekulation sein....Zur gleichen Zeit mögen einige Entdeckungen wissenschaftliche Durchbrüche mit großer Konsequenz sein. Nur die Zeit wird das sagen.[3]
Obschon Merry sein Buch zwei Jahre nach Wilbers SES veröffentlichte, ist der Zustand der neuen Wissenschaften der Komplexität keinesfalls gesicherter.
John Horgan , zitiert in seinem kritischen Blick aufDas Ende der Wissenschaft, den Physiker James Yorke , der den Ausdruck ,,Chaos'' prägte, der sagte: ,,Komplexität scheint sich auf alles zu beziehen, was man möchte.''[4] Seth Lloyd , vom MIT und dem Santa Fe Institut, schickte Horgan per E-Mail seine 31 unterschiedlichen Definitionen von Komplexität. Diese 31 Definitionen stiegen tatsächlich auf 45 Definitionen an, dachte Horgan. Interessanterweise erscheint keiner der 28 Namen von Wissenschaftlern, die mit den neuen Wissenschaften der Komplexität verbunden sind, die Lloyd aufführt, auf Wilbers Liste von 10 Wissenschaftlern, deren unterschiedliche Werke erer unter dem Oberbegriff ,,Komplexität'' einpasst. Die neuen Wissenschaften der Komplexität sind sehr aufregend, sie enthalten jedoch nicht die orientierenden Verallgemeinerungen, die Wilber benötigt. Die Werke von Ervin Laszlo und Erich Jantsch enthalten großartige aufbauende Visionen, wenn man jedoch sagt, dass sie das bereits anerkannte Wissen der Naturwissenschaften darstellen, dann ist das nicht richtig.
In ähnlicher Weise benützt Wilber das Werk von Paul MacLean als eine Illustration dafür, wie sich das menschliche Gehirn in einer übersteigenden und einschließenden Weise von dem evolutionär frühen Reptiliengehirn entwickelt hat zu dem frühen Säugetierge hirn zu unserem neuen Säugertiergehirn. Diese ,,Tatsachen'' scheinen Wilbers holarchischen übersteigenden und einschließenden Ansatz zu unterstützen. Wenn die Forschung jedoch um Rat gefragt wird, finden wir eine energische Debatte über die Gültigkeit von Paul MacLeans Arbeit. Ein kürzlicher Zugang zu dieser Debatte ist eine Monografie, die versucht den Kritikern von MacLeeans Arbeit zu begegnen und sein Format wiederherzustellen. [5] Die Einführung zu diesem Einzelwerk beklagt, dass ,,in der hauptsächlichen akademischen Neurowissenschaft..... [MacLeans] Arbeit weitgehend übersehen oder ignoriert wird.''[6]
Wilber benützt nicht die orientierenden Verallgemeinerungen der Naturwissenschaften, das besagt jedoch nicht, dass sein Verständnis von der Struktur des Kosmos falsch ist. Als nächstes werden wir die wesentliche Struktur von Wilbers Kosmos untersuchen, um zu sehen, wie intern und sachlich zusammenhängend sie ist.
Solange es technisch ist, ist dieses Material höchst wichtig für Wilbers System, weil es die Ontologie und die wesentliche Struktur des Kosmos beschreibt. Wenn das nicht klappt, gibt es wesentliche Mängel im System und es kann nicht behauptet werden, dass es eine einheitliche Beschreibung des Kosmos ist.
Die Bedeutung eines solchen ehrgeizigen Projekts liegt in den starken intellektuellen und gesellschaftlichen Trends, für deren Begegnung sie entwickelt wurden. Wilbers integrale Theorie versucht, drei problematische Domänen zu vereinen: die unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Disziplinen, die durch eine enorme Spezialisierung und Unterteilung von wissenschaftlicher Arbeit gekennzeichnet sind; den Pluralismus und Relativismus der Sozialwissenschaften und der Geisteswissenschaften; und die bisher vernachlässigten und verdächtigten mystischen Wissenschaften. Diese Spezialisierung, Fragmentierung und Vernachlässigung kann den Wunsch nach einer aussagekräftigen Integration von Wissen hervorrufen. Der Versuch mag unsinnig erscheinen, doch die Einsätze sind so hoch, und die Entwicklungen in den Wissenschaften der Komplexität so sinnvoll, dass der Anspruch von umsichtigen Menschen, dass das geschafft werden kann, eine Untersuchung verdient.
Im Mittelpunkt von Wilbers Synthese steht sein Verständnis davon, wie der Kosmos strukturiert ist. Er sieht alle Dinge als hierarchisch eingerichtet an, mit ihrer Stellung in der Hierarchie, die von ihrer Ebene des Entwicklungs-Fortschritts bestimmet wird. Alle Materie, alles Leben, aller Verstand und Geist haben sich vom Urknall an entwickelt, indem sie sich in zunehmend kompliziertere Anordnungen zusammengefügt haben, die neue auftauchende Eigenschaften schaffen, sowie sich der Entwicklungsprozess entfaltet. Atome fügen sich zu Molekülen zusammen, Moleküle zu Zellen, Zellen zu Organismen. Jede neue auftauchende Stufe im evolutionären Prozess ,,übersteigt und schließt ein'', was vor ihr gekommen war und zeigt neue Eigenschaften. ,,Übersteigt'' wird hier in dem Sinn benützt, dass neue Eigenschaften auftauchen, die vorher nicht gesehen worden sind. ,,Schließt ein'' wird in dem Sinn benützt, dass die neuerlich aufgetauchte Gestalt von ihren entwicklungsgemäßen Vorgängern erzeugt wird und nun ein neues Ganzes zur Verfügung stellt, in dem jene Vorgänger nun existieren. Ein menschliches Wesen setzt sich zusammen aus Atomen innerhalb von Molekülen innerhalb von Zellen innerhalb von Gewebe innerhalb von Organen innerhalb eines Verstandes, der sie alle übersteigen und umschließen kann innerhalb des Bewusstseins. Die sich ergebende Hierarchie ist nicht das übliche von oben nach unten Arrangement, an das man normalerweise denkt, sondern ein konzentrisches Arrangement mit jeder höheren Stufe, die von allen niederen Stufen eingerichtet wird und die diese umschließt. Auf diese Weise dominieren die höheren Einheiten nicht einfach die niederen, sondern sind untrennbar mit allen unteren und oberen verbunden. Jede Einheit hat eine integrale Rolle zu spielen und deshalb müssen die Arten von Wissen, die diese Rollen beleuchten - Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, Spiritualität - in einer neuen Synthese des Wissens bewahrt und integriert werden.
Gemäß Wilber ist alles im Kosmos gleichzeitig ein Teil und ein Ganzes; ein Teil von einem anderen größeren Ganzen und ein Ganzes seiner kleineren Teile. Er benützt Arthur Koestlers Begriff Holon, um diese Teil/Ganzes-Qualität aller Dinge zu beschreiben. Über die üblichen Namen hinaus, die dem ontologisch Wesentlichen gegeben wurden - Substanz, Einheit, Materie - schlägt Wilber vor, dass es diese Teil/Ganzheit oder holonische Natur all dieser Dinge ist, die ontologisch grundlegend ist. Weil die Struktur der Teile innerhalb der Ganzen unterschiedlich ist von der üblichen von oben nach unten Pyramidenstruktur, bezeichnet Wilber sein Modell als eine Holarchieanstelle einer Hierarchie.
In SESsagt Wilber, dass alle Holons den 20 Grundsätzen oder Regeln folgen. Dieses Verständnis, später mit Fred Kofman revidiert, erklärt nun, dass während alle Holons eine Teil/Ganzheit-Natur haben, diese Teil/Ganzheit für die vier unterschiedlichen Arten von existierenden Holons unterschiedlich ist. Diese vier Typen sind: individuelle Holons, soziale Holons, Artefakte und Haufen. Um ein individuelles Holon * zu sein, muss ein Holon folgendes haben: eine Art lokalisierter Subjektivität, Innerlichkeit oder Bewusstsein; ein unterscheidendes Muster, d.h. nicht bloß eine amorphe Masse sein; ein einheitliches Äußeres d.h. eine identifizierbare zusammenhängende Einheit sein. Beispiele für individuelle Holons sind ein Atom, ein Molekül, eine Zelle und eine Person.
Im Gegensatz zu dem individuellen Holon hat das soziale Holon eine nicht-lokalisierte oder inter-subjektive Innerlichkeit oder ein Bewusstsein. Wir können an den Zeitgeist oder Gruppengeist als ein Bewusstsein denken, das nicht in einem Individuum lokalisiert ist. Ebenso im Gegensatz zu dem individuellen Holon hat das soziale Holon einnicht-vereintes Äußeres. Wir denken bei dem sozialen Holon an eine verbundene Gruppierung von individuellen Einheiten. Wie ein individuelles Holon müssen die Teile, die ein soziales Holon bilden, ein unterscheidendes Muster haben, d.h. sie können nicht bloß eine Zufallsansammlung sein. Schließlich müssen die individuellen Holons, die sich zusammenschließen, um ein soziales Holon zu schaffen, eine gemeinsame Verbindung haben. Beispiele für soziale Holons sind Galaxien, Planeten, Familien, Gesellschaften.
Artefakte wurden inSES.nicht erwähnt. Sie sind /empfindungslose Holons, die von Individuen oder sozialen Holons geschaffen wurden. Was sie von den empfindenden Holons unterscheidet, ist dass sie keine Innerlichkeit haben, ob nun lokalisiert oder nicht-lokalisiert. Wie empfindende Holons haben sie ein unterscheidendes Muster, doch anders als bei empfindenden Holons wird das von außen auferlegt und entsteht nicht von innen heraus. Beispiele für Artefakte sind Computer, Sprache, Biberdämme und Ameisenhügel.
Der vierte Typ des Holons, ebenso empfindungslos wie ein Artefakt, ist ein Haufen . Haufen sind bloß zufällige Ansammlungen von Stoff. Sie haben keine Innerlichkeit und kein unterscheidendes Muster. Beispiele sind ein Haufen Felsen oder ein Abfallberg.
Die Teil/Ganzheit oder holarchische Zusammenstellung jedes dieser vier Typen von Holons ist verschieden. Die Teile von individuellen Holons sind Bestandteile oder Elemente des älteren individuellen Holons. Sie haben viel weniger Freiheit innerhalb des älteren individuellen Holons als sie die Teile haben, die ein soziales Holon bilden. Die individuellen Holons, die ein soziales Holon bilden, sind keine gebundenen Elemente des sozialen Holons, sondern Mitglieder des sozialen Holons. Das Wort ,,Mitglieder'' bedeutet die lockerere Verbindung, die die Teile des sozialen Holons verglichen mit den Teilen eines individuellen Holons haben, die enger an das ältere soziale Holon gebunden sind. Artefakte werden von den individuellen Teilen gebildet, aus denen sie konstruiert werden. Der Unterschied zwischen Artefakten und empfindenden Individuen und sozialen Holons ist, dass das unterscheidende Muster von außen zusammengesetzt wird und sich nicht von innen heraus entfaltet. Haufen haben kein unterscheidendes Muster; ihre Teile sind zufällig Teile, nicht wegen eines organisierenden Bewusstseins von innen oder außen.
Die holarchischen, holonischen und vier Quadranten - Debatten zu betreten, bedeutet: ein Dickicht von vertrackter Argumentation zu betreten. Wilbers Modell der vier Quadranten und Wilbers und Kofmanns Neuformulierung des Holons haben fundamentale Ungereimtheiten hinterlassen, die fähige Kommentatoren identifiziert haben, sie versuchten sie auszusortieren und zu korrigieren. Die Verbesserungen stellen sich selbst in einem Spektrum auf. Im Mittelpunkt steht Wilbers problematisches Modell. An einem Ende steht hauptsächlich die Arbeit von Gerry Goddard und Mark Edwards die nach der Definition der Probleme mit Wilbers Modell, sich daransetzen, das Modell zu retten, indem sie die Kategorien und Quadranten multiplizieren und die Schlüsselbegriffe neu definieren und klären. Am anderen Ende des Spektrums steht Andrew P. Smith der nach Eingeständnis der gleichen Probleme ein Ein-Skala-Modell der Hierarchie konstruiert hat, im Gegensatz zu Wilbers Modell der vier Quadranten. Während Goddard und Edwards für eine Klärung, Neubearbeitung und Ausweitung von Wilbers Modell stimmen, bietet Smith ein unterschiedliches Modell an, das viel vom gleichen Inhalt enthält. Da dies ein Buch über Wilber ist, werde ich dieses Modell beschreiben und dann dessen wichtige Teile bewerten, indem ich die Arbeiten seiner Kommentatoren benütze.
Wilber beschreibt die Struktur des Kosmos in SES, doch später entdeckte Probleme machten eine Revision notwendig.
[7] Das revidierte Verständnis verbessert einige Probleme, wie es jedoch üblich ist bei langen klassifizierenden Schemata, schafft es neue. Erstens scheinen diese Revisionen das saubere, zusammenhängende klassifizierende Schema, das oben beschrieben wurde, zu erschaffen, nähere Untersuchung offenbart jedoch Fragen und Widersprüche, die bei dem Schema grundsätzliche Probleme verursachen. Diese Probleme wurden von den Kommentatoren von Wilbers System identifiziert, die ihre Arbeit bei integralworld.net publizieren.
Es gibt zwei interessante Ironien diese aufblühende Debatte in integralworld.net betreffend, die ebenso dazu dienen, zwei Kritiken zu bestätigen, die ich über Wilber bringe. Eine meiner Hauptkritiken an Wilbers Arbeit ist, dass er nicht genügend Respekt für die intellektuellen Debatten zeigt, die die Beweislast beschaffen, um seine Theorie von Allem zu bestätigen. Eine ironische Bestätigung dieser Bedingung ist, dass Wilbers Arbeit die Art von verantwortlicher intellektueller Debatte hervorgebracht hat, von der ich behaupte, dass er sie nicht respektiert. Um die Ironie noch zu verdoppeln: Wilber respektiert wiederum nicht diese aufblühende Debatte, die er selbst gemacht hat. [8] Jene Debatte wird wie eine saubere akademische Debatte geführt, in der die Teilnehmer Übereinkünfte vorschlagen, Beweise zitieren, sich in Dialoge einschalten, alternative Interpretationen überdenken, Kritiken von Kollegen beantworten und mit Anomalien kämpfen. Wilber steht außerhalb dieser Debatte, dennoch anders als beikonventionelle akademische Debatten, die ihn nicht erwähnen, erkennen die Referenten dankbar seine Beiträge an und sehen sich selbst als seine Einsichten aufbauend, ausarbeitend und korrigierend. Wilber antwortet tatsächlich auf Kritiker,[9]die Kritiker sind jedoch leichter lenkbar als jene, die beim Kern seines Systems und seiner Anwendung grundsätzliche Probleme finden. Seine neueste Position ist, dass er nicht auf Kritiker antworten wird. Einerseits ist dies verständlich, weil er wohl seine integrale Theorie weiter entwickeln möchte, doch andererseits macht das keinen Sinn, weil das die Entwicklung seiner eigenen Theorie behindern wird. Die Kritiken dieser Kritiker sind so überzeugend und wesentlich, dass ich meine, es würde ihm sehr dienen, mit diesen Kritikern zusammenzuarbeiten als Teil seines Prozesses beim Korrigieren und Entwickeln seiner Arbeit.
Die zweite Ironie hinsichtlich dieser Debatte ist, die von Wilbers Arbeit hervorgegangen ist, dass sie meinen Anspruch bestätigt, dass Wilber nicht die orientierenden Verallgemeinerungen des Hochschulbetriebs benützt. Hier sehen wir Wilbers Arbeit, die angeblich auf den akzeptierten orientierenden Verallgemeinerungen des Wissens beruht, wie sie eine Debatte verursacht, in der die Grundsätze und die Einzelheiten seiner Arbeit hinterfragt und von streitenden Parteien bekämpft werden, die unterschiedliche Gesichtspunkte haben in Bezug auf die theoretischen Konzepte des Materials und den Sachverhalt.
Mark Edwards, Gerry Goddard und Andrew P. Smith haben Kritiken geschrieben über Wilbers alte Formulierungen und Wilber und Kofmanns neue Formulierungen der Holons, die von ihnen unbeantwortet blieben.[10] Ich vermute, dass sie bisher unbeantwortet blieben, weil ein Abhelfen dieser Probleme eine gesamte Neuformulierung von Wilbers und Kofmans Konzeption der Holons erfordern würde. Smith beginnt seine Kritik, indem er aufzeigt, dass die Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Holons nicht aufrechterhalten werden kann. Die vier Kriterien, die vermutlich ein soziales Holon von einem individuellen Holon unterscheiden, sind, dass die Teile des sozialen Holons haben: eine gemeinsame Beziehung; eine gemusterte Weise der Interaktion; ein nicht-lokalisiertes Bewusstsein; und ein nicht-vereintes Äußeres. Wie Smith aufzeigt, haben jedoch individuelle Holons wie etwa Atome, Moleküle, Zellen, Gewebe und Organe genau wie soziale Holons Teile, die eine gemeinsame Beziehung teilen und eine gemusterte Weise der Interaktion. Das dritte Kriterium - ein nicht-lokalisiertes Bewusstsein - ist für unser gewöhnliches Bewusstsein und die Methoden der Bestätigung nicht nachweisbar. So bleibt das vierte Kriterium: ein nicht-vereintes Äußeres. Es ist nicht klar, was das bedeutet, wenn es jedoch bedeutet, dass soziale Holons keine eindeutigen Grenzen im Raum haben oder dass soziale Holons nicht dicht zusammenhängen, dann kann argumentiert werden, dass diese Unterscheidung nicht zum Zug kommt. Soziale Holons, wie etwa menschliche Gesellschaften, haben erkennbare physische Grenzen wie etwa Moleküle, Gewebe und Zellen. In beiden Fällen mögen die Grenzen wechselnd und fließend sein. Enger Zusammenhang oder physischer Kontakt kann manchmal in der menschlichen Gesellschaft angetroffen werden, während Atome Bindungen von unterschiedlichen Stärken und Richtungen haben. Während die Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Holons auf den ersten Blick augenscheinlich zu sein scheint, zeigt eine weitere Untersuchung, dass dies willkürlich ist; in eine Kategorie gestellte Dinge können vor- und zurückschwingen zwischen den Kategorien. Gemäß Smiths eigener Einteilung zwischen individuellen und sozialen Holons sind Moleküle und Gewebe soziale Holons und nicht individuelle Holons wie im Wilber/Kofman-Modell.
Smith glaubt, dass eine realisierbare Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Holons gemacht werden kann und er tut das in seinem ,,Ein-Skala-Modell.''[11] Im Gegensatz dazu kritisiert Mark Edwards, der eine siebenteilige Abhandlung, Kritik und Neuformulierung von Wilbers Modell geschrieben hat, ausführlich die Gültigkeit der Wilber/Kofman-Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Holons. Seine Alternative kommt ohne die Wilber/Kofman-Revisionen aus und entwickelt bloß das Modell, das in SES abgesteckt wird, indem er Holons innerhalb ihrer ,,elterlichen Hierarchie'' oder evolutionären Linie platziert, um zu entscheiden, ob sie individuelle oder kollektive Holons sind. Für Edwards ist ein Kleinkind ein individuelles Holon, weil es sich von einem Fötus zu einem Säugling entwickelt hat und dann zu einem Kind und dann zu einem Heranwachsenden. In seiner Kritik zu Edwards stärkerer Unterscheidung zwischen individuellen und kollektiven Holons führt Andrew Smith aus, dass es jetzt schwierig ist zu sehen, wie diese vermutlich integrierten individuellen und kollektiven Holons verwandt sind.[12]
Ein zentrales Anliegen von Wilber und Kofman ist, dass Wilbers frühere Formulierung der Verwandtschaft zwischen individuellen und sozialen Holons aufgefasst werden könnte als Rechtfertigung einer totalitären Kontrolle eines sozialen Holons über die individuellen Holons, die es aufbauen. Wenn ein soziales Holon die gleiche Kontrolle über seine individuellen Holons hat, die ein individuelles Holon über die Teilholons hat, die es zusammensetzen, wäre ihre Konzeption von menschlichen Gesellschaften eine, in der Individuen keinen eigenen Willen hätten. Wilber und Kofman erklären sehr ausführlich, dass individuelle Holons ein großer Entwicklungs-Fortschritt sind gegenüber den früheren Entwicklungs-Stufen der Holons, die sie zusammensetzen. Zum Beispiel ist die Zelle ein Entwicklungs-Fortschritt gegenüber den früheren Stufen des Atoms und Moleküls. In ähnlicher Weise ist das soziale Holon, von dem individuelle Holons Mitglieder sind, nicht ein Entwicklungs-Fortschritt gegenüber den individuellen Holons, die es zusammensetzen, sondern ein Entwicklungs-Fortschritt gegenüber der zeitlich früheren Inkarnation von jenem sozialen Holon. Kofman benützt das Beispiel einer Elefantenherde, die ein Entwicklungs-Fortschritt ist, nicht gegenüber einem einzelnen Elefanten, sondern gegenüber einer evolutionär früheren Herde von wolligen Mammuts.
Wilbers und Kofmans neue Formulierung ist aus zwei Gründen falsch. Das eine ist bei der Unterscheidung zwischen individuellen und sozialen Holons, es hält genauer Überprüfung nicht stand; und zweitens stellt es eine verwirrte Ansicht vor, wie Wissenschaft arbeitet. Wilber und Kofman benützen einige Beispiele, um zu zeigen, dass individuelle Holons mehr Kontrolle über ihre Bestandholons haben als soziale Holons über die sie zusammensetzenden individuellen Holons. Wilber sagt, wenn ein Individuum seinen oder ihren Arm bewegt, müssen sich ebenso alle Zellen innerhalb des Armes bewegen. Kein soziales Holon hat diesen Grad der Kontrolle. Wenn wir jedoch an ein anderes Beispiel denken, taucht ein unterschiedliches Bild der Beziehung zwischen Holons auf. Die meisten Menschen würden lieber nicht altern, krank werden und sterben, weil jedoch das von ihren Holons bewirkt wird, ist es das, dem Menschen, die älteren Holons, unterworfen sind. Gleichermaßen versucht Wilber, die lockereren Bindungen zwischen sozialen Holons und ihren Mitgliedern darzustellen, indem beobachtet wird, dass die Gesellschaft ein Mitglied entfernen kann, indem sie es ins Gefängnis wirft; das steht im Gegensatz zu einem individuellen Holon, dass nicht einfach einen Bestandteil seiner selbst entfernen kann, wie etwa ein lebenswichtiges Organ. Dennoch sind Gefangene immer noch ein Teil der Gesellschaft und sogar gesellschaftlich Ausgewiesene aus den USA pflegen sich selbst immer noch als Amerikaner zu bezeichnen. Wenn man auf diese Weise darauf schaut, kann man niemals den sozialen Holons entfliehen, deren Mitglied man ist. Wenn Wilber daher schreibt: ,,Bestandelemente bekommen ihre Wirkung durch die älteren individuellen Holons zusammengefasst, Mitglieder behalten jedoch einen weit größeren Grad an Autonomie innerhlab des sozialen Holons,''[13]dann hat er nur Recht, wenn die richtigen Beispiele benützt werden.
Smith und Edwards haben viele Weisen beschrieben, auf die soziale Holons Kontrolle über individuelle Holons haben. Edwards fragt:
Wie viele Menschen gehen in die Öffentlichkeit ohne einen gewissen Grad an konventioneller Kleidung, welcher Prozentsatz von Individuen entspricht sozialen Konventionen bei öffentlichem Verhalten, allgemeinen Gesetzen, beim Müll-Herausstellen, beim Schneeräumen vom Bürgersteig, beim Rasenmähen, Ratenzahlen, zur Schule gehen, beim schreiben und lesen Lernen, in einem Haus leben, mit den Nachbarn sprechen (oder auch nicht, wenn es der Fall ist), beim Haarschneiden, usw, usw[?]. Kollektives Handeln ist allgegenwärtig und zwingend. [14]
Ein zweites Problem entsteht wegen einer irrtümlichen Ansicht von der Wissenschaft. Wilber und Kofman kritisieren Systemtheoretiker, weil - wie sie sagen - diese Theoretiker Hierarchien konstruieren , die individuelle Holons den sozialen Holons unterordnen in dem gleichen Grad, in dem ältere individuelle Holons ihre Bestandholons unterordnen. Für das individuelle menschliche Holon, sagen Wilber und Kofman, läuft das auf Totalitarismus hinaus: die totale Kontrolle durch das soziale Holon, dessen Mitglied es ist. Was aber wenn die Tatsachen zu jener Beschreibung der Welt besser passen als Wilber und Kofmans politisch korrekte Version? Hier ist ein Beispiel, wann es wichtig ist, klar zwischen Wissenschaft und Moral zu unterscheiden. Wenn wir zum Beispiel erkennen, dass die nicht-menschliche Tierwelt nach dem Überleben des Tüchtigsten lebt, können wir als kreative menschliche Wesen immer noch eine andere Lebensweise auswählen. Unser politisches und moralisches Leben ist nicht an die Entdeckungen der Wissenschaft gebunden.
Smith bezeichnet die Wilber/Kofman - Definition von Haufen als ,,ungenau, sogar irreführend''[15]und vermerkt, dass die meisten Planeten und Gaia, die Wilber beide als soziale Holons klassifiziert, zu der Wilber/Kofman - Definition von Haufen passen. Statdessen ,,haben die meisten Haufen eine gleichförmige Zusammensetzung.''[16] Dann setzt Smith Haufen auf ein Entwicklungs - Spektrum mit sozialen Holons, indem er sie als eine weniger entwickelte Stufe eines auftauchenden sozialen Holons ansieht. Im Gegensatz dazu formuliert Edwards die Bemerkung von Haufen neu, um sie in die Holonherde zurückzubringen. Er vermerkt, dass es vom Auge und der Wertung des Betrachters abhängt, ob ein ,,Haufen'' ein Haufen ist.
Das ist besonders wahr bei der Trennung zwischen der Kategorie ,,Haufen'' und anderen Holons. Ein Forscher mag Pfützen, Sanddünen und Staubhaufen als zur Kategorie ,,Haufen'' gehörend ansehen, das mag jedoch nur einem Mangel an Wissen über die entwicklungsmäßigen Dynamiken geschuldet sein, die in jenen Typen von Gebilden und Umgebungen eingeschlossen sind. Für Spezialisten von Wasser-, geologischen oder Wüstenumgebungen können die anscheind trägen und zufällig zummengesetzten Gebilde wie etwa Pfützen/Tümpel, Sanddünen/Strände oder Staubhaufen/Felsen jedes als ein komplettes holonisches Ökosystem in sich selbst betrachtet werden.[17]
Die Wilber/Kofman - Definition von Artefakten ist wahrscheinlich die problematischste, weil bei Anwendung auf alle Fälle, die auf ihre Definition zutreffen, macht es alles zu einem Artefakt oder einer Mischform. Wenn man sich auf besondere Beispiele von Artefakten konzentriert wie Werkzeuge, Computer, Nester und Biberdämme, dann denken wir, dass wir verstehen, was Artefakte sind und wie sie sich von empfindenden Holons unterscheiden. Kofman sagt jedoch aus, dass
Enzyme Artefakte schaffen können, indem sie Moleküle zusammenbringen, um ein drittes Molekül zu erschaffen. Die Zelle selbst erschafft Moleküle zu jeder Zeit. Tatsächlich erschafft die Zelle ihre eigenen physischen Bestandteile; sie erneuert sich selbst durch einen Prozess, der ,Autopoiese' genannt wird. Wenn man die Mitochondrien betrachtet, ist das ATP, das sie produzieren, ein Artefakt. Wenn man umschaltet, um die Ebene der Zelle zu überdenken, sind das ATP und andere Artefakte der Mitochondrien als gestaltende Elemente einbezogen. Zu gleichen Zeit produziert die Zelle etwas (wie Gallenflüssigkeit in der Leber) als ein Artefakt. Diese Gallenflüssigkeit ist jedoch ein gestaltendes Element des Organismus.[18]
Wenn man die artefaktische Qualität der Reproduktion durch natürliche Prozesse anerkennt, dann öffnet das die Pforte, um zu sehen, wie Smith schreibt, dass: ,,folgt man Kofmans Definition, führt das zu der Folgerung, dass alles ein Artefakt ist'', weil
wenn ein von einem Enzym geschaffenes Molekül ein Artefakt ist, dann ist es schwierig zu sagen, was ein Artefakt ist und was nicht. Ist das Enzym-Molekül selbst ein Artefakt? Es wurde durch die Tätigkeit eines Gens geschaffen, indem es mit einigen anderen Holons in der Zelle zusammenarbeitete. Ist das Gen ein Artefakt? Es wurde durch die Tätigkeit eines anderen Gens geschaffen, das sich selbst verdoppelte. Was ist nun mit der ganzen Zelle? Sie wurde geschaffen durch die Tätigkeit von einem anderen Holon.[19]
Es sind nicht nur diese biologischen Prozesse, die artefaktisch sind; Sprache und Gedanken sind Artefakte, und es gibt keine menschliche Gesellschaft ohne sie. Deshalb sind gemäß der Wilber/Kofman - Definition menschliche Wesen, der Geburtsprozess und die soziale Konditionierung Artefakte.
Ob es nun die Revision seiner Ideen in SESoder die originalen Ideen selbst sind, es ist offensichtlich, dass sein Verständnis vom Holon grundsätzliche Mängel hat. Alles ist jedoch noch nicht verloren. Wir haben die eigenartige Situation, in der Wilbers Kommentatoren und Möchte-gern-Gesprächspartner jetzt verlässlicher über Wilbers eigenes System schreiben als Wilber selbst, und dass sie es übereinstimmender anwenden. Weil es fähige Denker gibt, die die Grundsätze und Einzelheiten seines Systems neu bearbeiten, könnte es sein, dass ein holarchisches Modell ein brauchbares Werkzeug zum Verständnis des Kosmos werden kann.
Bemerkungen
* Genauer gesagt: individueller Aspekt eines Holons. Jedes Holon hat vier Aspekte: individuelles Inneres und Äußeres und soziales Inneres und Äußeres, Wilber bezieht sich jedoch auf individuelle Holons wegen bequemeren Nachschlagens.
Literaturhinweise
[1] SES, pp. 14-15.
[2] Waldrop, M. Mitchell, Complexity, (New York: Touchstone, 1993), p. 9.
[3] Merry, Uri, Coping With Uncertainty, (Westport, Conn.: Praeger, 1995), p. 14.
[4] Horgan, John, The End of Science, (Reading, Mass.: Addison-Wesley Pub., 1996), p. 196.
[5] Cory, Gerald A. and Gardner, Russell, eds., The Evolutionary Neuroethology of Paul MacLean, Westport, Conn.: Praeger, 2002).
[6] Introduction to The Evolutionary Neuroethology of Paul MacLean, p, xxxi.
[7] Wilber, “On Critics, Integral Institute, My Recent Writing, and Other Matters of Little Consequence: A Shambhala Interview with Ken Wilber, Part II,” at shambhala.com, (no date); and Kofman, Fred, “Holons, Heaps and Artifacts,” at integralworld.net, January 2001.
[8] Andrew P. Smith gibt einem seiner Essays den Untertitel, ,,Weitere Monologe mit Ken Wilber,”
[9] Als Beispiel siehe, Ken Wilber in Dialogue, edited by Donald Rothberg and Sean Kelly, (Wheaton IL: Theosophical Publishing House, 1998).
[10] Smith, Andrew P., “Why It Matters: Further Monologues with Ken Wilber,” at integralworld.net, December 2001.
[11] Smith, Andrew P., “All four One and One for All,” at integralworld.net, February 2001.
[12] Smith, Andrew P., “The Pros and Cons of Pronouns,” in section entitled “Edwards' Intrinsically Social Individual,“ at integralworld.net, July 2003
[13] Wilber, “On Critics, Integral Institute, My Recent Writing….Part II,” in section entitled “Social Holons,” at shambhala.com, (no date).
[14] Edwards, Mark, “Through AQAL Eyes, Part 5: Matter, Membership and Mutuality,” in section 6 “Collective Agency and Governance,” at integralworld.net, May 2003.
[15] Smith, Andrew P., “The Spectrum of Holons,” at integralworld.net, January 2001, p. 5.
[16] Smith, “Spectrum of Holons,” p. 6.
[17] Edwards, Mark, “Through AQAL Eyes, Part 1:A Critique of the Wilber-Kofman Model of Holonic Categories,” in the section entitled, “The 'Heap' Category of Entities,” integralworld.net, June 2002.
[18] Kofman, Fred, “Holons, Heaps and Artifacts,” at integralworld.net, January 2001, pp. 15-16.
[19]Smith, “Spectrum of Holons,” p. 7.
© Jeff Meyerhoff 2006
Übersetzt von Hans-Peter Lin
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