INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Ist der dritte Weg wirklich integral ?

Ray Harris

Eines der Gebiete, in dem ich Wilbers Werk als problematisch empfinde, ist seine politische Vision. Ich meine, dass einige seiner Kommentare einen entschiedenen Mangel an Tiefenanalyse und einen Mangel an politischer Imagination aufweisen. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich bewundere sein Werk überwiegend, doch Politik ist nicht sein starkes Feld.

Seine analytische Schwäche ist offensichtlich, wenn er die Behauptung aufstellt, dass die „dritte Weg"- Politik Tony Blairs ein Beweis für integrales Denken sei.

„Dass Blair auch ein authentischer Pionier in der Politik des ,dritten Weges' ist (s. A Theory of Everything), die eine der ersten ernsthaften Bewegungen auf eine integrale Politik zu ist, die das Beste der Liberalen und der Konservativen vereint, ist vielleicht keine Überraschung." [1]

Die Geschichte des dritten Weges

Wenigen Menschen ist bekannt, dass der ,dritte Weg' seinen Ursprung in Australien hat. 1972 kam eine radikal reformerische Labor Party an die Regierung. Man erinnert sich sowohl an ihre fortschrittliche soziale Agenda als auch an wirtschaftliches Missmanagement. Sie wurde 1975 in einer sehr widersprüchlichen doppelten Auflösung geschlagen. Eine glanzlose Dekade liberaler Regierung folgte. 1983 gewann die Hawke Labor-Regierung die Macht und schwor, die wirtschaftlichen Fehler ihres jetzt berühmten und berüchtigten Vorgängers zu vermeiden. Es ist auch wichtig zu verstehen, dass dies während der Periode der großen neo-liberalen Wirtschaftsreformen von Thatcher und Regan geschah. Jede amtierende Regierung während dieser Periode des blinden Glaubenseifers musste eine fundamentale Bewegung von Keynes Wirtschaftstheorie zu einer neo-liberalen Wirtschaft betonen, die einer bemerkenswerten Bewegung auf eine generelle ideologische Wende nach rechts gleichkam. Die australische Labor Party war vielleicht die erste fortschrittlich soziale demokratische Partei, die eine Antwort auf das neue internationale Klima geben musste. Und sie machte das, indem sie selbst nach rechts rutschte – tatsächlich begann Paul Keating die ersten neo-liberalen wirtschaftlichen Reformen in Australien. Kritiker dieser Rechtsabdriftung behaupteten, dass das nur eine zynische, strategische Bewegung zur Machtergreifung war, die durch den extremen Pragmatismus der harten Burschen aus der „rechten" Gruppierung in New South Wales eingefädelt worden war. Das wurde als „ein freundlicherer Weg zur Hölle" oder „als altes Gift in neuen Flaschen" bezeichnet.

Die Strategie war erfolgreich. Die Hawkes – Regierung wurde die am längsten amtierende Labor - Regierung in der australischen Geschichte. Diese Tatsache wurde von der britischen Labour Party festgestellt. Während der 80er Jahre gab es eine direkte Kommunikation zwischen Strategen in Australien und Britannien. Blairs Neue Labour Party wurde sowohl von der ALP [australische Labor Party; d.Ü.] als auch von Clintons Demokraten beeinflusst. Blair war mit Paul Keating befreundet und besuchte Australien. Die Hauptstrategen der ALP besuchten England. Wie Tony Blair selbst sagte: „...die ALP hat sehr viel, von dem wir lernen können. Sie vereint eine sehr forsch voranschreitende praktische Machbarkeit mit starken sozialen Werten. Sie hat eine gute Beziehung nicht nur zu öffentlichen Unternehmungen sondern auch zu dem privaten Sektor und sie hatte eine sehr erfolgreiche Wahlkampfbilanz als politische Partei..."[2] Ganz gewiss ist hier in Australien allgemein bekannt, dass die Bedeutung der Hawkes – Regierung in ihrer Wahlkampfstrategie liegt. Und jetzt bezahlt die ALP den Preis für ihr Abdriften nach rechts. Sie wird jetzt so angesehen, als habe sie ihren Weg verfehlt. Auf dieses Thema werden wir noch zurückkommen.

Der andere Einfluss auf den ,dritten Weg' war Clintons Abdriften auf die rechte Mitte. Pierson und Castles sehen es so: „Natürlich ging Clintons Umarmung des Neuen Fortschrittsglaubens mit einem sehr viel globaleren politischen Ehrgeiz zusammen, um die Demokraten als Partei neu zu positionieren, um die Wähler des ,Mittleren Amerika' (die angesprochene Zuhörerschaft seiner Rede 1991) erfolgreich ansprechen zu können. Es war sicherlich genauso sehr Clintons Wahlerfolg als auch seine Neuorientierung der Politik – oder vielleicht vor allem die Art und Weise, wie eine politische Neuformulierung mit einer Wahlstrategie vermählt war – was die Erneuerer der britischen Labour Party in den 1990ern so beeindruckte."[3]

IST DER DRITTE WEG INTEGRAL ?

Unverblümt gesagt: nein. Der ,dritte Weg' ist einfach ein Abdriften in die rechte Mitte. Er ist nicht, wie sehr man auch die Vorstellung strapaziert, ein Transzendieren und Einschließen einer früheren Ebene. Er ist schlichtweg ein horizontales Jonglieren von politischen Prioritäten, um den Mittelbereich des Wahlvolks zu gewinnen. Mit den Worten der Spiral-dynamik ist er eine Konzentration des politischen Spektrums im orangen Bereich.

Damit wir das besser verstehen, benötigen wir das volle Verständnis darüber, wohin die politischen Parteien innerhalb des SD - Spektrums tendieren. Die konservativen Parteien (die Republikaner, die australische liberale Partei und die britische konservative Partei) erobern die Stimmen der wohlhabenderen Mitglieder in den blau/orangen Bandbreiten.

Die fortschrittlichen Parteien (die Demokraten, die australischen und britischen Labour – Parteien) repräsentieren tradionsgemäß die ärmeren Mitglieder der Gesellschaft, die Arbeiterklasse, und sie umspannen ein breiteres Spektrum von Blau bis Grün.

Blau wird repräsentiert in der traditionellen Politik der Arbeitergewerk-schaften, und Grün erhebt sich über den Prozess der Radikalisierung, der der klassenkämpferischen Politik innewohnt. Es hat immer einen ,alten linken' Parteiflügel gegeben, der auf traditioneller Gewerkschaftspolitik basiert, und einen ,neuen linken' Parteiflügel, der auf den unterschiedlichen ,Ursachen' des sozialen Fortschrittsglaubens basiert.

Aspekte der Gewerkschaftsbewegung sind immer sozial konservativ gewesen bei einigen Themen (z.B. Feminismus, bei Rechten der Homosexuellen, Pazifismus, Umweltschutz und Multikulti). Die ALP in den 80ern sah ein Abdriften aus der sozial progressiven Agenda der früheren Whitlam – Regierung, mit anderen Worten: Grün, zu einer mehr pragmatischen orangen Agenda. Dies hat in der Tat sowohl die blauen als auch die grünen Flügel der ALP entfremdet.

Die ALP befindet sich jetzt in ernsthaften Wählerschaftsproblemen. Die gegenwärtige liberale Howard – Regierung hat sich, wie Bush, weiter nach rechts bewegt und kontrolliert die blaue Agenda, einschließlich der blauen Mitglieder der Arbeiterklasse, die immer fremdenfeindlich und ,patriotisch' gewesen sind, das so genannte ,Herzland' von Labor.

Die Progressiven, die vom grünen ,Meme', verlassen ebenfalls die Partei. Und sie bewegen sich auf die einzige progressive Alternative zu, die sich entsprechend Grüne Partei nennt. Etwas Ähnliches scheint in Britannien zu geschehen, besonders als ein Ergebnis des Fiaskos bei der ,Aufklärung' im Irak. Eine große Portion von Blairs Glanz ist entfernt worden. Er steht irgendwie ungeschützt da.

Sollten wir denn überrascht sein ? Keineswegs. Die ganze Episode riecht nach dem MOM, dem gemeinen orangen Meme. MOM wird von Pragmatismus gekennzeichnet, bis zum Punkt des Opportunismus und Zynismus. Tatsächlich stellt sich die ganze ,dritte Weg' – Revolution als eine bloße Drehung heraus – und wiederholt so als Echo die Besorgnisse, die um die ALP in den 80ern erhoben wurden – dass der Hauptpunkt der Übung der Machtgewinn war. MOM glaubt nicht an großartige Ideen, an Ideologie. Es glaubt an Ergebnisse. Sein Politikstil befasst sich damit, Macht in einer managerhaften und körperschaftlichen Weise zu vermitteln. Es befasst sich mit persönlichem politischem Ehrgeiz über die Vison der Politik. Und beachten Sie: Ich spreche über die ,gemeine' Version.

Der ,dritte Weg' in Britannien ist von dem Denk-Team Nexus durchgeführt worden. Nexus ist sehr eng mit der PR – Firma LLM Kommunikationen verbunden. Man glaubt tatsächlich daran, dass LLM Nexus geschaffen hat, um der Wahlstrategie der Neuen Labour Partei eine intellektuelle Glaubwürdigkeit zu geben. Das sollte nicht überraschen. Es ist eine Standardpraxis für einen politischen Ruck oder ein besonderes Interesse (körperschaftlich oder privat), für die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaft ein Denkteam zu schaffen. Die politische Szene ist gefüllt mit zweckgebundenen Denkteams, das in jüngster Zeit nur zu bekannte ist das American Enterprise Institute (das amerikanische Unternehmer-Institut) und das Projekt für das Neue Amerikanische Zeitalter (siehe Links in früheren Artikeln).

Das Problem bei MOM ist, dass es leicht in seiner eigenen Drehung eingeholt wird. Alle drei Regierungen (Blair, Howard und Bush) sind dabei ertappt worden, die Wahrheit so umzuformen, dass sie ihren politischen Zwecken entspricht. Alle drei Regierungen hatten Probleme mit politischen Ratgebern, die entweder unangenehme Fakten blockierten oder preisgaben. Es ist der Sieg der Drehung gegen die Substanz, die Dominanz von Opportunismus gegenüber sorgfältigem strategischem Langzeitdenken. Es ist ganz gewiss nicht integral.

Der nachforschende Journalist Greg Palast hat ein verurteilendes Expose der Hinterzimmer – Machenschaften der LLM und der Berater in Blairs Umgebung geschrieben. Es liest sich wie eine Einführung in politischen Zynismus.

"Lawson erklärte, wie LLM damit spielt, was sie ,Politik ohne Führerschaft' nennen. In einem Milieu, in dem der Mangel an Überzeugung als ein wichtiger Faktor angesehen wird, wo es keinen festgelegten Satz von Prinzipien gibt, wonach man steuern soll, ist die Politik zugänglich für die letzte Tonhöhe, die in Cocktailempfängen zu hören ist."[4]

Der Rest von Palasts Beitrag enthüllt einen noch tieferen Zynismus und ein Gewebe von opportunistischen Abmachungen, die das Herz jedes MOM – Lobbyisten erwärmen. Und können wir jetzt überrascht sein, wo doch die ,Geheimdienst – Skandale' aufgedeckt worden sind ?

DER GROßE INTEGRALE FÜHRER ?

Ich muss beichten. Wie Wilber dachte ich, dass Tony Blair eine große Menge an Erwartungen gezeigt hat (siehe Die Memes im Krieg, Teil 3). Ich bin jedoch nicht so weit gegangen zu behaupten, er wäre integral oder er hätte „einen Verstand des zweiten Ranges", nur dass er einige grüne Kommentare während des afghanischen Krieges gemacht hat. Während des Irak – Kriegs war es eine andere Sache. Blair schien hauptsächlich Blau zu sein mit einem schwachen Versuch bei Grün.

Doch was sagt Wilber ? Lassen Sie uns einige seiner Kommentare auseinandernehmen.

„Weder kann er beschuldigt werden „zu versuchen, seine eigenen Ölinteressen zu verteidigen", weil Britannien ein Netto-Exporteur von Öl ist."

Dieser Kommentar ignoriert schlichtweg die lange Geschichte britischer Einmischung beim Öl im Mittleren Osten. Als die CIA den Schah im Iran einsetzte, geschah dies auf Bitten der Briten, weil die frühere Regierung gedroht hatte, die den Briten gehörende Ölgesellschaft zu nationalisieren. Tatsächlich war vor dem 2. Weltkrieg das Meiste im Mittleren Osten unter britischem Einfluß, eine Erblast vom Kollabieren des ottomanischen Reichs nach dem 1. Weltkrieg.

Darüber hinaus wiederholt dies das naive Ölargument, dass es beim Irakkrieg darum ging, das irakische Öl zu bekommen. Es war niemals so plump und simpel. Das wirkliche Ziel war, die gesamte Region strategisch „im Zaum zu halten" und dadurch die OPEC und die Ölindustrie im allgemeinen „zu beeinflussen" (und man muss nur sehen, wie sich die Dinge entfaltet haben, um zu erkennen, wie wahr das ist). Man sollte sich klar daran erinnern, dass die Ölindustrie von anglo-amerikanischen Interessen dominiert wird, und das schon seit vielen Jahrzehnten. Irak als ein unabhängiger Mitspieler (und einer, der zum Euro hin tendiert) war ein destabilisierender Faktor. Eine Destabilisation des Ölmarktes wäre für Britannien genauso katastrophal wie für die USA, auch wenn Britannien ein Netto-Ölexporteur ist.

„Er hat darauf bestanden, dass die gesamte irakische Situation im Hinblick auf die Palästinenser und Israel in den Kontext einer ,zwei - Nationen' – Politik gesetzt werden muss, indem man den arabischen Nationen sozusagen etwas zum Ausgleich ,gibt' (doch etwas, das ihnen ohnehin gegeben werden sollte)."

Wiederum sollten wir an die Geschichte der britischen Einmischung im Mittleren Osten denken, zur Zeit der Schaffung des Staates Israel war Palästina (wie der Irak) ein britisches Protektorat. Hier gibt es eine lange Geschichte, und Britannien hat sich selbst immer als ein Mitspieler in dieser Region gesehen. Nicht nur wegen des Öls, sondern wegen der Haupthandelswege, einschließlich des wichtigen Suezkanals. Ich bezweifele, dass Blair außerhalb der traditionellen britischen Politik, ein wachsames Auge auf die amerikanischen Aktionen in dem Gebiet zu werfen, besorgt wäre. Das ist keine großartige integrale Einsicht, sondern bloß eine Fortführung des britischen Argwohns in Form einer Außenpolitik a la Machiavelli.

„Blair sitzt, fast auf eigene Faust, zwischen Amerika und Europa und schreit beiden entgegen: ihr könnt doch nicht anfangen, zu konkurrieren und miteinander zu kämpfen – jener Weg führt zu mehr Alpträumen, als ihr euch vorstellen könnt. Wie der Koloss von Rhodos hat Blair einen Fuß in Amerika und einen Fuß in Europa, und er scheint der einzige Weltführer zu sein, der heldenhaft versucht, diese Integration am Leben zu erhalten."

Heldenhaft ? Dieser Kommentar ignoriert die Debatte in England darüber, ob es zu Europa gehöre. Die simple Tatsache ist, dass England seit dem 2. Weltkrieg seine Allianz mit den USA zu seiner vorrangigen Verteidigungs-strategie gemacht hat. Es hält sich dicht an seinen ,Freund', weil es ihm zugleich misstraut, da es mit ihm auf komplizierte Weise handelsmäßig und militärisch verbunden ist. Viele in Europa werden die Erhebung Blairs in den Heldenstatus mit Spott betrachten. Britannien handelt einfach so, wie es immer gehandelt hat. Blair folgt dem Rat des Außenministeriums, er versucht nur, den für Britannien vorteilhaftesten Kurs zwischen Europa und Amerika zu steuern. In außenpolitischen Angelegenheiten muss man immer über die erwartete Rhetorik hinaus auf die aktuellen Handels- und Strategieabsprachen schauen. Und momentan versucht Britannien, sich als entfernt von Europa zu positionieren. Blairs Kommentare handeln nicht von einer integralen Vision einer Brücke über den Atlantik, sie handeln davon, England strategisch so zu positionieren, dass es sich in der erfolgversprechendsten Verhandlungsposition sowohl zu Amerika und, um die Wahrheit zu sagen, wie auch unvermeidbar zu Europa befindet. Die wirkliche Frage, die hier zu stellen ist: wenn der Euro als Ergebnis des Irakgeschehens gegenüber dem fallenden Dollar stärker wird, wie kann die britische Wirtschaft unparteiisch bleiben ? Wenn der Euro die stärkere Währung wird, müsste das nicht England zu Europa hindrängen, in eine Richtung, in die es nicht bereit ist zu gehen ?

Wenn man sich hinter Wilbers Kommentaren versteckt, scheint das der naive Glaube zu sein, dass Premierminister und Präsidenten die Poltik und das Weltgeschehen dirigieren würden – dass sie wirklich alles leiten. Die Wirklichkeit ist natürlich völlig anders. Entscheidungen werden getroffen im Kontext eines ausgedehnten Hinterzimmer-Netzwerks. Reden werden von Abteilungen fürs Redenschreiben verfasst, und alle Entscheidungen werden von einer Vielzahl von Abteilungen und Helfern genau überprüft. Viele dieser Abteilungen streben aktiv danach, eine gewisse Kontinuität der Entscheidung zu sichern. Radikale Änderungen in der Außenpolitik sind sehr, sehr selten. Die Ereignisse am 11.September waren ein seltener Ausbruch, der eine radikale Politikänderung zuließ. Doch sogar dann folgten die Geschehnisse einer vorbestimmten Politikänderung. Jetzt ist es der Öffentlichkeit bekannt, dass die so genannten Neocons den Irak lange vor dem 11. September besetzen wollten und dass sie sogar versucht hatten, Clinton dazu zu überreden.

Weshalb gibt Wilber eigentlich so simple Kommentare ? Gut, um ihm gegenüber fair zu sein: oft mag er keine politischen Kommentare abgeben. Er sieht sich einem gewissen Druck ausgesetzt, so zu handeln. Darüber hinaus ist es kein Gebiet, über das er lange nachzudenken pflegt. Während das im Irak geschah, hatte er abstraktere Themen im Kopf. Es ist auch nicht gerade seine starke Seite. Doch grundsätzlich meine ich, dass er von seinem Milieu beeinträchtigt wurde, einem Milieu, das unfähig zu sein scheint, über das Zwei-Parteien-System hinauszudenken. Ich meine: wie können wir ernsthaft vermuten, dass integral eine Fusion zwischen konservativ und liberal bedeutet ? Ja, es ist eine Integration, doch es ist eine Integration hin zum orangen Zentrum, es ist kein Einschließen und Übersteigen einer früheren Ebene zu einer höheren Synthese.

INTEGRALE POLITIK

Wilbers integralem Modell zufolge muss eine integrale Politik in etwa so sein, um seine derzeitige Faszination für Integralrechnung zu benützen. Lassen wir X die integrale Politik sein und a, b, c etc. die Entwicklungsebenen. Dann folgt: X = (a) x (a+b) x (a+b+c) x (a+b+c+d) etc. Mit anderen Worten ist eine wahre integrale Politik nicht eine Fusion von Blau und Orange; sie ist eine kunstvolle Fusion und Transzendierung aller horizontalen und vertikalen Trends in der vorhandenen politischen Ordnung. Und soweit ich das sagen kann, scheint Wilber fast vollständig die aktuelle Politiklage zu ignorieren.

Was geht also vor ? Wie ich vorher argumentiert habe, hat Wilber eine Art blinden Punkt. Gemeinsam mit Don Beck bei der Schaffung des Begriffs MGM (gemeines grünes Meme) scheint er die Bedeutung und die Folgen von grüner und auftauchender gelber Politik zu ignorieren und er reduziert die Debatte auf eine vereinfachte Dualität – eine Fusion von blauem Konservatismus und orangem Fortschrittsglauben – und er erinnert daran, dass das MGM beschuldigt wurde, die positiven Aspekte dieser beiden Memes zu untergraben. Und seltsamerweise gibt seine Kritik, eingebettet in SD Schlagworten, sehr eng eine konservative Standardkritik der radikalen Sechziger wieder. Wie es ein Kommentator ausdrückt:

„…Konservative beschrieben die Rebellen als bequeme Anarchisten, angetrieben von ungelöster ödipaler Wut, die Werte zu zerstören, für die die elterliche Generation einstand." [5]

Mit anderen Worten: das berühmte Grün getönt mit Rot.

Jetzt habe ich dieses Argument auseinander genommen, um ,das grüne Meme zu retten', deshalb möchte hier ich nicht weitermachen. Doch was ich betonen möchte, ist dass Wilbers grüner blinder Fleck ihn dahin führt, die positiven Aspekte von Grün irgendwie nachlässig zu behandeln. Sicherlich erkennt er an, dass Grün einige wunderschöne Sachen gemacht hat, doch wenn es auf den Punkt kommt, fehlt seiner politischen Vision die Imagination und sie verbleibt immer noch in der Zwei-Parteien-Welt, die es ihm erlaubt, Blair aufzublähen, ein Geschöpf des orangen Mittelbezirks, zu einem heldenhaften, integralen Koloss von Rhodos – anstelle eines ernstlich kompromittierten Politikers in einem korrupten und zynischen MOM – Milieu.

Wilber ignoriert nämlich die Tatsache, dass Grün und Gelb und natürlich Türkis von Natur aus vorwiegend außerhalb des politischen Zwei-Parteien-Systems arbeiten. Deshalb ist die Beschreibung einer Synthese von konservativ und liberal als integral irgendwie redundant und absurd.

Wenn integrale Politik ihrem Namen treu bleiben will, muss sie dessen gewahr sein, dass die aktuelle Lage sich von dem Zwei-Parteien-System wegbewegt, tweedle-dum and tweeddle-dee [Figuren aus Alice im Wunderland und ein Reim aus einem Song von Bob Dylan; s.www.google.de; d.Ü.], in eine viel mehr fließende politische Landschaft.

Mit welchen Themen sollte sich daher eine integrale Politik befassen ? Ich kann nicht umfassend sein, weil neue politische Formen auftauchen, während ich das schreibe. Doch ich kann einige Vorschläge machen.

  1. 1. Sie ist eine Bewegung auf eine tiefe Demokratie hin. Dies schließt eine Verpflichtung ein, mit Menschen in einer sehr einbeziehenden Weise zu arbeiten, wo sie sind. Sie schließt das Arbeiten mit horizontalen kulturellen Translationen und mit vertikalen Entwicklungsebenen ein. Sie arbeitet in Gemeinwesen, um die politische Kultur zu transformieren. Es geht von unten nach oben, nicht von oben nach unten. Sie bekämpft auch Persönlichkeitstypen, die von Natur aus undemokratisch sind und entwickelt eine persönliche demokratische Ethik. Sie vermeidet Parteienklüngel.
  2. 2. Sie ist eine Bewegung zu Netzwerken von Gleichen (peer to peer = P2P) und unregelmäßigen Organisationen. In diesem Sinne kommen Menschen zusammen zu besonderen Anlässen und schaffen eine angemessene Organisationsform für die Zeit, die man zur Durchführung der Aufgabe benötigt. Die Anti-Globalisierungs-Bewegung ist tatsächlich ein Netzwerk von ungleichartigen Gruppen, die Kirchengruppen, Gewerkschaften und Umweltschützer umfassen.
  3. 3. Sie bekämpft grundsätzlich das Körperschaftswesen. Eine der Besonderheiten der vorherrschenden sozialen Ordnung ist, dass sie schizophren ist. Unsere bürgerliche Kultur ist dem Namen nach demokratisch, doch unsere wirtschaftliche Kultur ist zutiefst undemokratisch. Diese Spaltung bewirkt tatsächlich, dass eine wahre demokratische Praxis herabgewürdigt wird. Deshalb ist es eine Herausforderung, neue wirtschaftliche Lebensweisen zu entwickeln, so wie Mitbestimmung, den Kult des CEO [chief executive officer = Hauptgeschäftsführer oder Abteilungsleiter; d.Ü.] und den des spekulativen Investierens zu entfernen. Sie schließt auch ein, dass Bilanzpraktiken neugeordnet werden in Richtung auf die ,triple bottom line' – Praktiken (Umwelt-, Sozial- und Geschäftskosten) [ein Begriff aus der aktuellen sozialethischen Diskussion, der etwa ganzheitliche Bemessung des Erfolges eines Unternehmens im Hinblick auf die Nachhaltigkeit bedeutet; siehe The Trimaran program bei Fout! Bladwijzer niet gedefinieerd. und entsprechende Links auch in Deutsch; d.Ü.] und dass man von einem Körperschaftsmodell weg zu einem kooperativen Modell geht.
  4. 4. Sie ist global und sie ist lokal – zur gleichen Zeit. Sie respektiert und fördert kulturelle und subkulturelle Andersartigkeit, doch sie ist auch zutiefst interessiert an und verbunden mit vielfältigen subkulturellen Zusammenschlüssen. Der Nationalstaat wird immer mehr unbedeutend. Gleichzeitig bezieht das eine Reorganisation einer globalen Regierung mit ein, weg von den nationalen Einheiten hin zu Nicht-Regierungs-Organisationen.

Was die MGM – Konzeptionen zur Zeit nicht erklären können, ist wie die neuen und positiven politischen Ausdrucksmöglichkeiten mit den früheren blauen und orangen Strukturen zusammen existieren können. Jedes Aufsteigen von einer Ebene zu einer anderen schließt zu einem gewissen Grad Auflösung mit ein. Dies ist nicht die unausgereifte Rebellion einiger Radikalen, sondern eine natürliche Auswirkung des Aufsteigens von einem Schwerkraftzentrum zu einem anderen. Einige Dinge müssen nachgeben und ein Riss ist unvermeidlich. Manchmal ist es keine Frage des Bewahrens von blauen und orangen institutionellen Strukturen, sondern des Findens von neuen Wegen, um die Bedürfnisse von Blau und Orange während des Anpassungsprozesses von aufsteigenden Formen zu befriedigen.

Wir müssen außerhalb der Schubladen denken.

Referenzen

  1. Ken Wilber, The War in Iraq, www.worldofkenwilber.com
  2. Quoted in "Australian Antecedents of the Third Way" Chris Pierson, Francis Castles
  3. Quoted in "Australian Antecedents of the Third Way" Chris Pierson, Francis Castles
  4. "Australian Antecedents of the Third Way".
  5. "The Best Democracy Money Can Buy" Greg Palast, pg 282
  6. The Return of the Roundheads, Denis Kenny, Dissent, Issue 10

Ray Harris, August 2003