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Tod, Wiedergeburt und Meditation

Ken Wilber

Irgendein Typ von Reinkarnationslehre kann buchstäblich in jeder mystischen religiösen Überlieferung weltweit gefunden werden. Sogar das Christentum akzeptierte sie, bis etwa zum 4. Jahrhundert, als sie weitgehend aus politischen Gründen mit dem Kirchenbann belegt wurde. Viele christliche Mystiker akzeptieren die Idee heutzutage jedoch. Wie der christliche Theologe John Hick in seinem wichtigen Werk „Tod und ewiges Leben" ausführte, ist man sich innerhalb der Religionen der Welt, eingeschlossen das Christentum, einig, dass eine Art Wiedergeburt geschieht.

Natürlich macht die Tatsache, dass viele Menschen etwas glauben, dies nicht wahr. Und es ist sehr schwierig, die Idee der Wiedergeburt zu halten, indem man an die „Beweise" in Form von angeblichen Erinnerungen an Vorleben appelliert, weil in den meisten Fällen gezeigt werden kann, dass sie nur ein Wiederbeleben einer unbewussten Erinnerungsspur aus diesem Leben sind.

Dieses Problem ist jedoch nicht so ernst wie es anfangs erscheinen mag, weil die Reinkarnationslehre, wie sie von den großen mystischen Überlieferungen benutzt wird, ein sehr spezifischer Begriff ist: Sie meint nicht, dass der Geist durch fortlaufende Leben wandert und dass deshalb unter besonderen Bedingungen – zum Beispiel Hypnose – der Geist alle seine vergangenen Leben erinnern kann. Im Gegenteil: es ist die Seele, nicht der Geist, die weiterwandert. Folglich ist die Tatsache, dass Reinkarnation nicht bewiesen werden kann, indem man sich auf die Erinnerung vergangener Leben beruft, genau das, was wir erwarten sollten: Spezifische Erinnerungen, Ideen, Wissen und so weiter gehören zum Geist und wandern im allgemeinen nicht weiter. All das bleibt gewöhnlich im Tod mit dem Körper zurück. (Wahrscheinlich können ab und an einige spezifische Erinnerungen mit hindurchschlüpfen, wie die Fälle vermuten lassen, die von Professor Ian Stevenson und anderen berichtet werden, doch diese werden wohl eher die Ausnahme sein und nicht die Regel.) Die Seele wandert jedenfalls weiter, aber die Seele ist nicht ein Satz von Erinnerungen oder Ideen oder Überzeugungen.

In Übereinstimmung mit den meisten Zweigen der immerwährenden Philosophie wird die Seele eher durch zwei grundsätzliche Charakteristiken definiert: Erstens ist sie der Speicher unserer „Tugend" (oder deren Mangels) – das heißt unseres Karmas, sowohl gut als auch schlecht; zweitens ist sie unsere „Stärke" des Gewahrseins oder unsere Fähigkeit, die phänomenale Welt ohne Anhaftung oder Abneigung „zu bezeugen". Diese zweite Fähigkeit ist auch als „Weisheit" bekannt. Die Anhäufung dieser beiden – Tugend und Weisheit – machen die Seele aus, die das einzige ist, das weiterwandert. Wenn also Menschen behaupten, ein vergangenes Leben „zu erinnern" – wo sie lebten, wovon sie lebten und so weiter – dann erinnern sie sich sicherlich nicht an irgendein aktuelles vergangenes Leben, und dies entspricht jeder größeren Religion oder jedem Zweig der immerwährenden Philosophie. Nur Buddhas (oder Tulkus [= aus der Geisterwelt heraus erschaffene Wesen; Anm.d.Übers.]), sagt man, können sich gewöhnlich an vergangene Leben erinnern – die Hauptausnahme von der Regel. Sogar der Dalai Lama hat gesagt, er könne sich nicht an vergangene Leben erinnern, dies sollte als eine Mahnung für alle dienen, die denken, sie könnten es.

REINKARNATION ALS EINE SPIRITUELLE HYPOTHESE

Aber wenn angebliche Erinnerungen an vergangene Leben keine guten Beweise für Reinkarnation sind, welche anderen Beweisformen sollte es geben, um diese Lehre zu stützen ? Hier sollten wir uns daran erinnern, dass die immerwährende Philosophie im allgemeinen drei hauptsächliche und unterschiedliche Typen von Wissen und seine Verifikation zulässt: sinnliches oder empirisches Wissen; mentales oder logisches Wissen; und spirituelles oder kontemplatives Wissen. Reinkarnation ist nicht in erster Linie eine sinnliche oder mentale Hypothese; sie kann nicht einfach durch die Anwendung sinnlicher Daten oder durch logische Deduktion erklärt oder verifiziert werden. Sie ist eine spirituelle Hypothese, die mit dem Auge der Kontemplation getestet werden muss, nicht mit dem Auge des Fleisches oder dem Auge des Geistes. Obschon wir wenig übliche Beweise finden werden, um uns von der Reinkarnation zu überzeugen, werden wir daher, wenn wir erst einmal die Kontemplation aufgenommen haben und in ihr ziemlich professionell geworden sind, damit beginnen, gewisse offensichtliche Fakten zu bemerken – zum Beispiel, dass die bezeugende Position, die Seelenposition beginnt, an der Ewigkeit, an der Unendlichkeit teilzuhaben.

Es gibt eine zeitlose Natur bei der Seele, die perfekt offenbar und unmissverständlich wird: man beginnt tatsächlich, die Unsterblichkeit der Seele „zu schmecken" und die Intuition zu haben, dass die Seele in einem bestimmten Ausmaß über der Zeit steht, über der Geschichte, über Leben und Tod. Auf diese Weise wird man allmählich davon überzeugt, dass die Seele nicht mit Körper oder Geist (mind) stirbt, dass die Seele vorher existiert hat und wieder existieren wird. Aber das hat gewöhnlich nichts mit spezifischen Erinnerungen an frühere Leben zu tun. Es ist vielmehr eine Erinnerung an diesen Aspekt der Seele, der den GEIST (spirit) berührt, und er ist daher radikal und perfekt zeitlos. Tatsächlich wird von diesem Standpunkt aus offensichtlich, wie es der große vedantische Seher Shankara ausgedrückt hat, dass „der eine und einzige Seelenwanderer der HERR ist" oder der absolute GEIST selbst. Es ist letztlich der Buddha-Geist selbst, der Eine und Einzige, der als alle diese Formen erscheint, sich selbst als alle diese Erscheinungen manifestierend, als alle diese Seelen weiterwandernd. Diese Realisation der Ewigkeit, als GEIST unsterblich und unzerstörbar zu sein, wird in den tieferen Stufen der Kontemplation ziemlich fühlbar.

In Anlehnung an die immerwährenden Lehren ist es jedoch nicht bloß das Absolute, das weiterwandert. Wenn die Seele erwacht oder sich im GEIST auflöst, dann wandert sie nicht länger weiter; sie ist „befreit" oder sie nimmt wahr, dass sie als GEIST überall reinkarniert ist, als alle Dinge. Aber wenn die Seele nicht zum GEIST erwacht ist, wenn sie nicht erleuchtet ist, dann reinkarniert sie, indem sie die Ansammlung ihrer Tugend und Weisheit mit sich nimmt, eher als spezifische Erinnerungen ihres Geistes (mind). Und diese Kette der Wiedergeburten setzt sich fort, bis diese beiden Ansammlungen – Tugend und Weisheit – schließlich einen kritischen Punkt erreichen, woraufhin die Seele erleuchtet oder aufgelöst und befreit im GEIST wird, und so endet die individuelle Seelenwanderung.

Sogar der Buddhismus, der die absolute Existenz der Seele leugnet, akzeptiert, dass die Seele eine relative oder konventionelle Existenz hat und dass diese relativ oder konventionell existierende Seele tatsächlich weiterwandert. Wenn das Absolute oder Shunyata direkt erfahren wird, dann kommt die relative Seelenwanderung – und die getrennte Seele – zu einem Ende. Man sollte jedoch annehmen, dass ein Buddhist unserem Gebrauch des Wortes Seele in diesem Kontext widersprechen wird, weil dieser Ausdruck im allgemeinen den Zusammenhang mit etwas hat, das unzerstörbar und immerwährend ist – eine Konnotation, die mit der buddhistischen Idee , dass die Seele nur eine relative und zeitliche Existenz hat, nicht vereinbar zu sein scheint. Ein näheres Hinschauen auf die Lehren der immerwährenden Philosophie wird jedoch diesen scheinbaren Widerspruch auflösen. Gemäß der immerwährenden Überlieferung ist die Seele tatsächlich unzerstörbar, wenn sie aber vollends den GEIST entdeckt, wird ihr eigenes Gefühl für Getrenntheit aufgelöst oder transzendiert. Die Seele verbleibt weiterhin als die Individualität oder der Ausdruck der besonderen Person, doch ihr Sein oder Zentrum geht zum GEIST über, so löst sie ihre Illusion des Getrenntseins auf. Und diese Lehre stimmt fast genau mit den höchsten Lehren des Buddhismus überein – dem Anuttara-Tantra-Yoga oder dem „höchsten Tantra Lehrgut" – gemäß dem im Zentrum des Herzchakras, in allen Individuen, etwas existiert, was fachgemäß „der unzerstörbare Tropfen" (oder Luminosität) genannt wird. Wie das Vajrayana lehrt, ist es dieser unzerstörbare Tropfen, der weiterwandert. Darüber hinaus ist er unzerstörbar, sogar Buddhas sollen ihn besitzen. Der unzerstörbare Tropfen soll der Sitz des sehr subtilen „Windes" (rLung) sein, der den „sehr subtilen [oder kausalen] GEIST" unterstützt, den GEIST der Erleuchtung oder unsere spirituelle Essenz. Insofern stimmt der Buddhismus mit der immerwährenden Philosophie überein: Der unzerstörbare Tropfen ist die Seele, das Kontinuum, wie ich es definiert habe.

STUFEN DES STERBEPROZESSES: AUFLÖSUNG DER GROSSEN KETTE DES SEINS

Auf eine allgemeine Weise stimmen die verschiedenen Zweige der immerwährenden Philosophie überein, was die Stufen des Sterbeprozesses und die Erfahrungen, die diesen Prozess begleiten, betreffen: Der Tod ist ein Prozess, in dem sich die große Kette des Seins „auflöst", „für das Individuum", „von unten herauf" sozusagen. Beim Tod also löst sich der Körper in den Geist auf, dann der Geist in die Seele, dann löst sich die Seele in den GEIST auf, und jede dieser Auflösungen wird durch einen spezifischen Satz von Ereignissen markiert. Zum Beispiel ist das Auflösen des Körpers in den Geist der aktuelle Prozess des physischen Sterbens. Das Auflösen des Geistes in die Seele wird erlebt als Rückschau und „Beurteilung" des eigenen Lebens. Das Auflösen der Seele in den GEIST ist eine radikale Befreiung und Transzendenz. Dann „kehrt sich" der Prozess sozusagen „um", und aufgrund unserer angesammelten karmischen Tendenzen schaffen wir eine Seele aus dem GEIST, danach einen Geist aus der Seele, dann einen Körper aus der Seele – daraufhin vergisst man alle früheren Schritte und findet sich in einem physischen Körper wiedergeboren. Nach Ansicht der Tibeter benötigt dieser gesamte Prozess 49 Tage.

Die tibetische Tradition enthält die reichste, detaillierteste phänomenologische Beschreibung der Auflösungsstufen der großen Kette während des Sterbeprozesses. Gemäß den Tibetern sind die subjektiven Erfahrungen, die die besagten acht Stufen der Auflösung begleiten, fachgemäß bekannt als: „Luftspiegelung", „rauchähnlich", „Feuerfliegen", „Butter-lampen", „weiße Erscheinung", „rote Zunahme", „schwarzes Beinahe-Erreichen" und „klares Licht". Um diese Begriffe zu verstehen, benötigen wir eine etwas genauere und detailliertere Version der großen Kette. Deshalb werden wir anstelle unserer vereinfachten Version von Körper, Geist, Seele und GEIST eine leicht erweiterte Version benützen: Materie, Gefühl, Wahrnehmung, Absicht, Verstehen, psychisch, subtil, kausal (oder formlos unmanifestiert) und GEIST (oder Ultimatives).

Die erste Stufe des Sterbeprozesses ereignet sich, wenn das Aggregat der Form oder die Materie – die niedrigste Stufe in der großen Kette – sich auflöst. Dabei soll es fünf externe Anzeichen geben: der Körper verliert seine physische Kraft; unsere Sicht wird unklar und verschwommen; der Körper wird schwer und fühlt sich, als würde er „sinken"; das Leben geht aus den Augen; und das Aussehen des Körpers verliert seinen Glanz. Das interne Anzeichen, das mit diesen äußeren Zeichen gleichzeitig geschieht, ist eine „Erscheinung ähnlich einer Fata Morgana", eine Art flimmerndes, wässriges Bild, wie es in der Wüste oder an einem heißen Tag geschieht. Dies soll deshalb geschehen, weil fachgemäß der „Wind" (rLung) des „Erd"-Elements sich im „Zentralkanal" aufgelöst hat und das „Wasser"-Element daher vorherrscht – deshalb auch die wässrige oder Fata-Morgana-Erscheinung.

Als nächstes löst sich das zweite Aggregat, das Fühlen, auf. Wieder gibt es fünf externe Anzeichen: Man hat keine körperlichen Gefühle mehr, weder angenehme noch unangenehme; geistige Gefühle hören auf; Körperflüssigkeiten trocknen ein (z.B. wird die Zunge sehr trocken); man nimmt keine externen Signale mehr wahr; und interne Signale (Ohrensummen zum Beispiel) hören auch auf. Das interne Anzeichen, das mit dieser zweiten Auflösung verbunden ist, ist eine „rauchähnliche Erscheinung", was wie ein Nebel ist. Das soll fachgemäß geschehen, weil das „Wasser"-Element, das die Fata-Morgana-Erscheinung verursacht hat, sich in das „Feuer"-Element auflöst – daher die rauchartige Erscheinung.

Die dritte Stufe ist die Auflösung der dritten Ebene oder des dritten Aggregats, das der Wahrnehmung oder Unterscheidung. Die fünf externen Anzeichen: Man kann nicht länger Objekte erkennen oder unterscheiden; man kann nicht mehr Freunde oder die Familie erkennen; die Körperwärme geht verloren (der Körper wird kalt); unsere Atmung wir sehr schwach und flach; und man kann keine Gerüche mehr entdecken. Die internen Anzeichen, die diese Stufe begleiten, werden „Feuerfliegen" genannt, die beschrieben werden als ein Schwarm von Fliegen oder glühende Funken eines Feuers. Fachgemäß soll das geschehen, weil das „Feuer"-Element sich aufgelöst hat und das „Wind"-Element nun vorherrscht.

Die vierte Stufe ist die Auflösung der vierten Ebene oder des vierten Aggregats, das der Absicht (oder der"intentionalen Formationen"). Die fünf externen Anzeichen dieser Auflösung: Man kann sich nicht mehr bewegen (weil keine Impulse mehr vorhanden sind); man kann sich nicht mehr an Handlungen oder an ihre Zwecke erinnern; das Atmen stoppt; die Zunge wird dick und blau und man kann nicht mehr deutlich sprechen; und man nicht mehr Geschmack empfinden. Das interne Anzeichen davon ist eine „Butterlampen-Erscheinung", deren Aussehen als ein ständiges, klares, helles Licht beschrieben wird. (An diesem Punkt können wir beginnen, Ähnlichkeiten mit Nahtod-Erfahrungen zu sehen, die ich weiter unten diskutieren werde.)

Um die fünfte und die folgenden Stufen des Auflösungs-prozesses zu verstehen, muss man notwendigerweise etwas von der tantrischen Physiologie wissen. Gemäß Vajrayana werden alle mentalen Zustände – grob, subtil und sehr subtil (oder kausal) – von entsprechenden „Winden" oder Energien oder Lebenskräften (Prana im Sanskrit, rLung im Tibetischen) getragen. Wenn diese Winde sich auflösen, lösen sich die entsprechenden Geisteszustände ebenfalls auf. Stufe fünf ist die Auflösung der 5. Ebene oder des 5. Aggregats, nämlich des Erkennens oder des groben Bewusstseins selbst. Wie die Vajrayana – Lehren jedoch klar darlegen, gibt es viele Ebenen des Bewusstseins. Diese Ebenen sind aufgeteilt in den so genannten grobstofflichen Geist, den subtilen Geist und den sehr subtilen Geist, jeder von ihnen löst sich in der Reihenfolge auf, indem spezifische Anzeichen und Erfahrungen produziert werden. So ist Stufe 5 die Auflösung des grobstofflichen Geistes, gemeinsam mit dem „Wind", der ihn unterstützt. Dann ist da keine grobstoffliche Wahrnehmung, kein gewöhnlicher Geist mehr vorhanden.

Während dieser fünften Stufe, nachdem der Rest des grobstofflichen Geistes abgestorben und der Beginn des subtilen Geistes aufgetaucht ist, erfährt man einen Zustand, der „weiße Erscheinung" genannt wird. Dies soll ein sehr helles, sehr klares weißes Licht sein, wie eine klare Herbstnacht, strahlend erleuchtet durch einen glitzernden Vollmond. Um diese Ursache dieser weißen Erscheinung jedoch zu verstehen, müssen wir den tibetischen Begriff des thig-le einführen, der in etwa „Tropfen" oder „Essenz" meint. Gemäß Vajrayana gibt es vier Tropfen oder Essenzen, die besonders wichtig sind. Einer, der weiße Tropfen, soll oben auf dem Kopf lokalisiert sein; man bekommt ihn vom Vater, und es wird gesagt, dass er bodhichitta oder den Erleuchtungs-Geist repräsentiert (oder tatsächlich ist). Den zweiten, den roten Tropfen, erhält man von der Mutter; er ist am Nabelzentrum lokalisiert. (Der weiße Tropfen soll auch mit dem Samen verbunden sein, der rote Tropfen mit [menstruellem] Blut, doch der Punkt ist, dass Männer und Frauen beide gleichermaßen haben.) Der dritte, der „der Tropfen, der für dieses Leben unzerstörbar" genannt wird, ist genau im Zentrum des Herzchakras lokalisiert. Dieser Tropfen ist sozusagen die Essenz der individuellen Lebenszeit des Individuums; er ist unser „Kontinuum", der alle Eindrücke und Lerninhalte dieses individuellen Lebens speichert. Und innerhalb dieses „Tropfens, der für dieses Leben unzerstörbar ist", befindet sich der vierte Tropfen, „der Tropfen, der ewig unzerstörbar und immerwährend unzerstörbar ist". Dies ist der unzerstörbare Tropfen, der immer bleibt – das heißt, er ist unzerstörbar dieses Leben hindurch, unzerstörbar durch den Tod und den Sterbeprozess, unzerstörbar durch den Bardo oder Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt und auch während der Wiedergeburt selbst. Dieser Tropfen bleibt sogar während der Erleuchtung und er ist in der Tat der sehr subtile Wind, der als „Berg" oder Basis des Erleuchtungsdaseins dient. Wie bereits erwähnt, sollen sogar Buddhas diesen ewig unzerstörbaren Tropfen besitzen.

Was wir also bisher gesehen haben, ist die Auflösung aller grobstofflichen Winde und der grobstofflichen Geisteszustände, die mit ihnen verbunden sind. Der erste subtile Geist ist so aufgetaucht – der der „weißen Erscheinung" – und er „reitet" auf einem entsprechenden subtilen Wind oder einer subtilen Energie. Jetzt soll die aktuelle Verursachung dieses Geistes der weißen Erscheinung das Herabsteigen des weißen Tropfens sein oder des bodhichitta, vom Scheitel- zum Herzchakra. Man sagt, dass der weiße Tropfen gewöhnlich am Scheitelchakra durch einschnürende Knoten und Winde des Unwissens gehalten wird und von grobstofflichem Anhaften und Anklammern. Aber auf dieser Stufe des Sterbeprozesses hat sich der grobstoffliche Geist aufgelöst, so dass sich die Knoten um das Scheitelchakra herum natürlicherweise lockern, und der weiße Tropfen steigt herab zu dem unzerstörbaren Tropfen im Herzchakra. Sobald er ihn erreicht, erhebt sich spontan die weiße Erscheinung.

Wenn übrigens diese tibetischen Erklärungen der in Frage stehenden Phänomene etwas weit hergeholt klingen, sollten wir uns daran erinnern, dass es eine enorme Ansammlung von kontemplativen Beweisen gibt, die diese verschiedenen Erfahrungen stützen, die sich während des Sterbeprozesses ereignen sollen. Die Erfahrungen selbst sind wirklich und scheinen weitgehend unbestritten zu sein, doch es bleibt eine Menge an Freiraum, um gegen den traditionellen tibetischen Beitrag, was sie tatsächlich auslöst, zu argumentieren. (Ich werde in Kürze auf diesen Punkt zurückkommen). Hier beschreibe ich lediglich die genaue tibetische Version als einen Ausgangspunkt.

Nichtsdestoweniger sollten wir auch berücksichtigen, dass entgegen unserer eigenen westlichen Kultur traditionelle Kulturen wie die tibetische ständig mit dem Tod zusammenleben; Menschen sterben zu Hause, umgeben von Familie und Freunden. Die tatsächlichen Stufen des Sterbeprozesses sind auf diese Weise tausende und sogar millionen Male beobachtet worden. Und wenn wir eine weitere Tatsache hinzufügen, dass die Tibeter über ein ziemlich kompliziertes Verständnis der spirituellen Dimension und ihrer Entwicklung verfügen, ist das Ergebnis ein unglaublich reiches Vorkommen an Wissen und Weisheit über den tatsächlichen Sterbeprozess und wie er sich auf die spirituellen Dimensionen bezieht, auf die spirituelle Entwicklung, auf Karma und Wiedergeburt und so weiter. Klar gesagt wäre es närrisch für einen Erforscher, diese massiven Daten wegzustoßen, die diese Tradition angesammelt hat.

Doch um nun mit den Stufen des Sterbeprozesses weiter fortzufahren. Auf Stufe sechs lösen sich der subtile Geist und sein Wind auf, und ein sogar noch subtilerer Geist, genannt „rote Zunahme", erhebt sich. Die rote Zunahme ist ebenfalls eine Erfahrung von strahlendem Licht; aber in diesem Fall ist es eine Erfahrung wie ein klarer Herbsttag durchdrungen von hellem Sonnenlicht. Fachgemäß soll das geschehen, weil die Winde sich auflösen, die das grobstoffliche Leben unterstützen, und somit werden alle Knoten und Einschnürungen um den Nabel herum, die den roten bodhichitta oder den roten Tropfen am Nabel festhalten, freigemacht oder losgebunden, und der rote Tropfen steigt zu dem unzerstörbaren Tropfen im Herzen hinauf. Sobald er ihn erreicht, erhebt sich spontan der Geist der roten Zunahme.

Stufe sieben soll die Auflösung des subtilen Geistes der roten Zunahme sein und das Aufsteigen eines sogar noch subtileren Geistes und Windes, genannt „der Geist des schwarzen Beinahe-Erreichens". In diesem Zustand hört alles Bewusstsein auf, alle Manifestationen lösen sich auf. Darüber hinaus geschieht ein Aufhören aller spezifischen Bewusstseinsarten und Energien, die in diesem Leben entwickelt worden sind. Die Erfahrung soll die einer komplett schwarzen Nacht sein, ohne Sterne, ohne Licht. Sie wird „Beinah-Erreichen" genannt, weil sie sich dem letzten Erreichen „nähert" sozusagen; sie nähert sich der klaren Lichtleere. Mit anderen Worten kann diese Ebene gedacht werden als die höchste des Subtilen oder die niedrigste des Kausalen oder als die nichtmanifestierte Dimension des GEISTES selbst. Fachgemäß soll diese „Dunkelheit" geschehen, weil der weiße Tropfen von oben und der rote Tropfen von unten nun den unzerstörbaren Tropfen umgeben und somit alles Gewahren abschneiden.

Auf der nächsten und letzten Stufe jedoch – auf Stufe acht – geht der weiße Tropfen weiter nach unten und der rote Tropfen weiter nach oben, und so befreien oder öffnen sie den unzerstörbaren Tropfen. Dann, so sagt man, wird eine Periode von außerordentlicher Klarheit und strahlendem Gewahrsein erreicht, die erfahren wird wie ein extrem klarer, heller und strahlender Himmel, frei von irgendeiner Art von Makel, von Wolken, von Hindernissen. Dies ist das klare Licht.

Jetzt, so sagt man, sei der Geist des klaren Lichtes kein subtiler Geist, sondern ein sehr subtiler Geist, und es erhebt sich ein entsprechend sehr subtiler Wind oder eine Energie. Dieser sehr subtile oder „kausale" Geist oder diese Energie sind in der Tat der Geist und die Energie des ewig unzerstörbaren Tropfens. Dies ist der Kausalkörper oder der endgültige spirituelle GEIST und die Energie, der Dharmakaya. An diesem Punkt streift der ewig unzerstörbare Tropfen den unzerstörbaren Tropfen der Lebenszeit ab, jedes Bewusstsein hört auf, und die Seele, der ewig unzerstörbare Tropfen, beginnt mit der Bardo-Erfahrung oder den Zwischenzuständen, die schließlich zur Wiedergeburt führen werden. Der weiße Tropfen wandert weiter nach unten und erscheint als ein Samentropfen auf dem Sexualorgan, und der rote Tropfen steigt weiter nach oben und erscheint als ein Blutstropfen in der Nase. Schließlich ist der Tod eingetreten, und der Körper kann entsorgt werden. Tut man dies, bevor das geschehen ist, macht es einen karmisch des Mordes schuldig, weil der Körper noch am Leben ist.

STUFEN DES PROZESSES DER WIEDERGEBURT

Was wir bisher gesehen haben, ist die fortschreitende Auflösung der Großen Kette, im Fall eines Individuums, vom Boden beginnend und sich nach oben hin arbeitend. Materie oder Form, aufgelöst in den Körper (oder in Gefühl, dann Wahrnehmung, dann Antriebe), und der Körper löst sich in den Geist auf, in den grobstofflichen Geist. Der grobstoffliche Geist löst sich dann in den subtilen Geist oder die Reiche der Seele auf, und dann kehrt die Seele zurück in die kausale oder spirituelle Essenz. An diesem Punkt wir jetzt der Prozess wieder zurückgedreht, abhängig vom Karma der Seele – von der Ansammlung von Tugend und Weisheit, die die Seele mit sich gebracht hat. Deshalb ist die Bardo-Erfahrung in drei Basisbereiche oder Stufen eingeteilt, und diese Stufen sind schlichtweg die Bereiche des GEISTES, dann des Geistes, dann des Körpers und der Materie. Ihrer Tugend und Weisheit entsprechend wird die Seele entweder die höheren Dimensionen erkennen und in ihnen verbleiben, oder sie wird sie nicht erkennen – sie wird ihnen sogar entfliehen – und so wird sie so weit kommen, dass sie die Große Kette des Seins „hinunter"läuft, bis sie gezwungen ist, einen grobmateriellen Körper anzunehmen und demnach wiedergeboren wird.

Am Punkt des tatsächlichen oder endgültigen Todes – was wir die achte Stufe des gesamten Sterbeprozesses genannt haben – betritt die Seele oder der ewig unzerstörbare Tropfen den so genannten chikhai bardo, der nichts anderes ist als der GEIST selbst, der Dharmakaya. Wie das Tibetische Totenbuch ausführt: „ In diesem Moment wird von allen fühlenden Wesen der erste Einblick in den Bardo des klaren Lichts der Wirklichkeit erfahren, der der unfehlbare GEIST des Dharmakaya ist."

Dies ist der Punkt, an dem Meditation und spirituelles Arbeiten so wichtig wird. Die meisten Menschen können gemäß dem Tibetischen Totenbuch diesen Zustand nicht als solchen erkennen. Mit christlichen Worten: sie kennen Gott nicht, und daher wissen sie nicht, wenn Gott ihnen in das Gesicht starrt. Sie sind an diesem Punkt in der Tat eins mit Gott, gänzlich und total in der höchsten Identität mit der Gottheit. Solange sie jedoch diese Identität nicht erkennen, wenn sie nicht kontemplativ geschult sind, um diesen Zustand der göttlichen All-Einheit zu erkennen, werden sie sich von ihm abwenden, getrieben von ihren niederen Wünschen und karmischen Neigungen. Wie es W.Y.Evans-Wentz, der erste Übersetzer des Tibetischen Totenbuchs, ausgedrückt hat: „Wegen der Unkenntnis dieses Zustands, der ein ekstatischer Zustand des Nicht-Egos ist, des [kausalen] Bewusstseins, fehlt dem durchschnittlichen menschlichen Wesen die Kraft, sich in ihn einzufügen; karmische Neigungen umnebeln das Bewusstseinsprinzip mit Gedanken der Persönlichkeit, eines individualisierten Wesens, des Dualismus, und indem es das Gleichgewicht verliert, fällt das Bewusstseinsprinzip weg von dem Klaren Licht."

Auf diese Weise verengt sich die Seele weg von der Gottheit, vom Dharmakaya, weg vom Kausalen. Es wird tatsächlich gesagt, dass die Seele wirklich danach strebt, von der Realisation der göttlichen Leere zu fliehen und sie „wird schwarz" sozusagen, bis sie im nächstniedrigen Bereich erwacht, der der chonyid bardo genannt wird, die subtile Dimension, das Sambhogakaya, die archetypische Dimension. Diese Erfahrung ist geprägt durch alle Sorten von psychischen und subtilen Visionen, Visionen von Göttern und Göttinnen, Dakas und Dakinis, alle begleitet von blendenden und fast schmerzlich strahlenden Lichtern und Illuminationen und Farben. Doch wiederum sind die meisten Menschen an einen solchen Zustand nicht gewöhnt und sie haben überhaupt keine Vorstellung von transzendentalem Licht und göttlicher Illumination, so dass sie tatsächlich vor diesen Phänomenen fliehen und angezogen werden von den geringeren oder unreinen Lichtern, die ebenfalls erscheinen.

Daher zieht sich die Seele wiederum nach innen zusammen und versucht, von diesen göttlichen Visionen wegzukommen, und sie erwacht im so genannten sidpa bardo, dem grob-reflektierenden Bereich. Hier hat die Seele schließlich eine Vision ihrer zukünftigen Eltern, die sich gerade lieben, und – in einem guten altmodischen freudschen Stil – wenn sie ein Junge werden soll, fühlt sie Begierde nach der Mutter und Hass für den Vater, und wenn sie ein Mädchen werden soll, fühlt sie Hass für die Mutter und Anziehung zum Vater hin. (Soweit ich dies sagen kann, ist dies die erste genaue Erklärung des Ödipus/Elektra-Komplexes – etwa tausend Jahre vor Freud, wie es Jung selbst ausgeführt hat.)

Auf dieser Stufe, so wird gesagt, „tritt" die Seele „ein" – auf Grund ihrer Eifersucht und ihres Neides – in ihrer Vorstellung, den Vater und die Mutter zu trennen, um zwischen sie zu kommen; doch das Ergebnis ist schlichtweg, dass sie wirklich zwischen sie kommt – das heißt, dass sie bei ihnen wiedergeboren wird. Jetzt hat sie Verlangen, Abneigung, Anhaftung, Hass und einen grobstofflichen Körper: Mit anderen Worten: sie ist ein menschliches Wesen. Es ist die niedrigste Stufe der Großen Kette, und ihre eigene Entwicklung und ihr Wachstum wird ein Hinaufklettern sein zu den Stufen, die sie gerade verleugnet hat und denen sie entflohen ist; ihre Evolution ist sozusagen eine Umkehrung des „Sündenfalls". Wie weit sie in der Großen Kette des Seins hinaufklettern wird, das wird dadurch bestimmt, wie sie den Sterbeprozess und die Bardo-Zustände bewältigt, wenn es wieder Zeit wird, den physischen Körper beiseite zu legen.

INTERPRETATION DER SUBJEKTIVEN TODES- UND WIEDERGEBURTS – ERFAHRUNGEN

Die kontemplative Beweislage lässt vermuten, dass die Daten, die phänomenologischen Erfahrungen, die den Sterbeprozess begleiten – zum Beispiel die „weiße Erscheinung", die „rote Zunahme", das „schwarze Beinahe-Erreichen" – existieren und sehr wirklich sind. Weitere Beweise für ihre Wirklichkeit liegen in der Tatsache, dass sie aktuelle ontologische Entsprechungen in den höheren Dimensionen der Großen Kette des Seins haben. Die drei Erfahrungen, die gerade erwähnt wurden, stimmen zum Beispiel mit dem überein, was ich die psychischen, die subtilen und die kausalen Ebenen des Bewusstseins genannt habe. Nach meiner Meinung sind dann diese Ebenen wirklich, und daher sind die Erfahrungen jener Ebenen selbst auch wirklich. Doch das bedeutet nicht, dass die Erfahrungen der Individuen innerhalb dieser Ebenen nicht gänzlich verschieden sein können.

Zum Beispiel wird ein Buddhist die „weiße Erscheinung" wahrscheinlich als ein Typ der Leere oder eine Shunyata-Erfahrung erleben, währenddessen ein christlicher Mystiker sie als Form einer heiligen Gegenwart sehen mag, möglicherweise als Christus selbst oder ein großes Lichtwesen. Doch dies ist so, wie es sein sollte. Denn bevor sich der „unzerstörbare Tropfen der Lebenszeit" – die angehäuften Eindrücke und Glaubensinhalte, die während der Lebenszeit gesammelt werden – tatsächlich auflösen (auf der von uns so gennanten Stufe sieben), wir er alle unsere Eindrücke färben und formen. Ein Buddhist wird daher dazu neigen, eine buddhistische Erfahrung zu haben, ein Christ wird eine christliche Erfahrung haben, ein Hindu wird eine hinduistische Erfahrung haben, und ein Atheist wird wahrscheinlich zutiefst verwirrt sein. Dies ist so, wir wir es erwarten sollten. Nur auf Stufe acht, in der klaren Leere im Licht oder der reinen Gottheit, werden erst unsere persönlichen Interpretationen und subtilen Glaubensinhalte weggelassen werden und eine direkte Realisierung der reinen Wirklichkeit selbst ist als helles Licht gegeben. Daher ist also die tibetische Erklärung der Daten nicht der einzige mögliche Beitrag. Sie ist jedoch eine unter mehreren sehr wichtigen Reflektionen oder Perspektiven über den Sterbeprozess und die Wiedergeburt, die in einem tiefen Verständnis der Großen Kette des Seins wurzelt, sowohl das Aufsteigen (Meditation und Tod) als auch das Absteigen (Bardo und Wiedergeburt).

NAHTOD – ERFAHRUNG UND DIE STUFEN DES STERBEPROZESSES

Das verbreitetste Phänomen in westlichen Berichten über Nahtoderfahrungen (NTE) ist das Erlebnis, durch einen Tunnel hindurch zu gelangen und dann ein strahlendes Licht zu sehen, oder ein großes Lichtwesen zu treffen – ein Wesen mit unglaublicher Weisheit und Intelligenz und Seligkeit. Der religiöse Glaube der einzelnen Person spielt hier keine Rolle; Atheisten haben dieses Erlebnis genauso oft wie wahre Glaubende. Diese Tatsache neigt durch sich selbst dazu, die Idee zu bestätigen, dass man im Sterbeprozess einige der subtilen Dimensionen der Existenz kontaktiert. Vom Standpunkt des tibetischen Modells, das wir diskutiert haben, kann das „Licht", das in den NTEs berichtet wird, abhängig von seiner Intensität oder Klarheit die Ebene der Butterlampe, der weißen Erscheinung oder der roten Zunahme sein. Der Punkt ist, dass an diesem Punkt des Sterbeprozesses der grobstoffliche Geist und Körper oder die grobstofflichen Winde und Energien sich aufgelöst haben, und daher beginnen die subtileren Dimensionen des Geistes und der Energie aufzutauchen, die durch strahlende Illumination und mentale Klarheit und Weisheit charakterisiert werden. Daher ist es nicht überraschend, dass Menschen im allgemeinen, unabhängig von ihrem Glauben, Lichterlebnisse an diesem Punkt berichten. Viele Menschen, die über NTEs berichten, glauben, das das von ihnen gesehene Licht der absolute GEIST ist. Wenn das tibetische Modell jedoch korrekt ist, dann ist es nicht genau die höchste Ebene, die Menschen während der NTE sehen. Jenseits der weißen Erscheinung oder der roten Zunahme ist das schwarze Beinahe-Erreichen, dann klares Licht, dann die Bardo-Zustände.

Das Erlebnis des Lichts in der subtilen Ebene ist sehr angenehm – tatsächlich verblüffend voller Seligkeit. Und die nächste Ebene, die sehr subtile oder kausale, ist es sogar noch mehr. Tatsächlich berichten Menschen, die NTEs hatten, dass sie niemals vorher etwas so Friedvolles, so Tiefes und so Seligmachendes erlebt hatten. Wir müssen jedoch berücksichtigen, dass alle diese Erlebnisse bis zu diesem Punkt von dem „unzerstörbaren Tropfen der Lebenszeit" modelliert werden; deshalb werden Christen wohl, wie wir bereits bemerkt haben, Christus sehen, Buddhisten sehen Buddha und so weiter. All das macht Sinn, weil die Erlebnisse in diesen Bereichen durch die Erfahrungen unseres gegenwärtigen Lebens bedingt sind. Doch dann, auf Stufe acht, ist der „unzerstörbare Tropfen der Lebenszeit" weggewischt, gemeinsam mit allen persönlichen Erinnerungen und Eindrücken und Besonderheiten dieses betreffenden Lebens, und der „ewig unzerstörbare Tropfen" geht aus dem Körper heraus und in den Bardo-Zustand hinein. Und daraufhin beginnt die Bardo-Pein – ein wirklicher Albtraum, wenn man nicht ziemlich vertraut ist mit diesen Zuständen durch die Meditation.

Die Sterbeerfahrung und die NTE sind tatsächlich eine Menge Spaß gewissermaßen: Es wird universell berichtet, dass der Prozess selig, friedvoll, außergewöhnlich ist, nachdem man über den Schrecken des Todes hinausgelangt ist. Aber wenn der „Aufstieg" beendet ist, beginnt der „Abstieg" oder Bardo – und da liegt der Hase im Pfeffer. Denn an diesem Punkt erscheinen unsere karmischen Neigungen, alle unsere Anhaftungen, Wünsche und Ängste sozusagen tatsächlich vor unseren Augen, gerade wie in einem Traum, in dem alles Gedachte unmittelbar als Wirklichkeit erscheint.

Daher hört man auch nichts über diese „Unterseite" des Sterbeprozesses von den NTE – Leuten. Sie schmecken gerade die frühen Stufen des gesamten Prozesses. Nichtsdestoweniger ist ihre Aussage eine mächtige Beweislast, dass sich dieser Prozess tatsächlich ereignet. Es passt alles mit einer bemerkenswerten Präzision zusammen. Darüber hinaus ist es nicht möglich, ihre Zeugenaussagen hinwegzuerklären, indem man behauptet, sie hätten alle den tibetischen Buddhismus studiert; tatsächlich haben die meisten von ihnen davon noch nicht einmal gehört. Aber sie haben wesentlich ähnliche Erlebnisse wie die Tibeter, weil diese Erlebnisse die universelle und kulturübergreifende Wirklichkeit der Großen Kette des Seins widerspiegeln.

MEDITATION ALS GENERALPROBE FÜR DEN TOD

Wo passt Meditation in all das hinein ? Jede Form der Meditation ist grundsätzlich ein Weg, um das Ego zu transzendieren oder dem Ego gegenüber zu sterben. In diesem Sinn ahmt Meditation den Tod nach – d.h. den Tod des Egos. Wenn man ziemlich gut in irgendeinem Meditationssystem Fortschritte macht, kommt man schließlich zu einem Punkt, an dem man so ausgiebig den Geist und den Körper „bezeugt" hat, dass man tatsächlich sich über den Geist und den Körper erhebt oder sie transzendiert, und so ihnen und dem Ego gegenüber „stirbt", und man erwacht als subtile Seele oder sogar GEIST. Und dies wird tatsächlich als Tod erlebt. Im Zen wird das der Große Tod genannt. Es kann eine ziemlich einfache Erfahrung sein, eine relativ friedvolle Transzendenz des Subjekt-Objekt-Dualismus oder – weil es eine wirkliche, nicht so gute Art Tod ist – kann sie auch erschreckend sein. Doch subtil oder dramatisch, schnell oder langsam, stirbt das Gefühl, ein getrenntes Selbst zu sein oder es löst sich auf, und man findet eine frühere und höhere Identität im und als universeller GEIST.

Aber Meditation kann auch eine Generalprobe des wirklichen körperlichen Todes sein. Einige Meditationssysteme, besonders das Sikh (die Radhasoami Heiligen) und das tantrische (Hindu und buddhistisch) enthalten sehr präzise Meditationen, die die verschiedenen Stufen des Sterbeprozesses sehr nah nachahmen oder induzieren – einschließlich den Atem anhalten, der Körper wird kalt, der Herzschlag wir langsam und stoppt manchmal und so weiter. Der tatsächliche physische Tod ist dann keine große Überraschung und man kann viel leichter die Zwischenzustände des Bewusstseins nutzen, die nach dem Tod erscheinen – die Bardos –, um so erleuchtendes Verständnis zu erlangen. Der Hauptpunkt solcher Meditationen ist, das Erkennen des GEISTES zu ermöglichen, so dass man beim Auflösen des Körpers, des Geistes und der Seele während des tatsächlichen Sterbeprozesses den GEIST erkennen wird oder Dharmakaya, und man kann als solcher verweilen, anstatt vor ihm zu fliehen und wieder zurück in Samsara zu landen, zurück in der Illusion von getrennten Seele, Geist und Körper; oder man ist in der Lage, wenn man das Wiedereintreten in einen Körper wählt, es freiwillig zu tun – das heißt als ein Bodhisattva.

Diese todesnachahmenden Meditationen sind nicht tatsächlich lebensbedrohlich; der Körper stirbt nicht wirklich oder geht durch die konkreten Todesstufen als solche. Es ist vielmehr so, dass man seinen Atem anhält, um zu sehen, wie es ist: Man hört nicht für immer auf zu atmen. Aber einige der Zustände, die durch diese Meditationen eingeleitet werden können, sind mächtige Imitationen des wirklichen Geschehens. Unser Herzschlag zum Beispiel kann tatsächlich über einen ausgedehnten Zeitraum aussetzen, genau wie das Atmen. Das ist zum Beispiel der Grund, weshalb es möglich ist zu sagen, dass die „Winde" in den Zentralkanal eingetreten sind und dort verbleiben. Man „imitiert" den Tod, aber das tut man, indem man tatsächlich – wenn auch zeitlich begrenzt – die gleichen Winde auflöst, die beim Tod aufgelöst werden. Das ist eine sehr konkrete und wirkliche Imitation.

Wie genau beziehen sich die im Tantra beschriebenen verschiedenen Winde und Energien auf die Meditation ? Die zentrale Idee allen Tantras, ob nun hinduistisch, buddhistisch, gnostisch oder Sikh, ist, dass jeder mentale Zustand oder jeder Bewusstseinszustand – mit anderen Worten: jede Ebene in der Großen Kette des Seins – auch eine besondere unterstützende Energie, Prana oder Wind, hat. (Wir haben bereits die tibetische Version dieser Lehre untersucht.) Wenn man daher diesen besonderen Wind auflöst, dann wird man den Geist auflösen, der von ihm unterstützt wird. Wenn man demnach die Kontrolle über diese Winde oder Energien gewinnen kann, kann man auch die Geisteszustände transzendieren, die sie „reiten". Das ist die allgemeine Vorstellung von Pranayama, „Atem"- oder „Wind" – Kontrolle. Weil aber auch der Geist den Wind reitet, werden seine Winde danach streben sich zu sammeln, wohin auch immer man den Geist lenkt. Deshalb wird zum Beispiel der Wind oder die Energie sich dort zu sammeln suchen und dann dort auflösen, wenn ein Meditierender sich sehr intensiv auf das Scheitelchakra konzentriert.

Das bedeutet, dass der Geist, auf welcher Ebene auch immer, ein bestimmtes Maß an Kontrolle hat über die Winde, die mit ihm verbunden sind. Daher kann man durch mentales Training und Konzentration lernen, Winde oder Lebensenergie an bestimmten Orten anzusammeln und sie dann dort aufzulösen. Und diese Auflösung soll der gleiche Prozesstyp sein, der beim Tod geschieht. Daher erfährt man tatsächlich auf eine sehr konkrete Weise, was geschieht, wenn sich alle diese verschiedenen Winde beim Tod auflösen – mit den grobstofflichen Winden beginnend, dann fortfahrend mit der Auflösung der subtilen Winde, dann den sehr subtilen oder kausalen Wind und den Geist des klaren Lichts verlassend, der ihn reitet. Indem man diese Erfahrungen des Sterbeprozesses mit Hilfe seines eigenen freien Willens einführt, wird man dann beim Eintreten des wirklichen Todes genau wissen, was die Auflösung der Winde hervorrufen werden.

Diese Art von Praxis gibt einem auch die Fähigkeit, jeden Zustand zu verlängern, besonders die subtilen Zustände, wie etwa die weiße Erscheinung, die rote Zunahme, das schwarze Beinahe-Erreichen und das klare Licht, weil man sie schon mehr oder weniger beherrscht hat. Dann am tatsächlichen Endpunkt des Todes, was wir die achte Stufe genannt haben – wenn man den chikhai bardo betritt, den Dharmakaya – kann man dort verweilen, wenn man es möchte. Jener Zustand des klaren Lichts ist sehr klar und offenbar und leicht zu erkennen, weil man ihn viele Male in der Meditation gesehen hat und im Geist seines Gurus; von jetzt an klammert man sich daran und wird so von der Notwendigkeit einer Wiedergeburt befreit. (Man mag jedoch noch auswählen, in einen physischen Körper wieder-geboren zu werden, um anderen zu helfen, dieses Verständnis und diese Freiheit zu erreichen – genau wie in einem luziden Traum kann man bewusst kontrollieren, was erscheint.)

Eine übliche Technik zur Ansammlung und Auflösung von Winden an einem bestimmten Teil des Körpers ist das Konzentrieren auf den „roten Tropfen" am Nabelzentrum (die Quelle des so genannten Tummo – Feuers). Man konzentriert sich einfach auf dieses Objekt – visualisiert als ein glühender roter Tropfen von der Größe einer kleinen Erbse – solange man konzentriert bleiben kann, mit ungebrochener Aufmerksamkeit, für etwa dreißig bis vierzig Minuten. An diesem Punkt werden die Körperenergien so sehr in dieser Gegend konzentriert sein, dass die Atmung abnehmen und sehr sanft wird, fast nicht wahrnehmbar. Alle Winde und Energien des Körpers werden allmählich von ihrer sonstigen Arbeit abgezogen und dort konzentriert. Von nun an ist das Auflösen oder das Zurückziehen der Winde sehr ähnlich dem Geschehen beim tatsächlichen Tod. Wenn man daher fortfährt, sich meditativ zu konzentrieren, beginnt man, so wird gesagt, alle Anzeichen des Sterbeprozesses zu erleben, der Reihe nach, einschließlich der Fata-Morgana-Erscheinung, der Rauch-Erscheinung, der Feuerfliegen-Erscheinung und der Butterlampen-Erscheinung.

Wenn an diesem Punkt die Winde oder Energien des Körpers beginnen sich zu sammeln und am Herzen aufzulösen, wie beim wirklichen Tod, wird man die Ebenen des subtilen Geistes erleben, den Geist der weißen Erscheinung, dann die rote Zunahme, dann das schwarze Beinahe-Erreichen. Dann werden sich alle Winde oder Energien durch die Kraft der Meditation und der spirituellen Segnungen schließlich in den unzerstörbaren Tropfen am Herzen auflösen und man wird die Leere des klaren Lichts erfahren, die letzte spirituelle Dimension und Realisation. Kurz gesagt ist dieser Typ der Meditation ein perfektes Nachahmen des Sterbeprozesses. Und wiederum ist hier der Punkt, dass man dadurch, dass man sich mit dem klaren Licht vertraut macht, indem man meditative Weisheit und Tugend entwickelt, später beim wirklichen Tod dort als das klare Licht verbleiben kann und so die endgültige Befreiung erkennt.

Dieser Typ von Meditation ist offensichtlich eine sehr intensive Heimsuchung, fast turnerisch mit seinem Anspruch. Nicht jede Meditation ist so auf den Punkt gebracht, noch ist dies der einzige kontemplative Pfad, der die gesamten oberen Bereiche der spirituellen Entwicklung durchqueren kann. Doch die Bedeutung der Anuttarata-Tantra-Klasse der Meditation, die ich gerade aufgeführt habe, ist die unglaublich reiche phänomenologische Beschreibung, die sie von einem kontemplativen Gesamtpfad gibt, der sowohl den Gewahrsam des Geistes als auch die Körperenergien benutzt, um die Tiefen des menschlichen Geistes auszuloten.

Obschon nicht alle meditativen Pfade so fordernd sind, folgen doch die meisten tatsächlich einem ähnlichen, allgemeinen Gesamtkurs des Entfaltens (siehe Transformationen des Bewusstseins). Es gibt die anfängliche Erhebung über das grobstoffliche Ego, erlebt als eine Befreiung aus den Grenzen des Sinnes von einem getrennten Selbst und seiner obsessiven Leiden. Diese anfängliche Befreiung – abhängig von den Besonderheiten des Pfades und der Person – mag wohl als ein Typ des kosmischen Bewusstseins oder der Naturmystik erlebt werden, als ein anfängliches Aufsteigen der Kundalini-Energie jenseits des konventionellen Bereichs, als ein Erwachen von paranormalen Kräften, oder als eine innere Erfahrung seliger Luminosität, um ein paar übliche zu benennen. Wenn das Bewusstsein fortfährt, sich durch das Subtile und in das Kausale zu bewegen, beginnen sich diese Erfahrungen zu intensivieren, bis zu dem Punkt, dass sie zur reinen Formlosigkeit aufgelöst oder reduziert werden, zum kausalen Unmanifestierten, zu einer Leere vor aller Form, einer Stille vor allen Geräuschen, einem Abgrund vor allem Sein, einer Gottheit vor Gott. Die Seele kehrt zum GEIST zurück und wird in formlose Unendlichkeit erlöst, zeitlose Ewigkeit, unmanifestierte Absorption, strahlende Leere. Das Bewusstsein verbleibt als der unbewegte Zeuge, der formlose Spiegelgeist, unparteiisch alles sich Erhebende betrachtend, ausgesprochen indifferent gegenüber dem Spiel seiner eigenen Muster, völlig still angesichts seiner eigenen Geräusche, gänzlich nichtanhaftend an den Formen seines eigenen Werdens. Und dann im endgültigen Mysterium, stirbt der Zeuge in alles hinein, was bezeugt wird, Leere wird nicht anders als Form erkannt, der Spiegelgeist und seine Reflektionen sind nicht zwei, Bewusstsein erwacht als die gesamte Welt. Das Geräusch eines Wasserfalls am fernen Horizont, die Ansicht eines zarten Nebelschweifs, das Krachen des Blitzes in einem späten Nachtsturm, sagen irgendwie alles. Das Subjekt und Objekt, das Menschliche und Göttliche, das Innere und Äußere, genannt mit jedem anderen Namen, sind einfach und allein EIN GESCHMACK.


`Death, rebirth and meditation', in: G. Doore (ed.), What survives?: Contemporary explorations of life after death , Los Angeles, J.P. Tarcher. (übersetzt von Hape Lin)