INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber
Today is:
Veröffentlichungstermine von Essays (Monat / Jahr) finden Sie unter "Essays".
Ray Harris ist ein regelmäßiger Mitarbeiter bei dieser Webseite. Er hat
Artikel geschrieben über den 11. September, Boomeritis, den Irakkrieg und die
Politik des dritten Weges. Harris lebt in Australien und kann kontaktiert
werden bei:
[email protected]
.
Nach meiner Meinung wäre der Nahe Osten ein vorrangiges Fallbeispiel für die
integrale Theorie, doch es wurden noch nicht viele Beiträge zu diesem Thema aus
dieser Perspektive geschrieben. Deshalb hatte ich Ray schon seit langem
gebeten, über seine Ansichten vom Problem des Nahen Ostens zu schreiben. Dies
ist seine Antwort auf meine Bitte.
Integrale Bemerkungen über den
israelisch/ arabischen Konflikt
Ray Harris
Dementi: Ich mache diese Kommentare mit einiger Zurückhaltung. Dieser Konflikt
ist bitter und jeder, der dazu Stellung nimmt, begegnet einem persönlichen
Angriff. Deshalb möchte ich die Leser ansprechen, die auf diesen Artikel von
außerhalb der integralen Gemeinschaft kommen – dieser Artikel wird
voraussetzen, dass sie mehr als ein vorübergehendes Verständnis vom Ausmaß der
integralen Theorie haben und
von meinem Schreiben auf dieser Seite.
.
Ich werde keine Kritik von außerhalb der integralen Gemeinschaft beantworten,
einfach weil solch ein Austausch oft als Gegenbeschuldigungen endet, die zu
persönlichem Missbrauch herabsinken (obschon ich gern nachweisbare
Tatsachen-Korrekturen annehmen möchte.)
In '
Blutsbruderschaften
' (2002) habe ich angedeutet, dass die Wurzel des Terrorismus nicht Armut oder
sogar der Zugang zu Land sei – vielmehr ist es meistens die Behauptung von
Identität. Der israelisch/arabische Konflikt ist komplex: es sind eigentlich
mehrere Konflikte, die durch alle Quadranten und Ebenen hindurch gekämpft
werden. Jedoch im wesentlichen ist er, so glaube ich, ein Konflikt zwischen
widerstreitenden Traditionen von Identitäten – kurz: wenn du existierst, dann
kann ich nicht existieren.
Alle Seiten ergehen sich in solch einer ausschließenden Logik und um den
Konflikt zu verstehen, müssen wir die widerstreitenden Traditionen verstehen
und dass die Extreme jeder dieser polarisierten Positionen sich weigern, die
Tradition der Gegenseite zu akzeptieren. So weigern sich die Araber, den
jüdischen Anspruch auf das Gebiet anzuerkennen und die Juden weigern sich, die
arabischen und muslimischen Ansprüche anzuerkennen. Die Zionisten hatten einen
Ausspruch: ‚ein Land ohne Menschen für Menschen ohne Land’. Das hätte keine
verhängnisvollere Behauptung sein können und eine, die unter Garantie jeden
Bewohner von Palästina angriff, einschließlich nicht-arabischer Mitglieder von
religiösen Minderheiten (die es verdienen, erwähnt zu werden). Gleichermaßen
ist der Gegenanspruch, dass die Juden überhaupt keinen rechtmäßigen Anspruch
auf das Land haben, genauso offensiv und verheerend.
Von einer integralen Perspektive ist es wichtig, dass wir die Traditionen aller
Interessensvertreter verstehen. Ich kann hier nur eine Kurzfassung geben und
ich entschuldige mich, wenn die Kürze zu Auslassungen führt.
Die Geschichte der Juden
Es gibt zwei jüdische Haupttraditionen, die religions-kulturelle und die
historische. Die religions-kulturelle ist gut bekannt und wird in der Torah
dargestellt. Sie erzählt von einem Volk, das in Ägypten in Gefangenschaft
gehalten und das durch den Propheten Moses befreit wurde, der es dann in ein
Verheißenes Land führte. Juden feiern dieses Ereignis in der ganzen Welt als
Passah. Diese religions-kulturelle Tradition betont ein Bemühen, eine
ausschließliche Identität aufrechtzuerhalten und bezieht den Kampf gegen
interne Zersetzung ein (durch das Anbeten falscher Götter) und die Invasion von
äußeren Mächten, einschließlich einer wichtigen Periode des Exils in der Gewalt
der Babylonier. Der wichtige Punkt hier ist, dass das für einen Juden eine
Geschichte eines gewaltigen Kampfes ist, eine Heimat zu finden und zu
behaupten. Die Wichtigkeit dieser Tradition für die Juden zu verleugnen,
bedeutet ihre Identität zu entwerten.
Neuerliche historische Forschung stellt die religions-kulturelle Tradition in
Frage, doch sie lehnt den historischen Anspruch der Juden auf das Gebiet nicht
ab. Die Forschung deutet darauf hin, dass die antiken Hebräer einer von
mehreren semitischen Stämmen in der Region waren, deren Ursprünge bis in die
späte Neusteinzeit zurückverfolgt werden können. Kurz gesagt: sie sind
Einheimische. Durch einen Prozess der Invasion und Differenzierung
(einschließlich des Sieges über widerstreitende Stämme durch äußere
Eindringlinge) gewannen die Hebräer an Bedeutung. Der Rest ist Geschichte, wie
sie sagen und dort stimmt die religions-kulturelle mit der anerkannten
historischen Tradition überein. Während die Geschichte einen Zweifel auf die
Existenz von Abraham und Moses werfen könnte, leugnet sie nicht, dass im Jahr
66 unserer Zeitrechnung die Römer Jerusalem zerstörten, was zur Diaspora
führte. Innerhalb der jüdischen Tradition wurde das als eine weitere Periode
des Exils verstanden, die immer die Hoffnung einbezog, dass sie genauso wie sie
in das Verheißene Land aus dem Exil in Ägypten und Babylonien zurückkehrten,
aus dem Exil in der Diaspora zurückkehren würden. Die zentrale Feier des
jüdischen Kalenders Passah markiert diese Hoffnung.
Es kann keinen Zweifel geben, dass das Land von
eretz yisrael
, die Stadt Jerusalem und der Tempelberg von entscheidender Bedeutung für die
jüdische Identität sind.
Die Geschichte der Christen
Wiederum werde ich nicht ins Detail gehen, weil die meisten diese Geschichte
kennen, es ist jedoch erwähnenswert, dass seit der Zeit Jesu verschiedene
arabische und nicht-arabische Gemeinschaften einen Anspruch auf das Land
erhoben und Gemeinden errichtet haben, die berühmtesten davon sind die
armenischen Christen in der Altstadt von Jerusalem.
Seit der frühesten Zeit haben Christen Pilgerreisen in das Heilige Land
unternommen. Innerhalb der christlichen Tradition waren die Kreuzzüge ein
Versuch, die Heilige Stadt von den fremden Eroberern zurückzuerobern, die die
christlichen Pilger besteuerten und einschränkten. Es muss daran erinnert
werden, dass die Region seit 63 vor unserer Zeitrechnung unter der Kontrolle
des Römischen Reiches stand. Als das Reich sich in eine westliche und eine
östliche Sphäre aufspaltete, wurde Jerusalem vom Byzantinischen Reich
beherrscht, das sich von einem heidnischen in ein christliches Reich mit Sitz
in Konstantinopel gewandelt hatte.
Hier müssen wir bemerken, dass die christliche Tradition darauf hinauslief, ein
resolutes Verleugnen der jüdischen Tradition einzubeziehen. Die Botschaft Jesu
wurde für großartiger gehalten als die jüdische Botschaft und als daher die
Juden die christliche Tradition missachteten, dass Jesus der Messias war,
beschuldigten die Christen die Juden, ihn getötet zu haben. Das führte zu
beträchtlicher gegenseitiger Feindseligkeit, die zu Gewalt von beiden Seiten
führte. Während der Kreuzzüge wurde Tausende Juden in Jerusalem ermordet.
Die Geschichte der Muslime
Der Koran beruht stark auf dem Vermächtnis Abrahams. In den Anfangstagen in
Mekka pflegte Mohammed mit der Blickrichtung auf Jerusalem zu beten. Während
der Nachtreise wurde Mohammed vom Erzengel Gabriel aufgetragen, auf einem
magischen Hengst namens Baraka nach Jerusalem zu reisen. An der Stelle, die
‚die entfernte Moschee’ genannt wurde (
al-aqsa
) auf dem Tempelberg stieg Mohammed zum Himmel auf, wobei er an früheren
Propheten auf niederen Stufen vorbeigeht und neben Gott im höchsten Himmel
sitzt (das wird nicht im Koran im einzelnen aufgeführt, sondern kommt im Hadith
vor).
Die muslimische Tradition umfasst den Glauben, dass die Juden von Medina
Mohammed verraten haben. Es gibt einen Widerspruch in der muslimischen
Tradition zwischen Mohammeds früherem Respekt vor der jüdischen Kultur und
seinem späteren Konflikt mit den jüdischen Stämmen. Einerseits gibt es Respekt
vor den Juden als ‚Volk des Buches’, andererseits gibt es Verachtung und
Misstrauen gegenüber den Juden als Verräter.
Innerhalb der muslimischen Tradition ist Mohammed der letzte und vollständigste
der Propheten. Das bedeutet, dass die muslimische Tradition alle früheren
Traditionen übertrifft. Wenn man Mohammed als einen wahren Propheten
akzeptiert, dann ist man durch eine Logik einer gottgegebenen Überlegenheit
gebunden, genauso wie Christen und Juden durch ihren Glauben an Überlegenheit
gebunden sind.
Muslime eroberten Jerusalem sehr kurz nach Mohammeds Tod im Jahr 638. Um den
muslimischen Anspruch auf die Heilige Stadt zu feiern, baute der Umayyad Kalif
Abd al-Malik (685-705) den berühmten Felsendom (
as-Sakhra
), der über dem Fundament von Salomons Tempel steht. Muslime betrachten das
Gebiet des Doms und die al-Aqsa-Moschee als ihre drittheiligste Stätte (und die
Juden als ihre heiligste). Unter einigen muslimischen Herrschern wurde den
Juden erlaubt, das Gebiet des Doms und der al-Aqsa-Moschee zu verschiedenen
Gelegenheiten und zur Anbetung am Felsen zu betreten, doch zu anderen Zeiten
wurde ihnen jeder Zugang untersagt (heute wird ihnen der Zugang untersagt).
Widerstreitende Traditionen
Steht man außerhalb von allen drei Traditionen, dann bemerkt man, dass jede auf
einer fundamentalen Negation der anderen basiert. Diese sind Traditionen, die
im Wettstreit liegen und sie sind ebenso Traditionen, die den Gebrauch von
Gewalt rechtfertigen, um Herrschaft über die anderen zu gewinnen. Der Felsendom
wurde gebaut, um die Skyline von Jerusalem zu beherrschen. Seine Erbauer
entwarfen ihn, um den langersehnten jüdischen Dritten Tempel zu ersetzen. Mit
anderen Worten kann das als Aussage eines von einem Eroberer geäußerten
religiösen Überlegenheitsgefühl gelesen werden. Auf seinen östlichen und
südlichen Toren befinden sich Kupferplatten, die den Islam über das Christentum
setzen. Selbstverständlich erkennen die Juden die Rechtmäßigkeit des Doms nicht
an und religiöse Juden haben Pläne, ihn und die al-Aqsa-Moschee zu zerstören
und den Dritten Tempel wiederaufzubauen, und Muslime haben Pläne, jeden dieser
Versuche gewaltsam abzuwehren (wenn es versucht würde, wäre die gesamte
muslimische Welt in Aufruhr).
Leider gibt es keine Lösung für derartig ausschließende Traditionen. In
integralen Ausdrücken müssen sie transzendiert werden. Ich würde jedoch
argumentieren, dass die Frommen aller Glaubensrichtungen ihre Tradition nicht
transzendieren können, weil sie damit nämlich ihren ausschließenden Anspruch
auf die Wahrheit verleugnen würden und sie werden (gewaltsam) gegen jedweden
solcher Versuche Widerstand leisten. Was wir tatsächlich zur Zeit sehen, ist
die Zurückweisung von Synkretismus und Modernität durch Fundamentalisten aller
drei monotheistischen Bekenntnisse.
Propaganda
Um ihre religiösen und politischen Ansprüche voranzutreiben, muss jede Seite
des Konflikts die Traditionen der anderen verleugnen. Der vielleicht
bösartigste Aspekt dieses Konflikts ist der verworrene Propagandakrieg, in dem
jede Seite (und da gibt es viele) versucht, die Rechtmäßigkeit der
widerstreitenden Traditionen abzustreiten. Das geschieht auf mehrere Arten.
-
Historische Entstellung
-
Versuche, die Definition von Rechtmäßigkeit* zu definieren
-
Den anderen dämonisieren.
-
Einen besonderen Opferstatus beanspruchen
*Eine Schwierigkeit in diesem Konflikt ist, dass jede Seite eine
unterschiedliche Definition von Rechtmäßigkeit hat. Daher sagen die Juden, sie
hätten einen primären historischen Anspruch auf das Land, wohingegen die Araber
sagen, das Recht der Eroberung verneine diesen Anspruch. Das Problem ist, dass
es keine ‚objektive’ Basis gibt, auf der man die widerstreitenden Ansprüche
beurteilen könnte und Menschen wählen oft die Seiten aus, die auf einer
subjektiven Beurteilung beruhen hinsichtlich der Bewertungen für die
Rechtmäßigkeit der einzelnen Ansprüche. Weshalb annulliert Eroberung einen
Anspruch eines angestammten Besitztums? Wie lange sollte ein Eroberungsvolk in
einem Land bleiben, um Rechtmäßigkeit zu beanspruchen? Gelten diese Regeln auch
in anderen strittigen Regionen, z.B. Kashmir und Tibet?
Jede objektive Analyse des Konflikts muss Kenntnis von der Propaganda jedes der
Widersacher haben. Leider scheint es nur sehr wenige zu geben, die das tun
können. Der Konflikt ist auf nicht-teilhabende Unterstützer weltweit ausgedehnt
worden, die sich auf eine Seite geschlagen haben. Deshalb beziehen die
Propaganda-Kriege Beschuldigungen von ‚jüdischen Lobbys’ und ‚arabischen
Lobbys’ mit ein. Das unterliegt nicht der normalen links/rechts Dichotomie,
weil es pro-israelische und pro-arabische Linke, Gemäßigte und Rechte gibt.
Leider ist dieser Propaganda-Krieg bösartig und beide Seiten befördern die
verleumderischsten Propaganda-Typen. Die arabische Welt ist die letzte Bastion
der diskreditierten Verschwörungstheorie ‚Die Protokolle der Weisen von Zion’,
einschließlich der infamen ‚Blut-Verleumdung’ (ja, leider glauben einige Araber
wahrhaftig, dass die Juden Kinder opfern.)
Eine integrale Antwort
Nun, was machen wir damit? Können wir etwas tun? Letztenendes müssen wir alle
eine Beurteilung abgeben, welche integralen Prinzipien sollten deshalb diese
Beurteilung führen? In meinen gesamten Schriften betone ich die Erste
Direktive, dass die integrale Theorie Lösungen anfordert, die das größte
Entwicklungs-Potenzial für die größte Anzahl zulassen. Das bedeutet, dass wir
die Lösung unterstützen, die die beste Chance bietet, der Ersten Direktive die
Ehre zu erweisen.
Hier an diesem Punkt möchte ich aus der Illusion von Objektivität
heraustreten. Ich kann fortfahren, in einem passiven und pseudo-objektiven Stil
zu schreiben, der vorgibt, alle Seiten des Arguments sorgfältig zu sichten,
doch wir wissen alle (als gute Vertreter der Postmoderne), dass alles ohnehin
subjektiv und intersubjektiv ist. Tatsächlich ist dieser Konflikt ein Konflikt
von vielfältigen Subjektivitäten und Intersubjektivitäten. Wir können
vielleicht bei gewissen Tatsachen übereinstimmen, dass an einem gewissen Datum
gewisse Dinge geschehen sind, doch was zählt, ist welche Bedeutung wir diesen
Tatsachen geben.
Wo ich stehe
Ich glaube, dass die integrale Theorie die Existenz eines sicheren und
erfolgreichen Israels unterstützt. Obschon ich glaube, dass das Ideal ein
einziger Staat ist, wo die Widerstreitenden in Frieden und Wohlstand leben, ist
doch die herbe Realität, dass die widerstreitenden Traditionen dies niemals
zulassen werden. Damit die Lösung eines einzigen Staates wirken kann, muss jede
Seite ihre ausschließenden Ansprüche auf die Wahrheit aufgeben.
Die Unmöglichkeit eines einzigen Staates bedeutet, dass wir nach anderen
Alternativen Ausschau halten müssen, einschließlich irgendeiner Form einer
Zwei-Staaten-Lösung. Doch hier stoßen wir hart auf eine weitere herbe Realität.
Ich glaube: bei der gegenwärtigen Lage der Dinge wird jeder neue
palästinensische Staat schnell zu einem verfehlten Staat werden, der in einen
Bürger- und Sektierer-Krieg wie im Irak herabsinken wird.
In '
Der Feind meines Feindes ist mein Freund'
(2003) habe ich argumentiert, dass der Irakkrieg in einen Sektierer-Konflikt
herabsinken wird, leider ist das nun der Fall. Ich mache die gleiche Vorhersage
für jeden zukünftigen palästinensischen Staat. Es ist jetzt fast schon der
Fall, wenn Hamas-Kämpfer gegen Fatah-Kämpfer in offenen Gefechten in den
Straßen kämpfen und wenn palästinensische Christen aus den besetzten Gebieten
in zunehmender Anzahl fliehen auf Grund der Verfolgung durch
fundamentalistische Muslime. Der populäre Wahlsieg der islamistischen
Hamas-Partei hat dem Anschein nach jede Hoffnung auf ein demokratisches,
säkulares Palästina zerstört. Und hier muss ich nachfragen, wenn es keinen
säkularen, demokratischen palästinensischen Staat geben kann, was ist dann
Sache?
Ich glaube, dass dieses Ergebnis leider gänzlich vorhersagbar war, nicht wegen
des angeblichen neo-kolonialistischen Einflusses einer angeblichen
Zionisten/US-Verschwörung, sondern aus völlig internen Gründen. Und zwar
deshalb, weil es niemals eine geeinte palästinensische Identität gegeben hat.
Palästina war sicherlich besetzt; es war nicht, wie einige Zionisten behaupten,
‚ein Land ohne Menschen’, doch jene Menschen waren enorm verschiedenartig,
getrennt durch Stammes- und Sektierer-Zugehörigkeiten mit wenig Gefühl für eine
nationale Identität. Unter dem osmanischen Reich bestand das moderne Palästina
aus vier getrennten Provinzen. Was da an nationaler Identität besteht, wurde
aus einem gemeinsamen Ziel des Widerstandes gegen die jüdische Einwanderung und
die Schaffung eines abgetrennten jüdischen Staates geschmiedet.
Die Zielsetzungen des arabischen Widerstands haben sich ebenfalls geändert. Vor
der Gründung Israels war der Widerstand Teil einer pan-arabischen Bewegung,
wodurch die palästinensischen Gebiete in einen größeren arabischen Staat
einbezogen werden sollten, der Syrien, Jordanien und Ägypten (und andere)
umfassen würde. Während des arabisch/israelischen Krieges von 1948 waren die
verschiedenartigen angreifenden arabischen Armeen fest entschlossen,
Israel/Palästina für sich selbst als Region abzustecken (Jordanien gewann die
Kontrolle von Ost-Jerusalem, einschließlich der Altstadt, bis 1967). Mit
anderen Worten wurde jedes Gefühl für eine palästinensische Einheit aus
negativen eher denn aus positiven Gründen geschaffen.
Sobald ein palästinensischer Staat ausgerufen würde, wird er nach meiner
Meinung in einem Machtkampf auseinander brechen zwischen lange bestehenden
Stammes- und Sektierer-Rivalitäten, mit äußeren Mitspielern wie Syrien,
Jordanien und Ägypten, die versuchen werden, Einfluss auszuüben. Die Hamas hat
gesagt, dass es ihr Langzeitziel sei, Palästina als einen Teil eines
sunnitischen, islamistischen, pan-arabischen Kalifats werden zu sehen – die
Shia und säkulare Nationalisten werden sich dem natürlich widersetzen.
Ein weiteres Beispiel dieser Sektierer-Rivalität ist der Zustand der Drusen
innerhalb Israels. Während des arabisch/israelischen Kriegs von 1948
verbündeten sich die Drusen mit den Juden und kämpften an ihrer Seite.
Daraufhin sind die Drusen die einzigen Nichtjuden, denen es gestattet ist, in
den IDF [israelische Verteidigungskräfte; d.Übs.] zu kämpfen, wo viele
Berufssoldaten geworden sind (und jüdische Rekruten kommandieren). Weshalb
sollten sie das tun? Weil zu jener Zeit der arabische Widerstand von
sunnitischen Arabern dominiert wurde und sie verfolgten traditionell die
Drusen.
Doch es gibt eine weitere richtungsweisende Veränderung, die unter den Christen
geschehen ist. Aufgrund der historischen Feindseligkeit zwischen Juden und
Christen haben sich viele palästinensische Christen mit den muslimischen
Arabern gegen die Juden zusammengetan (obschon manche sagen, sie hätten das nur
getan unter der Gewaltandrohung durch sunnitische Araber). Gemäß dem
muslimischen Argwohn gegenüber der christlichen Loyalität und den
widerstreitenden Traditionen sehen palästinensische Christen einer zunehmenden
Verfolgung von Seiten fundamentalistischer Sunniten entgegen. Zur gleichen
Zeit, wie die Christen aus den besetzten palästinensischen Gebieten fliehen,
steigt die christliche Bevölkerung Israels an.
Der Wahlsieg der Hamas ist ein weiterer Hinweis auf den Zusammenbruch des
palästinensischen Traums. Die Hamas sind sunnitische Fundamentalisten, die ein
Teil der muslimischen Bruderschaft sind. Ihr politisches Ziel ist es, einen
islamistischen Staat einzurichten. Es gibt muslimische Verfechter der
Vorherrschaft, die schließlich darauf abzielen, säkularistische und
sektiererische Rivalen (Ismaeli und Shia) auszuschließen.
Auf dieser Stufe wird die Tatsache, dass die Hamas demokratisch gewählt wurde,
gewöhnlich als eine Rechtfertigung erhoben – es war der Wille des Volkes. Das
ist wahr, doch ich würde argumentieren, dass Demokratie wirklich eine
bürgerliche Gesellschaft bedeutet, die die Begriffe von Rechten und Freiheiten
einbezieht, die sich auf die gesamte Gesellschaft ausdehnen, von den lokalen
Vereinigungen zu den internationalen Absprachen. Die muslimische Bruderschaft
hat kein Geheimnis daraus gemacht, die Demokratie als un-islamisch zu
kritisieren und sie haben bekundet, dass sie einerseits gerne demokratische
Mittel benützten, um an die Macht zu kommen, dass sie andererseits, sobald sie
an der Macht sind, alles daran setzen wollten, die Demokratie abzulösen
zugunsten eines islamistischen totalitären Kalifats. Es scheint sonderbar zu
sein zu behaupten, dass der Wahlsieg einer resolut anti-demokratischen Gruppe
ein Beispiel für eine funktionierende Demokratie sei (ich vermute, dass der
Wahlsieg Hitlers eine demokratische Aktion war?).
Mit dem wahrscheinlichen Kollaps eines palästinensischen Staates ist die
Option, die am besten der Ersten Direktive dient, ein sicherer israelischer
Staat und gerade hier sehen wir einer weiteren lästigen Wahrheit entgegen. Die
israelische Gesellschaft hat eine größere Entwicklungsspanne als die
traditionelle arabische Kultur, die sie ersetzte. Unter arabischer Herrschaft
besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Enwicklungstiefe schließlich
verloren geht.
Ich verstehe, dass diese Feststellung wahrscheinlich einige angreift. Wie steht
es um die Unterdrückung von Palästinensern durch den israelischen Staat?
Verkrüppelt das mit Sicherheit ihre Entwicklung? Ich stimme zu, sie tut es. Die
Erste Direktive verlangt jedoch Wachstum für die größte Anzahl, nicht nur für
eine ausgewählte Gruppe.
Genauso wie es widerlich ist, ein Volk zu unterdrücken, gibt es da wohl keine
Wahl, wenn die Freiheit jener Gruppe bedeutet, dass eine sogar größere Anzahl
von Menschen leidet. Während Palästinenser fortfahren, politische Gewalt
bereitwillig anzunehmen, haben ihre Nachbarn (einschließlich palästinensische
Minderheiten) keine Wahl, als zu versuchen sich zu verteidigen. Solange eine
bedeutende Prozentzahl von Palästinensern die Zerschlagung des israelischen
Staates unterstützt, welche Wahl haben dann die Israelis? Deshalb ist die
Streitfrage nicht wirklich, dass Israel ein Recht hat, sich zu verteidigen,
sondern wie es dieses Recht ausübt. In diesem Fall gibt es keine richtige
Antwort auf die subjektive Frage nach dem Grad. Einige werden argumentieren,
dass Israel zu weit gehe und andere sagen, nicht weit genug. Wo ist der Punkt
des Ausgleichs und wer ist weise genug, das zu wissen (wir alle haben das
Wissen der unbeteiligten Zuschauer)?
Hier kommen wir zu einer weiteren lästigen Wahrheit, die für die Erste
Direktive relevant ist. Während Länder wie Jordanien den Juden die
Staatsbürgerschaft versagen, hat Israel einen bedeutenden Prozentsatz an
nicht-jüdischen Bürgern. Diese Bürger haben die meisten der gleichen Rechte wie
jüdische Israelis (sie sind vom Staatsdienst ausgeschlossen) und während es
Diskriminierung gibt (und Juden werden in arabischen Ländern diskriminiert)
haben arabische Israelis einen höheren Lebensstandard als ihre Nachbarn und
haben größere Entwicklungsmöglichkeiten.
Mit anderen Worten: die israelische Gesellschaft gibt Arabern mehr Möglichkeit
als arabische Staaten ihren eigenen Bürgern geben, damit dienen sie besser der
Ersten Direktive. Ich wurde daran erinnert durch einen neuerlichen Filmbericht,
der die Geschichte eines arabisch-israelischen Mädchens namens Shadya erzählte,
die eine Meisterschülerin in Karate und Teil des israelischen Teams war. Da gab
es keine Andeutung, dass die Tatsache, dass sie eine Muslima ist, ihre Position
im Team beeinflusste (sie vertrat Israel in internationalen Wettkämpfen).
Leider endete ihre Karriere, als sie heiratete und Druck auf sie ausgeübt wurde
von ihrem älteren Bruder und ihrem Ehemann (ihr Vater hat ihr Karate sehr
unterstützt), sich den muslimischen arabischen patriarchalen Erwartungen
anzupassen, dass sie zu Hause zu bleiben und ihrem Mann das Essen zu kochen
habe.
Natürlich ist eine der Beanstandungen gegenüber Israel, dass es darauf beruht,
eine israelische Mehrheit aufrecht zu erhalten. Ich wäre diesem Argument eher
zugeneigt, wenn diejenigen, die es vorbringen, widerspruchslos moralisch wären.
Wenn dieses Argument vorgebracht werden muss, dann muss es ebenfalls gegen
mehrere muslimische Länder vorgebracht werden, die Nicht-Muslimen
Beschränkungen auferlegen. Tatsächlich müsste ein solches Argument eine
Kampagne gegen die unerhörtesten Beispiele verlangen. In diesem Fall sollte der
Blick zuerst auf Saudi-Arabien gerichtet werden,
das Nicht-Muslimen überhaupt keine Staatsbürgerschaft zubilligt und das die
öffentliche Ausübung jedweder nicht-muslimischen Religion verbietet. Im
Vergleich mit vielen muslimischen Ländern in der Region ist Israel ein Vorbild
für Religionsfreiheit. Viele Juden sind tatsächlich weltlich und manche sind
sogar Buddhisten.
Doch das geht sogar noch weiter als das. Die Masseneinwanderung von Juden ließ
die palästinensische Wirtschaft einen Aufschwung erleben und das kam weitgehend
ortsansässigen Arabern zugute (obschon einige benachteiligt wurden, besonders
im landwirtschaftlichen Sektor – doch das geschieht, wenn Einwanderer Arbeiter
in gewissen Sektoren ersetzen, egal in welchem Land, zum Beispiel in den USA
bei mexikanischen Einwanderern und in Europa bei Afrikanern und Arabern). Als
Ergebnis gab es tatsächlich eine Welle arabischer Einwanderung in die Region
und eine arabische Bevölkerungsexplosion. Dies wäre nicht geschehen, wenn es
sich nicht um den Einfluss jüdischen Kapitals handelte, der vermehrte
Möglichkeiten schuf.
Die verheerende lästige Wahrheit ist, dass die Palästinenser jetzt
wirtschaftlich von Israel abhängig sind und ein sicheres und wohlhabendes
Israel die Palästinenser begünstigt. Tausende Palästinenser gehen täglich nach
Israel zur Arbeit. Wo sonst in der Welt überqueren die Bürger eines Landes
täglich die Grenze, um in einem anderen zu arbeiten? Die Situation der
wirtschaftlichen gegenseitigen Abhängigkeit hat zu einigen interessanten
Widersprüchen geführt. Es wurde aufgedeckt, dass der Hauptzulieferer von Beton
für die Trennmauer eine palästinensische Firma war, sehr zur Verwirrung der
palästinensischen Amtsgewalt.
Die jüdische Einwanderung ließ einen Einfluss an Energie, Fachwissen und Talent
erkennen. Die israelische Gesellschaft ist hochentwickelt und kultiviert mit
großer Entwicklungstiefe. Das kommt allen israelischen Bürgern zugute,
einschließlich nicht-jüdischen Bürgern, ebenso wie den Nachbarländern. Ein
Beispiel ist die Erneuerung in der Landwirtschaft, die Wüste in bebaubares Land
verwandelte. Israelische Gesellschaften verkaufen gerne ihr Fachwissen an die
Region. Ein sicheres und wohlhabendes Israel würde nur fortfahren, seinen
Bürgern und der Region zu nützen.
Die Entwicklungstiefe der israelischen Gesellschaft bedeutet ebenso, dass sie
eine lebendige und engagierte Bürgerschaft hat, viele von denen nehmen sich das
Recht, kritisch gegenüber der Politik der eigenen Regierung zu sein. Israel hat
eine Pressefreiheit, die jede seiner arabischen Nachbarn übersteigt. Das
bedeutet dann, dass es viele unabhängige Initiativen von Israelis gibt, die
Probleme der Region zu lösen, einschließlich Programme von freundlichem
Kontakt, die auf eine Versöhnung mit den Palästinensern zielen (ein Beispiel
sind die israelischen Frauen, die israelische Grenzübergänge bewachen, um
israelische Soldaten davon abzuhalten, Palästinenser zu beschimpfen). Es gibt
eine sehr aktive israelische Friedensbewegung. In anderen Worten: ein guter
Prozentsatz der israelischen Bevölkerung ist auf konventionellen und
postkonventionellen Stufen moralischen Denkens.
Man sollte sich einmal den Betrag an wirtschaftlicher, künstlerischer und
intellektueller Kreativität vorstellen, der freigesetzt würde, wenn Israel
nicht so viel Zeit, Energie und Geld aufwenden müsste, um sich zu verteidigen.
Die Folge des langanhaltenden Gebrauchs von politischer Gewalt durch Araber
gegen jüdische Vorhaben (das begann in den 1920ern) und jüdische Gegenschläge
ist das Verschwenden dieses dynamischen Potenzials.
Die Gewalt hat beide Gemeinschaften traumatisiert und das hat einen
entwicklungshemmenden Druck auf beide ausgeübt. In Spiraldynamik-Ausdrücken ist
das ein Abstieg von Grün/Orange zu Blau/Rot und sogar Blau/Purpur. Es ist noch
schlimmer für die Palästinenser. Unter der Hamas sind viele fortschrittliche
Programme aus hauptsächlich politischen Gründen zurückgefahren worden. Es sind
nicht nur nicht-sunnitische Gruppen, die leiden, sondern auch Frauen, die jetzt
unter Druck gesetzt werden, sich den fundamentalistischen Erwartungen
anzupassen. Auf dieser Stufe ist es ebenfalls erwähnenswert, dass Israel eine
aktive homosexuelle Subkultur hat (trotz Widersprüchen von Seiten der
ultra-orthodoxen Juden), einschließlich einem jährlichen Gay Pride March
[Parade von Homosexuellen und Lesben;d.Übs.], der eine Abteilung homosexueller
Araber umfasste. Im Kontrast dazu würde die Hamas die Sharia einführen, die die
Todesstrafe für Homosexuelle befürwortet. Wäre ich ein homosexueller Araber,
dann wüsste ich, wo ich lieber leben wollte.
Freiheit oder Tod
Wenn sie mit diesem Argument konfrontiert werden, argumentieren einige
Palästinenser, dass ihre Freiheit mehr wert sei als all das. Doch von welcher
Art Freiheit sprechen sie denn wirklich – die Freiheit ‚von’ oder die Freiheit
‚für’? Die übliche Antwort ist Freiheit ‚von’ israelischer Besatzung und
Unterdrückung, was anscheinend ein vernünftiges Ziel ist. Doch wenn man an der
Oberfläche kratzt, dann findet man, dass diese Freiheit tatsächlich die
Freiheit ist, ein traditionelles arabisches Leben zu führen, das für Männer die
Fortführung der Muster patriarchalischer und religiöser Unterdrückung bedeutet.
Mit anderen Worten ist es die Freiheit, die Freiheiten von anderen zugunsten
der Männer zu beschneiden. Lassen Sie uns hier nicht zurückhaltend vorgehen.
Das Leben ist nicht gut für arabische Frauen. Ich habe bereits die Frustrierung
von Shadyas Ambitionen durch die patriarchalischen Forderungen ihrer Kultur
erwähnt, doch es gibt Tausende von weiteren Beispielen. Ein anderer Filmbericht
erzählte die Geschichte einer Gruppe arabisch-israelischer Witwen, die eine
Beizfirma beginnen wollten. Ihr Haupthindernis war nicht israelisches Vorurteil
und Diskriminierung, sondern traditioneller Druck. Es scheint, dass in der
arabischen Gesellschaft es als unziemlich angesehen wird, wenn Witwen arbeiten
(ich war ebenso entsetzt zu hören, wie Frauen Anspielungen machten über
jemanden, der seine Frau schlägt, so als wäre das ein übliches Geschehen, das
man mit einem Lachen abtut). Ich meine, dass jeder, der die palästinensische
Freiheit unterstützt, bedenken sollte, was sie eigentlich verteidigen, ein
abstraktes Prinzip oder eine Fortführung einer unterdrückenden Tradition.
Ich weiß, dass viele wohlmeinende Progressive annehmen, dass eine freie
palästinensische Gesellschaft demokratisch sein und die Menschenrechte
unterstützen wird. Leider sehe ich dafür keine Anhaltspunkte. Nach meiner
Ansicht beim Einnehmen einer anti-israelischen Haltung im Namen der
Menschenrechte handeln sie tatsächlich gegen die Verbreitung von
Menschenrechten in der Region, indem sie die Sache von unterdrückenden
patriarchalischen arabischen Traditionalisten unterstützen.
Terrorismus oder Befreiungskampf
Ist die palästinensische Sache ein rechtmäßiger Befreiungskampf? Die
Befürworter traditioneller linksgerichteter Politik lieben einen guten
Befreiungskampf und das erklärt, weshalb es eine so starke pro-palästinensische
Unterstützungsbasis bei gewissen Mitgliedern der Linken gibt.
Da gibt es tatsächlich einen komischen Umschwung. Während der ersten Jahrzehnte
seiner Existenz betrachtete der Westen Israel als eine Peinlichkeit. Trotz
neuerlicher Theorien, die eine jüdische/US/westliche neo-kolonialistische
Verschwörung vermuten, sind die Briten während der Mandatszeit zwischen der
Unterstützung arabischer und israelischer Ambitionen hin- und hergeschwankt
(sie untersagten die jüdische Einwanderung zu einem Zeitpunkt und ernannten den
antisemitischen al-Husseini zum Großmufti von Jerusalem, der dann seinen
Einfluss nutzte, um anti-jüdische Unruhen anzuheizen und der dann schließlich
Hitler unterstützte). Während des arabisch-israelischen Krieges tat der Westen
gar nichts, sondern glaubte stattdessen, dass der aufkeimende jüdische Staat
dem Untergang geweiht sei. Stattdessen war es Russland, das Israel bewaffnete.
Tatsächlich waren viele jüdische Einwanderer (und Zionisten) Sozialisten und
viele der Kibbutzim waren radikale Experimente für gemeinsames Leben, die auf
dem neuesten progressiven Denken der Zeitspanne beruhten. Es kann behauptet
werden, dass die Kibbutz-Bewegung das erfolgreichste der utopischen
sozialistischen Experimente gewesen ist.
Zusammenfassend – zu Beginn und in der Folgezeit der Schaffung Israels war der
arabische Widerstand mit dem europäischen Faschismus verbündet und die Juden
mit den europäischen Progressiven. Leider bekunden einige arabische Führer
immer noch eine Bewunderung für Hitler. Die Ba’ath-Partei wurde teilweise durch
Hitlers Nationalsozialismus inspiriert. Weshalb also unterstützen europäische
Linke ein Anliegen, das faschistische Wurzeln hat?
Der Umschwung scheint mit der Entscheidung der USA gekommen zu sein, Israel zu
unterstützen. Auf seiner gröbsten Ebene wechselte die Linke die Seiten einfach
deswegen, weil der neue Freund ihres Feindes natürlicherweise auch ihr Feind
war. Das war ebenso der Zeitpunkt, an dem die arabische Rebellion ihren Fokus
von einem Pan-Arabismus zu einem palästinensischen Nationalismus verschob. Es
war auch der Zeitpunkt, an dem Arafats PLO neue Taktiken der politischen Gewalt
übernahm. Diese Gewalt wurde ausgedrückt als ein Befreiungskampf und die
traditionelle Linke begann, das palästinensische Anliegen zu unterstützen.
Auf dieser Stufe muss gefragt werden, woher sie das palästinensische Anliegen
bekommen hat? Ich möchte behaupten, dass auf fast jeder Stufe die leichtfertige
Zuflucht der Palästinenser zur Gewalt ihrem Anliegen nur geschadet hat. Nicht
alle jüdischen Emigranten waren Zionisten und viele von ihnen waren keine
Hardliner. Ich möchte stark vermuten, dass es die Gewalt war, die von den
Arabern in den 20ern und 30ern entfesselt wurde, die viele Juden zu den
radikalen Zionisten für Beschützung Zuflucht nehmen ließ.
Ein Fall, der diese Dynamik illustriert, ist die Stadt Safed. Safed ist
erwähnenswert, weil es ein wichtiges Zentrum der Kabbalah war. Es ist die
höchstgelegene Stadt Israels und befindet sich nahe der libanesischen Grenze
zwischen jüdischen, drusischen und arabischen Gemeinden. Als die Christen
Spanien zurückeroberten, gab es eine Welle von Judenverfolgungen. 1492 flohen
der Kabbalah-Meister Moses von Cordovero und seine Anhänger (einschließlich
seinem Schüler Isaac Luria) vor der Verfolgung und siedelten sich in Safed an.
1928 griff dann eine Gruppe arabischer Rebellen die Juden dieser Stadt an,
tötete etwa 12 und verwundete 80. Das veranlasste viele Juden zu fliehen. Die
Tagesberichte besagten, dass die von den Briten kontrollierte Polizei nichts
unternahm, um das Massaker zu stoppen, sie ließen die Juden schutzlos zurück.
Ich habe das Beispiel von Safed ausgewählt, weil das nicht eine Gemeinde von
Neueinwanderen war, sondern eine langandauernde jüdische Gemeinde mit nahezu
500 Jahren einer vorherigen friedlichen Koexistenz. Was auch immer die Gründe
für diesen Angriff waren, daraufhin wandten sich viele Juden an die Zionisten
um Unterstützung und während des Krieges von 1948 griff die Haganah* Safed an
und zwang die Araber zu fliehen *(die paramilitärische Freiwilligengruppe, die
gegründet wurde, um Juden vor arabischen Militanten zu beschützen – und hier
möchte ich bemerken, dass während die radikalen Zionisten tatsächlich Palästina
übernehmen und einen jüdischen Staat gründen wollten, hat sich die arabische
Rebellion nicht auf ihre zionistischen Feinde eingestellt, sondern hat
stattdessen wahllos Juden angegriffen, bloß weil sie Juden waren, mit anderen
Worten aus verdächtig rassistischen Gründen).
Ich habe keinen Zweifel, dass Rache ein Motiv war; obschon ich sicher bin, dass
die jüdische Rationalisierung war, dass Safed ein Zentrum des arabischen
Widerstands war (was es wahrscheinlich auch war). Doch das geschieht, wenn
Menschen politische Gewalt anwenden. Es gleitet ab in Rachemorde und eskaliert.
Gewalt wird nun von beiden Seiten angewendet, nicht aus vernünftigen taktischen
oder strategischen Gründen, sondern bloß aus Hass und Rache (in diesem Fall ist
eine weitere lästige Wahrheit die arabische Stammestradition der Blutrache und
der Ehrenmorde – die jetzt den Sektiererkonflikt im Irak anfacht).
Ich will überhaupt nicht israelische Gewalttaten entschuldigen (es gab einen
neuerlichen tragischen Fall, wo ein israelischer Soldat Dutzende von Kugeln in
ein 13jähriges arabisches Mädchen namens Imam al-Hams feuerte. Zu dieser Zeit
konnte man den antisemitischen Hass an der Oberfläche brodeln hören, außer
einer Sache: der Soldat war ein drusischer Berufssoldat, kein Jude, daher war
es ein Araber, der einen anderen Araber getötet hat), und ebensowenig sollte
jemand die palästinensischen Gewalttaten als rechtmäßige Taktiken in einem
Befreiungskampf entschuldigen.
Aber ich muss fragen, was geschehen wäre, wenn die Araber eine politische
Lösung eher als Gewalt und Krieg gewählt hätten? Die Geschichte lässt vermuten,
dass es wahrscheinlich immer noch einen jüdischen Staat in Palästina gäbe, aber
einen viel, viel kleineren. Viele haben argumentiert, dass die Palästinenser
bloß dabei erfolgreich wären, sich selbst in den Fuß zu schießen. Ich muss
zugeben, dass ich eine Menge Sympathie für die Palästinenser verloren habe, als
sie für die Hamas gestimmt haben, eine Partei, von der sie wissen, dass sie
Gewalt und die Zerstörung Israels befürwortet (und wie meinen sie ernsthaft,
würde Israel reagieren?). Das war ein Schritt zurück.
Stolz
Es scheint mir, dass ein Hauptmotiv für die palästinensische Gewalt nicht die
Schaffung eines lebensfähigen und progressiven Staates ist, der den
Voraussetzungen der Ersten Direktive entspricht, sondern es ist stattdessen ein
Ausdruck von patriarchalischen Vorstellungen von Stolz und Ehre – nicht was die
integrale Theorie als positive Motive ansehen könnte.
Am Beginn dieses Essays sagte ich, dass dies ein Konflikt widerstreitender
absolutistischer und vorherrschaftlicher Traditionen sei. Die Juden weigern
sich, irgendjemandem unterworfen zu sein, was die Hauptmotivation für die
Schaffung eines unabhängigen jüdischen Staates ist. Wie jeder Jude Ihnen
erzählen wird, werden sie als eine untergeordnete religiöse Minderheit
diskriminiert und verfolgt (einschließlich in muslimischen Ländern). Aber es
ist ebenso wahr, dass es eine Hauptmotivation für den arabischen Widerstand
ist, dass es undenkbar in der muslimischen Tradition ist, dass ein Muslim einem
Nichmuslim unterworfen sein sollte, ganz zu schweigen einem verräterischen
Juden. In der muslimischen Weltsicht sollten Muslime die Herren sein und alle
anderen Religionen müssen Dhimmi sein (ein zweitklassiger Zustand, in dem der
Islam die Existenz von Nichtmuslimen toleriert, vorausgesetzt sie akzeptieren
gewisse Beschränkungen). Es gibt ebenso eine strenge Sichtweise, dass wenn der
Islam einmal ein Land erobert hat, dass es für immer zum Islam gehöre (einmal
Muslim, immer Muslim). Für den Extremisten gibt es darüber keine Verhandlung
(einige wollen sogar Spanien zurückhaben).
Völlige Religionsfreiheit ist überhaupt problematisch im Islam und eine weitere
unbequeme Wahrheit ist, dass es keine einzige muslimische Nation gibt, die
irgendwo annähernd die volle Religionsfreiheit hat, die im Westen vorausgesetzt
wird. Der Islam hindert Muslime daran, zu anderen Religionen zu konvertieren
und viele Staaten haben Gesetze, die diese Einschränkung unterstützen. Die
Freiheit zu konvertieren ist ein fundamentales religiöses Recht. Sogar
gemäßigte Staaten wie Indonesien und Malaysia belegen Minderheitsreligionen und
Sekten mit Beschränkungen. Die indonesische Verfassung beschützt nur sechs
Hauptreligionen: den Islam, den Protestantismus, den Katholizismus, Hinduismus,
Buddhismus und Konfuzianismus (sie erkennt den Judaismus nicht offiziell an).
Sie verhindert ebenso religiöse Mischehen und legt eine Anzahl weiterer
Beschränkungen auf die Religionsfreiheit.
Im Gegensatz dazu erlaubt Israel eine beträchtliche Religionsfreiheit,
einschließlich für Muslime (was nicht mit Gegenleistung vergolten wird).
Das bedeutet, dass die arabische Rebellion eine fundamentale Intoleranz ist
gegenüber der Idee, das Land gleichberechtigt mit sowohl Juden als auch
Christen aufzuteilen. Während es immer viele gemäßigte Araber gegeben hat, sind
sie jedoch immer eine Minderheit. Trotz der Bemühungen von Arafats PLO und der
Fatah-Partei war der Aufstieg der Hamas leider unvermeidbar (muslimische
Nationen haben mit verschiedenen Regierungsformen experimentiert, die einen
Ausgleich mit den Forderungen des Islams gegenüber den Realitäten der
derzeitigen Weltordnung versuchen – das Konzept vom Nationalstaat hat sich in
einem europäischen Kontext entwickelt und musste auf den Islam übertragen
werden, mit verschiedenartigen Graden des Erfolgs. Die Türkei allein hat es
geschafft, weil Attaturk eine radikale weltliche Revolution durchgeführt hat,
jedoch sogar dann ist der Islamismus wieder aufgekommen).
Mit anderen Worten war die Hauptmotivation für den arabischen Widerstand gegen
eine jüdische Anwesenheit, geschweige denn einen jüdischen Staat, nicht, wie
viele glauben, auf Grund zionistischer Bestrebungen, sondern weil es einfach
undenkbar ist, dass Juden nicht der muslimischen Herrschaft unterworfen sind.
Es ist eine Angelegenheit von muslimischem Stolz. Juden können niemals Gleiche
sein und hier begegnen wir dem Handlungsstrang des Antisemitismus, der in der
gesamten muslimischen Welt angetroffen wird.
Die Christen entwickelten antisemitische Theorien auf der Grundlage, dass die
Juden Christusmörder seien, was sich schließlich in die Rassentheorien der
Nazis umgestaltete. Der Islam hat jedoch seine eigene antisemitische Tradition,
die auf der Idee basiert, dass die Juden von Natur aus verräterisch seien, weil
sie (angeblich) Mohammed in Medina verraten hätten. Während der 30er Jahre
verbreiteten die Nazis ihre Propaganda im Nahen Osten, als sie versuchten,
arabische Verbündete zu finden. Der Führer der arabischen Rebellion in
Palästina, der Großmufti von Jerusalem, wurde ein Kollaborateur der Nazis und
er wusste von der Endlösung. Hätte Deutschland den Krieg gewonnen, gab es Pläne
für die Ausrottung der Juden in Palästina. Hitler wird immer noch in
muslimischen Kreisen gelobt und die neuerlichste Manifestation ist das
Verleugnen des Holocaust durch Ahmadinejad, den Präsidenten des Iran.
Doch die Juden sind ebenfalls nicht frei von solch tiefen
Überlegenheits-Tendenzen. Es gibt sicherlich extremistische Juden, die alle
Araber aus einem erhofften größeren Israel vertreiben würden und die von
Arabern als von Natur aus unterlegen sprechen.
Dies legt für die integrale Theorie nahe, dass Motivationen wichtig sind und
dass die Theorie nur Aktionen unterstützen kann, die aus integralen Gründen
unternommen werden, nämlich der Ersten Direktive.
Ich sagte zu Beginn, dass ich eine Ein-Staat-Lösung vorziehen würde, in dem
alle Parteien als Gleichberechtigte koexistierten. Doch das ist nicht möglich,
solange jede der Traditionen an ausschließenden Positionen festhält. Ich muss
deshalb einen getrennten jüdischen Staat befürworten, bis zu jenem Zeitpunkt,
an dem alle Parteien sich auf eine einbeziehendere und tolerante
Entwicklungsstufe entfaltet haben. Christen und Muslime haben bereits mehrere
Staaten, die sie ihr eigen nennen können, und hier kommen wir zu einer weiteren
lästigen Wahrheit.
Muslime sind in dieser Hinsicht besonders scheinheilig und selbstsüchtig. Es
gibt eine gute Anzahl von strengen muslimischen Staaten, doch Muslime wollen
sogar nicht einmal einen kleinen jüdischen Staat zulassen (und wenn, dann würde
er nirgends nahe dem Nahen Osten sein, und das ist lächerlich angesichts der
unleugbaren Verbindungen der Juden zu dieser Region). Muslime haben
ausschließlichen Zugang zu den ersten beiden ihrer heiligsten Stätten, Mekka
und Medina, doch sie haben gelobt, jedem Versuch von Juden gewaltsam zu
widerstehen, eine ausschließliche Kontrolle über ihre heiligste Stätte
auszuüben (und die einzige, die sie wirklich haben wollen). Stattdessen wollen
viele Muslime ebenso die ausschließliche Kontrolle über ihre drittheiligste
Stätte haben (die Jordanier hielten Juden fern von der Anbetung an der
Klagemauer). Wieviel wollen sie eigentlich?
Wenn sie gnädig und großzügig gewesen wären und hätten den Juden
eretz yisrael
und den Bau des Dritten Tempels erlaubt, wäre dann die Welt zu Ende gegangen ?
Ganz im Gegenteil, ich glaube, dass ein solcher Akt der Großzügigkeit von den
Juden belohnt worden wäre und ein erfolgreicher und sicherer jüdischer Staat
würde ein Leuchtfeuer des Fortschritts in der Region sein, zum großen Nutzen
seiner muslimischen Nachbarn.
Das würde ebenso der Ersten Direktive gedient haben.
Bemerkung: Meine Positionen bei Themen verblüffen die Menschen oft. Ich bin
beschuldigt worden, sowohl ein Verteidiger der Neokonservativen als auch der
Marxisten zu sein. Ich sehe mich selbst als einen integralen Progressiven. Das
bedeutet, dass ich das unterstütze, was am meisten den integralen Prozess
voranbringt. Wenn das bedeutet, bei einigen Gelegenheiten die US-Politik und
bei anderen den Marxismus zu unterstützen, dann erscheint mir das perfekt
logisch zu sein. Ich meine zufällig, dass ich eine perfekt verständliche und
zusammenhängende Ansicht abgebe, die auf klaren integralen Prinzipien beruht.
Ray Harris, January 2007
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