INTEGRAL WORLD: EXPLORING THEORIES OF EVERYTHING
Ein Forum für eine kritische Diskussion über die integrale Philosophie von Ken Wilber



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Jeff MeyerhoffJeff Meyerhoff ist ein unabhängiger Gelehrter, der Philosophie, Politik, Mystizismus und Psychologie studiert. Er benützt Achtsamkeit und Psychoanalyse zur Selbstentwicklung. Er arbeitet als Sozialarbeiter mit Geistigbehinderten, sucht jedoch nach neuen Möglichkeiten einer Karriere. Er ist der Autor von Unverhüllter Ehrgeiz: Eine Kritik von Ken Wilbers Theorie von Allem, veröffentlicht bei Integral World. Sein Weblog kann gefunden werden bei philosophyautobiography.blogspot.com. Email at [email protected].


INHALTSVERZEICHNIS

Wilbers Stärke als ein imaginativer Sprachgenerator
hoch über den ,,Details’’ zu fliegen, ist ebenso sein Niedergang.

Schlussfolgerung

Unverhüllter Ehrgeiz: Kapitel 11

Jeff Meyerhoff

Die Theorie vom Urknall erzählt uns, dass wir alles Existierende zurückverfolgen können zu einem gemeinsamen Geburtsmoment. Aus der Singularität der Schöpfung erhalten wir die Vielfältigkeit der Existenz. Wie kamen wir von einem unendlich dichten Fleck der Materie zu alldem, was heute existiert? Welche ist die vereinigende Geschichte dieses miteinander verbundenen Kosmos? Weshalb ist das alles hier und wohin soll das alles gehen?

Es ist Ken Wilbers unverhüllter Ehrgeiz zu versuchen, diese Fragen zu beantworten, indem er erklärt, wie alles zum Entstehen kam, zusammenpasst und was das alles bedeutet. Nicht bloß die Theorie des theoretischen Physikers von Allem oder die Erklärung des Kosmologen vom Kosmos, sondern eine wahre Theorie von Allem: Materie, Leben, Verstand und Geist. Die Tatsache, dass dieser absurd ehrgeizige Versuch nicht sofort zurückgewiesen werden kann, gereicht Wilbers Wissen und Imagination zur Ehre. Die Tatsache jedoch, dass er nicht erfolgreich ist, ist nicht überraschend angesichts der enormen Vielfalt des Wissens, das er integrieren muss und der Nichtaufrechterhaltbarkeit von viel bescheideneren systematischen Integrationen.

Die Wilber betreffende einleitende Frage des Buches – Einstein des Bewusstseins oder New Age Pseudo-Wissenschaftler? – wurde als dramatischer Effekt in Anspruch genommen. Da gibt es ein ausgedehntes Gebiet zwischen diesen beiden. Wilber ist ein kreativer Sprachgenerator, dessen Interessen alle Typen des Wissens umspannen im Gegensatz zu der engen Spezialisierung, die im Hochschulbetrieb vorherrscht. Er hat mehr getan als vielleicht jeder andere, um eine Synthese zu schmieden von westlichen und östlichen Theorien und Praktiken der Selbstentwicklung. Sein großartiges Theoretisieren hat in der Tat wirkliche Weltanwendungen und er versucht aktiv, seine Arbeit zu institutionalisieren und sie zu propagieren, um individuelle und soziale Veränderung zu schaffen. Er ist ein fähiger mystischer Praktizierender und er spricht kenntnisreich sowohl über die theoretischen als auch die empirischen Aspekte der Mystik. Seine Arbeit zeigt Anzeichen der Entwicklung auf, wenn sie ihren Zugriff auf problematische Bemerkungen lockert wie lineare Entwicklung und sie versucht, den Perspektivismus einzubringen. [1]

Die tiefen Dualitäten, die Wilbers Integration zu heilen versucht, sind jedoch nicht gelöst. Subjekt und Objekt, Wissenschaft und Geist, individuell und sozial werden dargestellt und nebeneinander gesetzt, ein näheres Hinsehen und eine Untersuchung der Details ergeben jedoch gegensätzliche Fakten und Widersprüchlichkeiten. Wenn eine Theorie den Fakten widerspricht oder unstimmig ist, ist ihre Validität gefährdet. Das sind die wesentlichen Aspekte der Methode der Vernunft, die erfüllt werden müssen, wenn – wie Wilber es beansprucht – er die rationale Stufe innerhalb seiner weiteren Synthese transzendiert und integriert hat.

Eine übliche Erwiderung auf diesen Typ der Kritik ist, dass Wilber auf einer höheren Ebene der Integration arbeitet und dass die ,,Details’’ in der Zukunft ausgearbeitet werden sollen. Allerdings gibt es gute Gründe, wenn es in unterschiedlichen Kontexten heißt, dass Gott oder der Teufel in den Details residiert. Gott soll in den Details stecken, sobald man das Sublime in konkreten Einzelheiten erfährt; und der Teufel steckt in den Details, sobald man die Anomalien antrifft, deren sture Faktizität unsere makellose theoretische Einheit bedroht. Und Details beziehen sich nicht nur auf jene sturen Kleinigkeiten. Es gibt ebenso die detaillierte Untersuchung einer weit ausholenden Theorie, die offenbart, ob es eine Folgerichtigkeit gibt oder nicht.

Die vorhergehenden Kapitel untersuchten die akademische Literatur, die Wilber zitiert und nicht zitiert und zeigt grundlegende Debatten unter den führenden Experten auf, wo Wilber behauptet, es gebe einen Konsens über orientierende Verallgemeinerungen. Das Kapitel über Holarchie demonstriert die grundlegenden Probleme mit den Konzepten und Definitionen, die von Wilber in Anspruch genommen werden, um seine Ontologie und Lehrsätze vom Kosmos zu erschaffen. Kapitel über Bewusstsein, soziale Evolution, Mystik, Postmoderne, westliche Historie, Visionslogik, Philosophie und Methodologie und Forschungen in Bereichen wie Epistemologie, die immerwährende Philosophie, menschliche Gewalt, die Aufklärung und die Romantik zeigen Wilbers falsche Charakterisierung der Debatten auf und die Falschheit seiner Behauptung eines akademischen Konsenses über seine Ansichten.

Wilbers Stärke, als ein imaginativer Sprachgenerator hoch über den ,,Details’’ zu fliegen, ist ebenso sein Niedergang. Jene so genannten ,,Details’’ sind das heiß umstrittene und strittige Wissen aus den verschiedenen akademischen Spezialgebieten. Sie sind nicht, was Wilber ,,bereits akzeptiertes’’, ,,einfaches aber handfestes’’ Wissen nennt. Der gegenwärtige Zustand des Wissens verschafft nicht die Validität, die er benötigt, um sein spekulatives Theoretisieren zu begründen. Wilbers Synthese ist kreativ und seine Lebensphilosophie ist attraktiv, es gibt jedoch zu viele Anomalien für sie, um als eine valide Theorie betrachtet zu werden.

Wilber und ich bieten unterschiedliche Lösungen für das Problem entgegengesetzter Perspektiven an. Wilber versucht, es auf der Ebene des Intellekts zu lösen; ich versuche, es auf der Ebene der Beziehung zu lösen – Beziehung zu unseren eigenen Überzeugungen und zu denen unserer Gegner.

Wilber behauptet, dass er die Wahrheit in der Perspektive des Anderen nimmt und sie in seine Perspektive einarbeitet, was jedoch in der Perspektive des Anderen als wahr eingeschätz wird, ist vom Charakter der Perspektive abhängig, die die Auswahl betreibt. Wilber verdunkelt diese Tatsache, indem er behauptet, er nehme das Konsenswissen oder die orientierenden Verallgemeinerungen der Wissenschaften in Anspruch, ich demonstriere allerdings, dass diese gar nicht existieren oder nicht auf die Weise existieren, in der er sie als existierend benötigt.

Die Wahrheit, die wir von anderen annehmen – die Stellen, wo wir zustimmen – sind vom Charakter unserer Perspektiven abhängig. Während wir sicherlich Dinge unterschiedlich bewerten und unsere besonderen Wertehierarchien haben, geht der Weg für das Vermitteln von Differenzen in den Perspektiven nicht durch das Schaffen einer illusorischen Mega-Perspektive, sondern durch den Weg, den wir auf die Person beziehen, die die gegensätzliche Perspektive in den Momenten bezieht, in denen wir uns mit dieser Person befassen. Dieser Ansatz pflegt für Wilber problematisch zu sein, wie es aus seinen zahlreichen erbitterten Diskussionen mit oder Vermeidung von Personen ersichtlich ist, die seinen Ansichten zu fundamental entgegenstehen.

Eine grundsätzliche Unterstellung von Wilbers besonderer Perspektive ist, dass es eine Wahrheit gibt oder eine Weise, in der die Welt beschaffen ist. Wenn wir konsequenterweise alle bestätigten Wahrheiten in all den unterschiedlichen Feldern des Wissens nehmen und sie integrieren, sollten sie zusammenpassen, weil sie alle Teile eines großen Puzzles sind. Es gibt jedoch viele Kriterien der Wahrheit und so viele unterschiedliche Arten der Wahrheit; einige passen zusammen, einige überlappen und einige widersprechen sich.

Menschen von heute müssen sich mit dieser Mannigfaltigkeit der Wahrheiten abgeben. Der Ansatz, den ich empfehle, erkennt die postmoderne Erkenntnis dieser vielen Wahrheiten an und gibt das Verlangen auf, im Besitz der einen Wahrheit zu sein. Wir bleiben dann immer noch mit unterschiedlichen Perspektiven zurück, den Menschen, die sie innehaben und mit dem Problem, wie damit fertig zu werden ist. Es ist unsere Beziehung zu den von uns geschätzten Wahrheiten und die Beschaffenheit dieser Wertschätzung, die zu untersuchen ich vorschlage.

LITERATURANGABEN

[1] Siehe seine Bemerkungen: ,,Auszug D: Das Aussehen eines Gefühls,’’ für den in Kürze erscheinenden Band in der Kosmos Trilogie bei http://wilber.shambhala.com/html/books/kosmos/excerptD/part1.cfm/



© Jeff Meyerhoff 2007