INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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DER KRIEG IM IRAK

Ken Wilber

Mit einem Update über Tony Blair und einem Kommentar zu seiner "Hans und die Bohnestaude" - Politik
Hallo Freunde,

erlaubt mir, einige Bemerkungen zu einer Situation zu machen, über die in der Tat nichts gesagt oder gehört werden kann mit irgend einer Art von Gleichmut: den Krieg im Irak.

Viele Jahre lang – tatsächlich während dreier Dekaden – habe ich rücksichtsvoll abgelehnt, irgend eine Art tiefergehendes Interview über mein Werk zu geben, einfach weil ich nicht wollte, dass meine Person im Mittelpunkt steht; ich wollte, dass die Ideen selbst im Zentrum stehen, und so habe ich ein sehr niedriges öffentliches Profil gezeigt (und ich bin sicher, dass ich das den meisten von euch nicht sagen muss).

Vor einem oder zwei Jahren habe ich mit einer Ausnahme begonnen: für meinen Freund Jordan Gruber, der einen tollen Job vollbrachte, als er "Speaking of Everything" (Über alles reden) produzierte. Ich hatte einer anderen Freundin von mir, Tami Simon von Sounds True [klingt wahr] (der größte Audio-Produzent der Welt) lange vorher versprochen, wenn ich jemals ein komplettes Interview über mein Werk geben würde, dann würde ich es mit ihr und Sounds True machen. Tami ist eine bemerkenswerte Frau, eine meiner Lieblingspersonen überhaupt. Deshalb sagte ich letzten Monat: Was soll's, lasst es uns machen. Tami und ihre Mannschaft kamen zu mir herüber in mein Dachzimmer in Denver, und während vier oder fünf Tagen nahmen wir annähernd 20 Stunden an Material auf, das grundlegend alle wesentlichen Punkte behandelt: Quadranten, Ebenen, Linien, Zustände, Typen; zusätzlich all den dazugehörigen persönlichen, peinlichen, kränkenden Quatsch, der mit einer solchen Sache einhergeht (JJ). Irgendwann im Herbst will Tami einen Satz von 10 CDs von diesem Material herausbringen, ich denke: Kosmisches Bewusstsein, und das umfasst alle jener 20 Stunden, für diejenigen von euch, die so verwirrt sind, dass sie diese Möglichkeit interessant finden.

Während des Verlaufs jener langen Diskussion kam das Thema automatisch auf den Krieg im Irak: was er bedeuten könnte, weshalb er wohl geschehen ist, welche Rolle der Protest hat und so weiter. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich eine einzige grundsätzliche Bemerkung über die Situation im Mittleren Osten gemacht – „Die Dekonstruktion des Weltshandelszentrums" [auf dieser Seite vorgestellt] – und jene Stellungnahme enthält noch meine allgemeine Orientierung gegenüber diesem (oder jedem anderen) Krieg. Als ich gebeten wurde, eine besondere Stellungnahme zu dem gegenwärtigen Krieg im Irak abzugeben, habe ich nur das folgende freigegeben:

Gibt es etwas, das du noch hinzufügen möchtest, seit du „Die Dekonstruktion des Welthandelszentrums" geschrieben hast ?

Nein, doch erinnert euch nur: Wenn du GRÜN bist, dann bist du gegen den Krieg. Doch wenn du gegen den Krieg bist, musst du nicht unbedingt GRÜN sein. Es gibt Gründe des zweiten Rangs dafür, nicht in den Krieg zu ziehen. Doch es gibt auch Gründe des zweiten Rangs, in den Krieg zu gehen. GRÜN hat keine Wahl – es wird nicht gehen. Der zweite Rang hat eine Wahl, deshalb wäge die Beweislast sorgfältig. Der zweite Rang mag in der Tat den Krieg empfehlen oder er mag es nicht tun. Doch du kannst es abchecken und sehen, ob du „nur" GRÜN bist, indem du fragst, unter welchen Bedingungen du den Krieg befürworten würdest. Von du dir keine vorstellen kannst, ahem, dann sei willkommen in GRÜN. Das Thema ist jedoch enorm kompliziert, sogar durch integrale Linsen gesehen, also nochmals: wäge die Beweislast sorgfältig.

Das bestehende Hauptproblem mit dieser Diskussion ist, dass sie gänzlich dem ersten Rang angehört. BLAU sagt: Bombt die Bösen zur Hölle; ORANGE sagt: OK, doch beeilt euch, weil es den Aktionmarkt angreift; GRÜN sagt: auf keinen Fall, habt euch lieb. Der erste Rang hat es sehr schwer, große Ansichten zu erkennen, deshalb bleibt es in den partiellen Wertestrukturen gefangen, die es definieren. Das ist eine Diskussion, aus der ich mich herausgehalten habe, seit ich den WTC-Essay schrieb. Es ist ganz genau ein Überlebenskampf des ersten Rangs.

Bedauerlicherweise braucht die Welt eine integrale Aktion. Unglücklicherweise wird sie sie nicht bekommen, ob wir nun in den Krieg ziehen oder nicht. Doch es ist besser, eine Kerze anzuzünden als die Dunkelheit zu verfluchen. Deshalb arbeiten wir an uns selbst und versuchen jeden Tag, unser eigenes integrales Bewusstsein auf bestimmte Weise zu steigern, so dass wir am Ende die Welt ein klein wenig intakter verlassen als wir sie angetroffen haben........

Ich werde jetzt einige weitere Bemerkungen abgeben, nicht weil ich glaube, dass vernünftigere Stimmen gehört werden können, und nicht weil ich glaube, eine vernünftigere Stimme zu haben, sondern nur weil die unvernünftigen Stimmen so schrill sind, und dann können ein paar wertlose Worte gar nichts kaputt machen.

Lasst mich damit beginnen, eine Frage zu wiederholen, die Tami an mich stellte. Wir hatten gerade die „erste Hälfte" des Interviews beendet, die das theoretische Material abdeckte, und wir sprachen gerade über seine Anwendungen in der wirklichen Welt, und nichts ist wirklicher als ein Krieg. Tami fragte: „ Wenn du die Weltlage bestimmen könntest, was würdest du dann tun ? Was ist deine utopische Vision, um Krieg zu behandeln ?"

Wie ich es oft mache, benützte ich die Worte aus Don Becks Integralen Spiraldynamiken, um einige Punkte zu setzen. Wie Studierende meines Werks wissen, konzentrieren sich die Spiraldynamiken auf eine Entwicklungslinie – die der Werte ( vMemes ) – innerhalb von wenigstens einem Dutzend anderer Entwicklungslinien (kognitiv, interpersonal, psychosexuell, mathematisch, kinästhetisch etc.). Doch das ist eine solch wichtige Linie und dazu eine leicht verständliche, dass sie einen tollen einführenden Einblick gewährt. Don hat diesen Strom auch in ein AQAL-Netzwerk platziert (das er auch 4Q/8L, „vier Quadranten, acht Ebenen in der Linie" nennt), um die Integralen Spiraldynamiken zu produzieren, eine wundervolle Version einer integralen Psychologie. Ich spreche hier natürlich weder für Don noch für die Spiraldynamiken, sondern für meine eigene integrale Psychologie, doch benütze ich lustig einige Ausdrücke der Integralen Spiraldynamiken, um die Punkte herüberzubringen.

Als einen utopischen Ausgang als Antwort auf Tamis Frage schlug ich deshalb einige Sachen vor, wie etwa ein Weltregierungssystem aussehen könnte, das innerhalb von GELB operiert. „GELB" ist die Bewusstseinsebene, auf der „der zweite Rang" oder die wahre integrale Aufmerksamkeit aufzutauchen beginnt. Es hebt sich damit von den sechs früheren Ebenen oder vMemes ab – die der erste Rang genannt werden, jede von ihnen glaubt, dass ihr Wertesystem das einzig wahre, korrekte oder zutiefst wertvolle Wertesystem ist, das existiert. Jene Wellen des ersten Rangs sind, sehr knapp dargelegt: beige: instinkthaft; purpur: magisch-animistisch, stammesgebunden; rot: egozentrisch, Macht, feudalistisch; blau: mythische Teilhabe, konformistisch, fundamentalistisch, ethnozentrisch, traditionell; orange: Großartigkeit, Errungenschaft, Fortschritt, modern; grün: postmodern, multikulturell, sensibel, pluralistisch.

Jenen Entwicklungswellen des ersten Rangs folgt, was Clare Graves „den folgenschweren Bedeutungssprung" zum zweiten Rang nannte, der bis heute zwei Hauptebenen der Aufmerksamkeit hat: gelb: systemisch, flexibel, fließend; türkis: kosmische Einheit, integrativ, eingebettete Hierarchien von gegenseitigen Beziehungen, eins-in-vielen-Holismus. Der Punkt der utopischen Diskussion war einfach: wie würde eine Welt aussehen, deren Schwerkraftzentrum im zweiten Rang besteht ? Im folgenden werde ich oft die Ausdrücke „zweiter Rang", „gelb" und „türkis" abwechselnd benützen; die Punkte, die ich setzen möchte, sind sehr allgemein.

Der Grund, weshalb Graves den zweiten Rang einen "folgenschweren Sprung" nannte, ist der, dass im Gegensatz zu allen Wellen des ersten Rangs (die sich ihre Werte als die einzigen korrekten Werte vorstellen) der zweite Rang ein Verständnis der bedeutenden, wenn auch relativen Wichtigkeit aller früheren Werte hat – einschließlich rot, blau, orange und grün. Orange denkt, dass Grün sinnlos sei; Grün verachtet Orange; Blau meint, dass beide für ewig in der Hölle schmoren werden. Gelb dagegen findet alle von ihnen notwendig und akzeptabel, solange keiner von ihnen die Oberhand gewinnt und beginnt, die anderen zu unterdrücken. Es ist unnötig zu erwähnen, dass dies einen tiefgreifenden Einfluss auf jede Weltföderation hätte, die innerhalb von Gelb oder der Werte des zweiten Rangs operierte (wie wir sehen werden).

Da sind zwei grundlegende Punkte, die man in Erinnerung haben muss, denkt man an ein zukünftiges System der Weltregierung. Der erste ist, dass Gesetze, um Gesetze zu sein. von der höchsten durchschnittlichen Entwicklungsebene im Regierungssystem erlassen werden. In der heutigen Welt stammen zum Beispiel die meisten Gesetze in westlichen Demokratien von der orangen Ebene, die geozentrisch, postkonventionell und modern ist ( oder, wie unsere französischen Freunde das orange Meme vor 300 Jahren nannten: Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit). Viele Länder arbeiten weiterhin auf einer blauen Ebene: konformistisch, nicht-demokratisch (diktatorisch oder totalitär), nicht auf Beweismittel sondern auf Dogmen gestützt (Marxisten, Muslim oder andere) oder ethnozentrisch (glaube an das Buch oder verbrenne). Manche terroristische Zellen (nicht zu erwähnen die Straßengangs) verbleiben in ROT: Hierarchien mit roher Gewalt und physischer Stärke, oft eingeführt durch Folter, Vergewaltigung oder jede nötigen Mittel, die einen Warlord an der Macht erhalten. Obschon Strukturen wie Rot und Blau ziemlich brutal erscheinen und es oft auch sind, müssen sie jedoch im Kontext gesehen werden: sie sind gewöhnlich das Beste, was unter den gegebenen Umständen und Bedingungen erreichbar ist.

Deshalb fragen wir, wie würde ein System der Weltregierung – eine Weltföderation – aussehen, wenn es vom zweiten Rang aus operierte und seine Grundgesetze von einem gelben (oder höherem) Schwerkraftzentrum erließe ? Doch bevor wir das ansprechen, sollte der zweite Grundbestandteil erinnert werden, nämlich: egal wie hoch eine Gesellschaft entwickelt sein mag – einschließlich einer, deren Schwerkraftzentrum gelb ist – wird nichtsdestoweniger jeder in dieser (oder einer anderen) Gesellschaft auf Platz eins geboren. Nur weil eine Gesellschaft „gelb" ist, heißt das noch lange nicht, dass jeder in dieser Gesellschaft gelb sein wird; im Gegenteil werden es zumindest anfangs sehr wenige sein, wie heutzutage in unseren „orangen" Gesellschaften nicht jeder bei Orange angelangt ist; tatsächlich sind wenigstens die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung vor-orange (purpur, rot, blau). Nur unsere Gesetze stammen meistenteils aus Orange.

Das bedeutet, dass sogar in einer „integralen Gesellschaft" (gelb oder höher) immer noch Einschlüsse oder Subkulturen von Individuen auf Purpur, Rot, Blau, Orange und Grün sind. Dies ist nicht nur unvermeidbar, es ist gesund, normal, wünschenswert. Es ist jedoch nicht wünschenswert, dass eine von jenen Wellen das Regierungssystem dominiert und deshalb versucht, seine Werte anderen aufzuzwingen – ob das nun rote Werte, blaue Werte oder grüne Werte sind. Kurz gesagt, würde eine gelbe Gesellschaft Gesetze haben, die grundsätzlich aus der Bewusstseinsebene des zweiten Rangs stammen. Und das grundlegende kennzeichnende Charakteristikum von Gelb ist, dass es alle früheren Werte akzeptiert, ohne zuzulassen, dass einer von ihnen andere unterdrückt oder beherrscht.

Eine integrale Weltföderation des zweiten Rangs würde -- in meiner utopischen Sicht – deshalb alle Memes des ersten Rangs daran hindern, irgendeine der anderen Populationen zu beherrschen, anzugreifen oder auszubeuten. Notwendigerweise würde eine Weltföderation dabei Polizeigewalt benutzen, genauso wie alle heutigen Demokratien eine interne Polizeitruppe haben, um Mord, Vergewaltigung, Raub, Erpressung usw zu beschränken. Jemand, dessen Schwerkraftzentrum Grün ist, wird weder einen Mord, Raub noch eine Vergewaltigung begehen. Wessen Schwerkraftzentrum jedoch Rot ist, der wird all jenes tun, manchmal mit Freude. Und weil jeder auf Platz eins geboren wird und durch Purpur, Rot, Blau usw voranschreiten muss, wird irgendeine Polizeitruppe nötig sein, um diejenigen vor den anderen zu beschützen, die sich nicht zu einer geozentrischen Ebene von Fürsorge und Mitleid entwickeln.

Deshalb würde jede Weltföderation mit Notwendigkeit eine Art Polizeitruppe haben. Nennt sie die Weltpolizisten. Unnötig zu sagen, dass die Weltpolizisten durch die Weltföderation reguliert würden, nicht durch irgendein Land (und gewiss nicht durch Amerika, Britannien, Frankreich, Deutschland etc.).

Diese Polizeitruppe ist NICHT befugt, den Leuten zu sagen, auf welcher Bewusstseinsebene sie zu sein haben; es ist NICHT erlaubt zu bestimmen, was Individuen in der Privatsphäre ihrer eigenen Häuser oder Wohnungen tun; es ist NICHT erlaubt, Menschen zu nötigen oder einzuschüchtern, die nicht auf dem durchschnittlichen Level der sozialen Entwicklung sind. Es ist jedoch erlaubt, diejenigen davon abzuhalten (oder zu bestrafen), deren öffentliches Auftreten von einem weniger als geozentrischen Stand herrührt. Wenn ich zum Beispiel in der Privatsphäre meines eigenen Heims wünsche zu denken, dass alle Menschen auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden müssen, die Jesus nicht als ihren persönlichen Erlöser anerkennen, dann ist das mein Recht. Wenn ich dich jedoch erschieße, weil du nicht an Jesus glaubst, dann muss der Staat – in diesem Fall die Weltföderation – mich verhaften und einsperren.

Die einfache Regel, die bereits implizit von allen geozentrischen Regierungssystemen angewandt wird (z.B. auf Orange oder höher, eingeschlossen Deutschland, Frankreich, Amerika, Britannien, Japan etc.), ist die: in der Domäne der linken Hand kann man denken, was man will; doch in der Domäne der rechten Hand muss man sich körperlich gemäß den geozentrischen Gesetzen verhalten oder man wird aus der öffentlichen Sphäre entfernt.

Wie wir bereits feststellten, ist „das Gesetz des Landes" in westlichen Demokratien weitgehend Orange; in den letzten 30 Jahren ist dies durch eine wachsende Anzahl von Gesetzen ergänzt worden, die von der grünen Welle stammen, einschließlich Gesetzen über die Gleichstellung am Arbeitsplatz, Gesetzen der freien Gesundheitsvorsorge und (Anti)-Hass-Gesetzen. Diese besagen zum Beispiel, dass man Homosexuelle hassen darf (in der Privatsphäre seines eigenen Geistes der linken Hand), doch wenn man diesen Hass öffentlich (rechte Hand) ausdrückt (z.B. durch Hasstiraden), gibt es dafür Strafen. Daher ist in vielen westlichen Demokratien die Redefreiheit (ein klassischer oranger Wert und in diesem Land ein Freiheitsrecht des Ersten Zusatzantrags) oft durch Einschränkungen der Redefreiheit ersetzt worden (ein klassischer grüner Wert: Grün möchte Reden beschränken, die nicht mit seinen Werten übereinstimmen). Mein einziger Punkt ist, dass beide die implizite Regel ausdrücken, die ich im vorigen Absatz beschrieb.

In dieser Hinsicht wäre eine integrale Weltföderation gar nicht unterschiedlich: man dürfte denken, was immer man wollte; man müsste sich jedoch den Gesetzen entsprechend verhalten, die aus dem Schwerkraftzentrum des Regierungssystems stammten, in diesem Fall: Gelb. Deshalb wären die Werte, die im „Gesetz des Landes" einbezogen sind, nicht orange oder grün, sondern gelb oder integral; nicht vom ersten Rang, sondern vom zweiten Rang. Dementsprechend würde das öffentliche Verhalten (rechte Hand) gemäß den gelben (oder höheren) Standards reguliert, auch wenn Individuen wieder gestattet wäre zu denken oder zu glauben, was immer sie wollten (linke Hand). Weil der Hauptpunkt von Gelb integrativ ist, heißt das, dass alle Wertesysteme des ersten Rangs einen respektierten Platz hätten, doch keiner der Werte des ersten Rangs dürfte andere kolonisieren.

Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Amerika den Irak verachten dürfte (in der Privatsphäre seiner eigenen linken Hand, im nationalen Kulturbereich). Amerika wird dann jedoch nicht gestattet, den Irak anzugreifen (im Bereich der rechten Hand, der öffentlichen internationalen Gemeinschaft).

Doch das ist nur die halbe Geschichte dessen, was von einer integralen Weltföderation nicht gestattet würde. Saddam Hussein hat gemäß konservativen und unbestrittenen Schätzungen annähernd 200.000 Kurden und weitere 200.000 seiner eigenen Landsleute ermordet, oft indem sie gefoltert, vergewaltigt oder vergast wurden. Jede integrale Weltföderation würde, wenn nötig durch Gewaltanwendung, beide jener Aktionen verhindern. Keine jener Aktionen erfüllt gelbe Standards, und deshalb würde keine unter einem gelben Weltgesetz erlaubt sein. Amerikas Invasion in den Irak erfüllt sicherlich blaue-bis-orange Standards; und die Aktion Saddam Husseins erfüllt gewiss rote Standards. Keine von beiden würde von einer integralen Weltföderation genehmigt werden.

Darüber hinaus versteht es sich von selbst, dass die Weltföderation von sich aus in den Irak einmarschieren und den Irak polizeilich kontrollieren würde, wenn unabwendbare Beweise von Massenmord im Parlament der Weltföderation vorgelegt würden. Massenmord wo auch immer verletzt geozentrische Werte. Saddam Hussein darf die Kurden hassen (in der Privatsphäre seines eigenen rote-Meme-Geistes); es wird ihm jedoch nicht erlaubt, 200.000 von ihnen zu vergasen. Wenn er es täte, würde die Polizeitruppe der Weltföderation militärische Aktionen unternehmen, um Saddam Hussein daran zu hindern, damit fortzufahren, wenn er nicht freiwillig aufhörte und sofort davon Abstand nähme.

Aus dem gleichen Grund glaube ich persönlich, dass jede Protestbewegung, die nicht gleichermaßen gegen beides protestiert: Amerikas Invasion und Saddams Mord an 400.000 Menschen, eine Protestbewegung ist, die nicht wahrhaft Frieden und Nicht-Aggression oder geozentrische Werte repräsentiert.

Ich bin mir keiner Hauptprotestbewegung bewusst, die gleichermaßen gegen beide Formen der Gewalt protestiert und die auf ein sofortiges Beenden beider Aggressionen bestanden und einen glaubwürdigen Weg angeboten hätte, wie beide Aggressionen tatsächlich sofort gestoppt werden könnten, so dass keine Seite ihre mörderischen Aktionen fortsetzen könnte.

Dies heißt, dass ich bedauerlicherweise von keiner integralen Protestbewegung irgendwo in der Welt etwas gehört habe.

Es sind stattdessen hauptsächlich Einschlüsse von roten, orangen und grünen Werten vorhanden, und alle packen sich gegenseitig an die Kehle. Man sollte Mr. Bushs Werte nicht falsch verstehen: sie sind wesentlich blau-bis-orange. Es sind die zutiefst fundamentalistischen, absolutistischen Werte von Bush, die viele anderen Regierungen alarmiert haben (besonders die von Frankreich, Deutschland und Russland), und das ist verständlich. Die blaue Welle teilt die Welt typischerweise in Gut gegen Böse ein, und sie hat einen unerschütterlichen (wie auch ethnozentrischen) Sinn für richtig und falsch. Bushs „Achse des Bösen" ist klassisches Blau. Das Schlimmste, was man über Bushs wesentlich blauen Ansatz sagen kann, ist tatsächlich, dass er zutiefst ethnozentrisch und imperialistisch ist. Das Beste, was man sagen kann: es verwendet Blau, um Rot einzuschränken, und Bushs Aktionen dienen der weiteren Spirale, indem sie Einschlüsse von rotem Terrorismus ausrotten.

Die andere Hauptabteilung in der Debatte repräsentiert wesentlich Werte des grünen Memes. Die grüne Welle – die Clare Graves „das sensible Selbst" nannte – wünscht, alle Kriege zu beenden, und so muss sie sich selbst als Kriegsgegner unter allen möglichen Umständen betrachten. Weil jedoch oft ein Krieg nötig ist, um einen Krieg zu beenden (z.B. musste es den 2.Weltkrieg geben, um Auschwitz zu beenden), ist Grün oft gelähmt angesichts der wirklichen Aggression in der Welt, und es besteht darauf, sich vor Nazi - Panzer zu legen, als ob das die tatsächlich stoppen könnte. Doch solange sich Grün beim Protestieren gegen Aggression erleben kann, ist es relativ zufrieden. Das Schlimmste, was man über diese Protestierer sagen kann: sie sind wesentlich „Saddam- Ermöglicher" ( in genau der gleichen Weise, wie Neville Chamberlain ein Hitler-Ermöglicher war). Das Beste, was man über sie sagen kann: diese Individuen dienen der weiteren Spirale, indem sie mehr Menschen gegenüber den Schrecken der Aggression sensibilisieren.

Was die Weltführer betrifft – nimmt irgendeiner von ihnen etwas an, das einer integralen Sicht ähnelt ? Der einzige Weltführer, der nach meiner Meinung nah herankommt, ist Tony Blair. Blair – anscheinend allein, so scheint es mir – hat die mannigfaltigen Seiten ziemlich gut im Sinn und zieht Folgerungen (und Aktionsarten), die auf einem größeren Bild basieren. Er besteht darauf, dass die gesamte irakische Situation im Hinblick auf Palästina und Israel in den Kontext einer „zwei Nationen"-Politik gesetzt wird, und so „gibt" man den arabischen Nationen etwas zurück sozusagen (doch etwas, was sie ohnehin bekommen müssten). Blair sitzt, fast auf sich allein gestellt, zwischen Amerika und Europa und schreit beiden zu: ihr könnt doch nicht damit beginnen, miteinander zu konkurrieren und euch zu bekämpfen – jener Weg führt zu mehr Albträumen, als ihr es euch vorstellen könnt. Wie der Koloss von Rhodos hat Blair einen Fuß in Amerika und einen Fuß in Europa, und er scheint heldenhaft der einzige Weltführer zu sein, der versucht, die Integration am Leben zu erhalten. Darüber hinaus hält er Bush an, sich an den UN zu orientieren (welche das amerikanische blaue Meme verachtet). Er kann auch nicht beschuldigt werden, „zu versuchen, seine Ölinteressen zu verteidigen", weil Britannien ein Nettoölexporteur ist. Seine eigene Vision ist folgerichtig, diszipliniert, leidenschaftlich, jedoch unparteiisch. Nach meiner Meinung ist er die einzige Person mit der Statur des Weltführers; man kann sich nur die Dimensionen des Disasters vorstellen, die Bushs Kampagne hätte ohne den Versuch Blairs, die Welt zusammenzuhalten. (Als ein Außenstehender – und ich will hier überhaupt nicht unfreundlich erscheinen – kann man nicht umhin, sich vorzustellen, was in aller Welt durch den Geist des vom gelben Meme geprägten Blair streicht, wenn er in einem Zimmer allein mit dem vom blauen Meme geprägten Bush sitzt...). Dass Blair auch ein authentischer Pionier der Politik „des dritten Weges" ist (s. Eine Theorie von Allem), die eine der ersten ernsthaften Bewegungen auf eine integrale Politik ist, die das Beste der Liberalen und Konservativen vereint, ist vielleicht keine Überraschung. Angesichts der bestehenden aktuellen Weltsituation, ist Blairs allgemeine Position die beste, die pragmatischerweise angeboten werden kann.

(Nach meiner Meinung fehlt der Hauptpunkt in Blairs Standpunkt, dabei sollen die anderen politischen Hauptführer unerwähnt bleiben, nämlich eine Art von komplizierter Entwicklungsperspektive, die -- kurz gesagt – eine der fünf Hauptdimensionen in einer integralen Annäherung ist; z.B. ist es der „Ebenen"-Aspekt von „Quadranten, Ebenen, Linien, Zuständen und Typen". Einer der traurigsten der nicht-integralen Effekte der gegenwärtigen Weltführerschaft ist das andauernde Durcheinander, das von westlichen Demokratien verursacht wird, die sich vorstellen, sie könnten eine Demokratie vom Schlage des orangen Meme mit der Sensibilität des grünen Memes in die Mitte einer Wüste des roten Memes hineinklatschen, und dass das dann irgendwie wachsen wird. Das ist nicht Weltpolitik; das ist „Hans und die Bohnenstaude" [Märchen von Walter Crane, um 1900, d.Ü.] Jeder wird auf Platz eins geboren. Wenn es eine gesunde blaue Infrastruktur gibt – entweder in den innerstädtischen Gettos oder in den Stämmen des Mittleren Ostens -- dann gibt es für rote Jugendliche keinen Platz, wohin sie gehen können, und daher enden sie gefangen in einer Stadt des Warlords. Wenn man „Demokratie" einer solchen Kultur aufzwingt, dann endet das einfach, wie es ständig überall passiert ist, bei der freien Wahl militärischer Diktatoren. Unnötig zu erwähnen: dies ist ein komplexes Thema; Leser werden wieder verwiesen auf Eine Theorie von Allem für einen Überblick, ebenso wie auf integralinstitute.org)

Was mich bei den höchst emotionalen Debatten über den Krieg im Irak am meisten bedrückt, ist wie tief die gesamte Diskussion in Kämpfen der Werte des ersten Rangs versinkt. Sowohl die blau-bis-orangen Bush-Unterstützer, als auch die orange-bis-grünen Medien (und Protestierer) geben wüst verdrehte, einseitige und präjudizierte Berichte der Ereignisse. Ich bin ständig bestürzt darüber, wie brutal eng eine angebotene Perspektive ist, sogar (und manchmal besonders) diejenigen, die beanspruchen, besorgt und einbeziehend und mitleidsvoll zu sein. Es gibt eine Menge von Wahrheit auf beiden Seiten der Debatte, jedoch nicht die ganze Wahrheit, die beide Seiten lautstark zu besitzen behaupten.

Ich erwarte sehnsüchtig eine Diskussion, in der integrale Offenheit aufblühen kann. Ich erwarte sehnsüchtig eine Gruppe von Weltführern, die ein größeres Bild sehen können, ein größeres Bild, das wirklich allen Wertesystemen gestattet sich zu behaupten, dabei sollte jedoch nur geozentrisches Verhalten toleriert werden. Ich erwarte sehnsuchtsvoll diese törichte utopische Sicht von einer Weltföderation, in der „jeder Recht hat", doch nur wenn einige mehr Recht haben als die anderen (z.B. geozentrisch ist richtiger als ethnozentrisch; siehe Auszug B: „Drei hilfreiche Prinzipien für jeden integralen Ansatz"). Ich erwarte sehnsuchtsvoll den Frieden und die Fülle integralen Bewusstseins, das von möglichst vielen fühlenden Wesen geteilt wird. Ich erwarte sehnsuchtsvoll eine Zeit, in der ein integraler Ansatz nicht sowohl von Grün als auch von Blau gehasst wird. Doch, alas, es scheint, als sei ich weitläufig zur Isolation verdammt.

Dennoch hat die Welt das zu tun, was sie tun muss. Mein eigener Glaube ist, dass wir im kommenden Jahrhundert sehen werden, wie die gegenwärtigen Vereinten Nationen friedlich ersetzt werden durch die erste Bewegung auf eine echte Weltföderation zu, im besondern von Bedrohungen gegen das globale Gemeinwohl angetrieben, die nicht auf einer nationalen Ebene behandelt werden können (so wie Terrorismus, globale Finanz- und Wirtschaftspolitik und Umweltbedrohungen gegen das globale Gemeinwohl).

Ich glaube, dass die erste Weltföderation wahrscheinlich orange-bis-grün sein wird. Ich hoffe, dass sie ein gesundes Grün sein wird, doch wer weiß ? Ich glaube, dass jede solcher grünen Weltföderationen substantielle Schritte auf eine Weltharmonie hin gehen wird, doch sie wird wahrscheinlich mit den inhärenten Begrenzungen und Widersprüchen aller Perspektiven des ersten Rangs konfrontiert werden. Das Gegenstück einer weltweiten, politisch-korrekten Gedankenpolizei wird entstehen – eine grüne Inquisition, wenn ihr so wollt --, deren subtile Brutalität, begleitet von einer Reihe von extrem unangenehmen Ereignissen, wird eine gelbe Weltföderation des zweiten Rangs dazu zwingen, sich zögernd zu entfalten. Doch das wird, glaube ich, noch wenigstens ein Jahrhundert oder so dauern.

Bis zu jener Zeit – und in Anbetracht dessen, dass heutzutage keine Regierung, keine Protestbewegung und keine nationale oder internationale Politik schon integral ist – ist man gezwungen zu fragen: was kann ich persönlich tun angesichts der heutigen unheilbringenden Verhältnisse ? Hier kann ich nur wiederholen, was ich in meinem früheren Kommentar gesagt habe, und das meine ich wirklich aus tiefer Überzeugung: Bedauerlicherweise braucht die Welt integrale Aktion. Bedauerlicherweise wird sie sie nicht erhalten, ob wir nun in den Krieg ziehen oder nicht. Es ist dennoch besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen. Deshalb arbeiten wir an uns selbst und versuchen, unser integrales Bewusstsein zu verbreitern, jeden Tag in einem gewissen Grad, so dass wir am Ende die Welt etwas heiler verlassen, als wir sie angetroffen hatten....

Version 1: 14. April 2003

Version 2: 16. April 2003 (neu: Tony Blair als "integraler" Weltführer)

Version 3: 16. April 2003 (neu: die Hauptschattenseite von Blairs Politik)